Buchtipps
Krimi: Die Patientin – Christine Brand
"Die Patientin" ist, nach "Blind", der zweite Kriminalroman um die Journalistin Milla Nova. Machen wir es uns mal einfach und zitieren zunächst den Klappentext. „Der blinde Nathaniel und sein kleiner Patensohn Silas geben ein merkwürdiges Paar ab – doch seit dem Tag, an dem Nathaniel Silas Mutter das Leben rettete, sind sie unzertrennlich. Jeden Monat besuchen sie gemeinsam die Komastation des Berner Spitals, aber heute stimmt etwas nicht. Eine fremde Frau liegt in dem Bett, in dem vier Jahre lang Silas Mutter lag. Der Oberarzt behauptet, sie sei gestorben. Doch es gibt kein Grab, keinen Totenschein, keine Antworten auf Nathaniels Fragen.“ Soweit der Klappentext. Wie im ersten Band hat der blinde Nathaniel wieder das richtige Bauchgefühl. Er informiert sofort seine gute Freundin, die Journalistin Milla Nova, die schon bald herausfindet, dass in der Schweiz mehrere Komapatienten verschollen sind. Klar, dass eine Journalistin dahinter sofort einen Skandal wittert. Und – sie hat recht damit, sonst wäre es ja gar kein Kriminalroman geworden. Bald schon gesellen sich auch noch einige Leichen zu den vermissten Komapatienten dazu. Dadurch bekommt auch Kommissar Sandro Bandini, der mit Milla Nova eine Fernbeziehung pflegt, alle Hände voll zu tun. Und es stellt sich bald für alle die Frage: Sollte es vielleicht einen Zusammenhang zwischen den Ermordeten und den Komapatienten geben? Natürlich reden Sandro und Milla, ganz Profis, privat kaum über ihre Arbeit, sonst wäre der Fall ja zu schnell gelöst. Wie beim letzten Krimi auch begibt sich Milla Nova mal wieder in Gefahr, das kann sie gut – ohne groß darüber nachzudenken. Man möchte ihr zurufen: Tu es nicht! Das ist selten dämlich, was du da machen willst! Aber wer hört schon auf einen einfachen Leser?
Kommen wir zum Resümee: Es wäre nicht ganz verkehrt, den ersten Band vorher gelesen zu haben – ist aber kein Muss. Die erste Hälfte des 470 Seiten starken Kriminalromans zieht sich für mein Empfinden etwas, was für mein Dafürhalten auch an den Akteuren liegt – aalglatte Yuppies, etwas blass gezeichnet – irgendwie lebt und leidet man nicht wirklich mit ihnen. Was mir fehlt, ist ein Kommissar. Damit meine ich einen richtigen Kommissar, nicht so ein streberhaftes Jungchen, sondern einen mit Psychoproblemen und vom Leben gezeichnet. Ein guter Krimi hat heutzutage immer einen Kommissar mit Problemen zuhauf, der, obwohl er schon auf dem Zahnfleisch kriecht, ein geprügelter Hund eben, mit sich und dem Leben kämpft und doch irgendwie den Fall löst. Aber es gibt ja auch die Spannungsfraktion unter der Leserschaft, der das „Wer tat was warum?“ völlig genügt. Das ist eben Geschmackssache. Deshalb schmeckte der Krimi für mich etwas nach Convenience Food, eben ein bequemes und kurzweiliges Lesevergnügen für Lesende, die nicht mehr vom Krimi verlangen, als dass sie durch Spannung entspannen und abschalten können.
Siehst du die Grenzen nicht, können sie dich nicht aufhalten – Jutta Hajek
Die biografische Erzählung über eine „blinde“ Familie von Jutta Hajek beginnt in einer Zeit, in der behinderte Menschen ungestraft gequält und getötet werden durften. Um es den Tätern leichter zu machen, wurde die Tötung verwaltungstechnisch organisiert und im industriellen Maßstab betrieben. Als diese Zeit endete, wurden die Mörder nicht etwa bestraft, sondern bekamen ihre alten Posten als Ärzte, Polizisten, Verwaltungsbeamte, Richter wieder. Die überlebenden Opfer mussten fortan Tür an Tür mit ihren Henkersknechten leben. Das Land: Deutschland. Auch heute noch organisieren sich Menschen, die dieser braunen Zeit nachtrauern oder sie verherrlichen, in Parteien, als sei dies das Normalste auf der Welt, als handele es sich beim Faschismus um eine Meinung und nicht um ein Verbrechen.
