Neue Forschungsergebnisse „blista in der NS-Zeit”

Dr. Imke Troltenier. Im Jubiläumsjahr hat die blista die eigene Geschichte näher untersucht. Mit Unterstützung der Philipps-Universität und der Geschichtswerkstatt wurde ein spezieller Fokus auf die NS-Zeit gelegt. Stadträtin Dr. Kerstin Weinbach und blista-Direktor Claus Duncker stellten die Ergebnisse einer Studie über die NS-Zeit am Montag, den 7. November 2016, gemeinsam mit Dr. Klaus-Peter Friedrich (Geschichtswerkstatt Marburg e.V.), Dr. Wolfgang Form (Philipps-Universität Marburg) und Dr. Richard Laufner (Stadt Marburg, Fachdienstleiter Kultur) im Historischen Rathaussaal vor.

Stadträtin Dr. Kerstin Weinbach dankte allen Beteiligten für die Ausstellung „blick:punkte – inklusiv, interaktiv und hörbar lebendig“, die noch bis zum 4. Dezember 2016 im Landgrafenschloss zu sehen ist, und für das Engagement der Erforschung der Jahre 1933 bis 1945. „Ganz besonders danken möchte ich Ihnen für Ihre Bereitschaft, die Forschungsergebnisse einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen“. Es sei eine richtige Entscheidung gewesen, dieses Thema über die Ausstellung hinaus in einer eigenen Broschüre und der „heutigen Veranstaltung zu behandeln“.

Direktor Claus Duncker erklärte: „Wer 100 Jahre alt ist, blickt gerne einmal zurück, auch die blista war in den NS-Jahren keine Insel der Glückseligkeit.“ Aber die Vergangenheit ändere sich nicht, wenn man sie ignoriere. „Wenn diese Untersuchungen dazu beitragen könnten, dass sich Vergangenheit nicht wiederholt, dann haben wir unser wichtigstes Ziel erreicht“, betonte Claus Duncker.

Der Historiker Dr. Klaus-Peter Friedrich führte die Zuhörenden im voll besetzten Rathaussaal von den Gründerjahren der blista über die Zeit zwischen 1933 bis zu den späten 1940er Jahren. Er berichtete beispielhaft von dem jüdischen blista-Schüler Willi Breslauer, der nach seinem Abschluss Deutschland verließ und in der Schweiz sowie in Frankreich die Nazi-Diktatur überlebte. Unmittelbar nach Kriegsende nahm er wieder Kontakt zu Strehl auf und blieb ihm bis zu seinem Tod in regelmäßiger Briefpartnerschaft verbunden. Anders hingegen verhielt es sich mit der jüdischen Schülerin Emma Saludok. Ihr gelang es, als erste blinde Frau, sich an der Philipps-Universität zu promovieren. Vor der Nazi-Diktatur floh sie in die USA und zählte später wohl zu den Mitbegründerinnen des Jewish Institute for the Blind (JIB) in Jerusalem. Kontakte zwischen ihr und Strehl sind bislang leider nicht bekannt.

Dr. Wolfgang Form führte aus seinem Kapitel über Schüler und Mitarbeiter der blista im Visier der Sozialhygiene die wichtigsten Ergebnisse seiner Forschungen aus. Er verwies auf die sogenannten Erbgesundheitsgerichte, die die Sterilisierung „erbkranker“ Personen anordnen konnten. In Marburg habe es sieben Verfahren gegeben, die zur Sterilisierung führten, weitere seien eingestellt, nicht verfolgt oder – wie im Fall des blista-Lehrers Mittelsten-Scheid – sogar erfolgreich abgewendet worden.

Wer hat die Studie bezahlt? Wie wandelte sich die Besetzung des blista-Vorstands? Hat man in den blista-Archiven weitere der alten Akten gefunden? Wird man weiterforschen? Gekonnt moderierte Dr. Richard Laufner die lebhafte Diskussion. Die Forschungsergebnisse werden in einer Broschüre barrierefrei zusammengefasst und sind bei der blista erhältlich. Interessierte wenden sich bitte an die blista-Öffentlichkeitsarbeit unter troltenier@blista.de.

Im Historischen Rathaussaal: (v.l.n.r.) Jürgen Hertlein (blista-Direktor von 1978 bis 2007), Dr. Klaus-Peter Friedrich, Elisabeth Auernheimer (Vorsitzende Geschichtswerkstatt Marburg e.V.), Dr. Wolfgang Form (Philipps-Universität Marburg), Claus Duncker (
Im Historischen Rathaussaal: (v.l.n.r.) Jürgen Hertlein, Dr. Klaus-Peter Friedrich, Elisabeth Auernheimer, Dr. Wolfgang Form, Claus Duncker, Kariona Kupka, Dr. Richard Laufner, Bernd Höhmann