Die blinde Pianistin Ellen Greiner und Sprecher Ulrich Steiner begeistern das Publikum mit ihrem Benefiz-Konzert „Gut oder Bös“

Das Foto zeigt die Künstler zusammen mit den Herren Metz und Hecker sowie Frau Stelker

Von Pit Metz

Die Aula der blista strömte „karge Wohnzimmer-Atmosphäre“ aus: ein Konzert-Flügel, ein Ledersessel, eine Stehlampe. Der rote Bühnenhintergrund war dezent in Bernsteinlicht getaucht. Mehr Requisiten bedurfte es nicht, um die Herzen und den Verstand der Zuhörerschaft durch die Kraft des gesprochenen Wortes und der eindringlichen Musik zu rühren.

In „Gut oder Bös‘“ präsentierte Ellen Greiner zusammen mit Ulrich Steiner am 1. November 2019 Ausschnitte aus musikalisch bedeutenden Tanz-Dramen des 19. und 20. Jahrhunderts: in fünf Beiträgen aus Tschaikowskys „Schwanensee“, Adolphe C. Adams „Giselle“, Beethovens Klavierkonzert Nr.4, 2. Satz „Andante con Moto“, Wilhelm Hauffs „Das kalte Herz“ und besonders aus dem Anti-Kriegstanzdrama „Der grüne Tisch“ von Kurt Joos und Fritz Cohen, das 1932 in Paris uraufgeführt wurde und später von den Nazis verboten worden war.

Ellen Greiner und Ulrich Steiner wechselten sich in Wort und Ton ab; so verliehen sie den insgesamt 17 dargestellten janusköpfigen Figuren der Erzählungen wie in einem Stummfilm einen besonderen musikalischen Charakter. Die Pianistin musste sich in Sekundenschnelle auf neue und teils parallel verlaufende Handlungen der Ballette und auf das Instrument einstellen. Die Auswahl der Passagen stellte höchste Ansprüche an Konzentration und pianistische Kunstfertigkeit, die Ellen Greiner souverän präsentierte. Ulrich Steiner führte mit markanter Stimme einfühlsam in die spannende Handlung der jeweiligen Erzählung und in die widersprüchlichen Figuren ein, sodass auch den sog. „Ballett-Unkundigen“ transparente Einblicke zuteilwurden.

Janusfiguren haben nicht nur zwei Gesichter, sondern können oft auch ihre wahre Identität meisterhaft verbergen. Die Figuren – ob „gut oder bös‘“ – mussten sich entscheiden. Und die Wahrheit, ihre Konsequenzen, die Verantwortung für das eigene Tun fällt offenbar nicht allen leicht. Der Mensch kann abwägen; er ist nicht ohnmächtig und bewusstlos seinem Schicksal hilflos ausgeliefert. Die Tragik des Schicksals liegt in der verdrängten Erkenntnisfähigkeit.

Besonders eindringlich trat dies in einem der größten Werke der Tanzgeschichte zutage: „Der grüne Tisch“. Es ist ein Ballett in acht Bildern, das 1932 in Deutschland entstand. Der deutsche Choreograf Kurt Jooss und der jüdische Pianist Fritz Alexander Cohen saßen zusammen im Ballettsaal, sie probierten und experimentierten. Anlass war eine Einladung Kurt Jooss, an einem Tanzfestival in Paris teilzunehmen. Das Massensterben im Ersten Weltkrieg kennt keine Emotionen; der Tod lässt dies die kriegsgebeutelte Bevölkerung gnadenlos spüren. Das Ballett ist so konzipiert, dass Musik, Licht und Kostüme streng personenbezogen sind. Die Frauen tragen eine eher lumpig wirkende Kleidung mit Kopfbedeckung; die Männer sind militaristisch kostümiert und die Diplomaten („die Herren in Grau“) am grünen Tisch tragen zur Charakterisierung zehn völlig verschiedene Gesichtsmasken mit weißen Handschuhen. Die „Herren in Grau“ versagen; mit lautem Knall stürzen sie sich in den Krieg. Der massenhafte Tod hält Ernte, die nur der „Profiteur“ - am Ende als Leichenfledderer - zu seiner Bereicherung nutzen wird, im krassen Kontrast zu einem sanften, natürlichen Tod einer alten Frau. Die Idee zum „grünen Tisch“ hatte Kurt Jooss schon zehn Jahre vor der Uraufführung, nachdem er den Totentanz im Lübecker Altar gesehen hatte und sich lange mit diesem Kult auseinandergesetzt hatte.

Ellen Greiner und Ulrich Steiner beeindruckten ihr Publikum nachhaltig mit einem intensiven Sprech-Konzert, das eine Wiederholung verdient hätte.

Den Erlös des Konzertes spendeten die Künstler der Abteilung ‚Blindentechnische Grundrehabilitation‘ (BtG) der blista. Dabei handelt es sich um ein Rehabilitationsangebot speziell für Menschen, die beispielsweise aufgrund eines Unfalls oder einer Erkrankung ihr Sehvermögen verloren haben und blindenspezifische Techniken erlernen müssen, um ihre Autonomie im Alltag und im Beruf wieder zu erlangen. Dr. Werner Hecker, Ressortleiter der Rehabilitationseinrichtung, und Annette Stelker, Leiterin der BtG, nahmen die Spende entgegen und drückten den beiden Künstlern ihren Dank aus: „Wir müssen uns zweifach bei Ihnen bedanken: für die eindrucksvolle Darbietung und den gelungen Abend, den Sie uns damit bereitet haben, sowie für Ihre großzügige Spende zugunsten unserer blindentechnischen Grundrehabilitation.“ Die Spende kommt direkt den Rehabilitanden zugute und soll für die Finanzierung barrierefreier sportlicher Aktivitäten, wie z. B. Bogenschießen oder Klettern genutzt werden.

  • Foto: Ellen Greiner (2.v.r.) mit Ullrich Steiner (2.v.r.) und Moderator Pit Metz (re.) sowie Dr. Werner Hecker (von li.) und Annette Stelker (beide blista)