Das fünfjährige Mariechen entkommt durch einen Fingerzeig des „Schicksals“ gerade noch einmal ihren braunen Häschern. Ihr Vergehen: eine erbliche Sehbehinderung. Sie entgeht damit dem Konzentrationslager Hadamar, in dem 15000 Menschen im Rahmen der NS-Euthanasie-Verbrechen ermordet wurden. Maria wächst zu einer selbstbewussten jungen Frau heran und geht in Frankfurt zur Blindenschule. Später findet sie eine Anstellung als Stenotypistin und verliebt sich in den ebenfalls sehbehinderten Josef Müller, den sie bald darauf heiratet. Beide kommen aus ländlichen Gemeinden und sind tief im katholischen Glauben verwurzelt. Mitte der sechziger Jahre kommen kurz hintereinander ihre beiden Söhne Stefan und Christof zur Welt, auch sie haben eine starke Sehbeeinträchtigung. Maria und Josef erziehen ihre beiden Kinder zur Selbstständigkeit und übertragen ihre tiefe Religiosität auf sie. Während die 68er-Bewegung die Enge der konservativen Nachkriegsgesellschaft aufzubrechen versucht, lebt Familie Müller Tradition und Kirche. Dementsprechend irritiert sind Stefan und Christof, als sie Anfang der 80er Jahre auf die sich im Auf- und Umbruch befindliche Deutsche Blindenstudienanstalt in der linken Studentenstadt Marburg wechseln. Ihr weiterer Lebensweg zeigt aber, dass sie an Leib und Seele unbeschadet bleiben. Stefan wird zum ersten blinden katholischen Priester in Deutschland geweiht. Sein Bruder studiert katholische Theologie, Geschichte, Pädagogik und arbeitet heute als Lehrer. Jutta Hajek hat die Geschichte der Familie Müller spannend erzählt, einer Familie, in der alle Mitglieder ständig von Sehrestverschlechterung bis hin zur Blindheit bedroht waren, einer Familie, die trotz Rückschlägen niemals aufsteckte, ein Mut-mach-Buch, eine erbauliche Lektüre, aber vor allem ein Bekenntnis zur katholischen Kirche. Wer also Erbauungsliteratur sucht, der wird hier fündig. Wer auf kritische Reflexion über Glauben und Kirche hofft, wird enttäuscht. Kein Wort über die Rolle des Vatikans im Faschismus. Schweigen auch über den jahrzehntelang währenden Kindesmissbrauch innerhalb der Reihen der katholischen Würdenträger und dessen Vertuschungsversuche. Kein Wort darüber, dass der Vatikan die eigenen Befreiungstheologen, von denen Stefan sich so inspiriert fühlt, versuchte mundtot zu machen. Etwas Kritik zum Schluss – aber dennoch ein gutes Buch.
Das Buch von Jutta Hajek ist als DAISY-Hörbuch in der DBH unter der Bestellnr. 873621 ausleihbar.
Wozu braucht man Jungs? – Franziska Sgoff
Die Zutatenliste: Sabrina, Mona, Aylin, Susanne, Tim, Kai und Kevin. Ihr Alter: plus minus 15 Lenze. Ihre gemeinsame Geschichte beginnt für die geneigten Leserinnen und Leser am 24. April und endet am 7. Juli. In diesem kurzen Zeitraum wird sich für diese Teenager die Welt verändern.
Sabrina und Mona sind beste Freundinnen, ihre Klassenkameradin Aylin vervollständigt das Mädeltrio. Eines Tages treffen sie auf Susanne. Susanne ist blind und fühlt sich an ihrer Blindenschule gemobbt. Sofort sind Sabrina und Mona Feuer und Flamme und versuchen, Susanne an ihre Regelschule zu holen. Es soll keine leichte Übung werden, das darf hier schon einmal verraten werden. Sabrina verbindet mit ihrem älteren Bruder Kevin eine geschwisterliche Hassliebe. Außerdem schwärmt sie für ihren Klassenkameraden Kai. Ihre Freundin Aylin schwärmt für … – das wird hier nicht verraten. Für Kai schwärmen außer Sabrina noch andere Mädels. Leider entpuppt sich Kai als kleiner Drecksack - oder etwa doch nicht? Und auf einmal hat Mona einen Freund. Ist da jetzt überhaupt noch Platz für die beste Freundin? Kai kotzt Sabrina nur noch an und trotzdem wird ihr immer noch ganz warm, wenn sie an ihn denkt, und dass, obwohl da auch noch Tim ist. Beziehungs- und Gefühlschaos allerorts. Jungs sind mal nett und mal sind sie blöd bzw. können beides auch gleichzeitig sein, je nachdem welches Girl man gerade fragt.
Mit der Pubertät beginnen sich die Prioritäten im Leben zu verschieben und frau hat noch keine Linie, wie man sich zu verhalten hat – überall Neuland, vermint mit Fettnäpfen und Peinlichkeiten. Aus Freundinnen werden Fremde, keiner verhält sich mehr so wie gewohnt. Die Zeit in der man glaubte, sich gegenseitig blind zu verstehen, ist vorbei. Jetzt hilft nur noch: Raus mit der Sprache. Erkläre dich. Nur die Eltern sind ein Fels in der Brandung. Jedenfalls die von Sabrina bleiben ihrer Linie treu, merken nichts vom Wind of Change bei ihrer Tochter und ihrem Sohn - Panneköppe eben. Und klar, Sabrina ist neidisch auf ihre Freundinnen und Freunde, die fürsorglichere und verständnisvollere Eltern haben. Und dann ist da noch Sabrinas Bruder Kevin, dieses Ekel ...
Franziska Sgoffs Erstlingswerk ist bodenständig im besten Sinne. Bei ihr dürfen Teenager noch Teenager sein und kommen nicht als kleine Erwachsene daher. Auch Susanne werden keine überirdischen Fähigkeiten angedichtet. Das Thema Blindheit wird angenehm nebenbei behandelt und ist in den Erzählstrang fein integriert. Mit 57 Jahren gehöre ich zwar nicht mehr unbedingt zur Zielgruppe des Buches, aber es hat mir gut gefallen. Hut ab vor der jungen blinden Autorin. Ihre Erzählung hätte eine Fortsetzung verdient. Mädels ab 12 Jahren, die zur Gattung Leseratte gehören, werden auf den 340 Seiten sicher gut unterhalten.
Das Buch ist unter der Bestellnr. 4918 bei der blista in Punktschrift erhältlich. Die Vollschriftausgabe kostet 86 Euro und die Version in Kurzschrift 64,50 Euro.