Eine prima Sache: Neue Fortbildung für Senioreneinrichtungen kommt gut an

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Dr. Imke Troltenier - Mit steigender Lebenserwartung müssen ältere Menschen damit rechnen, von gesundheitlichen Altersrisiken betroffen zu werden. Dazu zählen neben Demenz, Depressionen und Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen, Geh- und Hörbeeinträchtigungen, häufig auch eine gravierende Sehverschlechterung.

Bei den im fortgeschrittenen Alter auftretenden Sehbehinderungen geht es oft um Erkrankungen im Bereich der Netzhaut. Dabei steht die altersbedingte Makula­degeneration (AMD) im Vordergrund. Zu den weiteren Erkrankungen zählen Netzhautablösungen, der graue Star (Katarakt) und der grüne Star (Glaukom). Hinzu kommen ein altersbedingtes Nachlassen der Sehkraft oder auch veränderte Hirnfunktionen durch einen Schlaganfall und andere mehr.

Wie verbreitet diese Augenerkrankungen in Deutschland sind? Die Antwort war bisher alles andere als einfach, weil entsprechende Studien fehlten. Erste Zahlen lieferte kürzlich ein Forschungsprojekt der Universitätsmedizin Mainz.* Demnach liegt der Anteil der Menschen mit AMD bei 8,96 % (also ca. 7.418.000 Betroffenen), der Anteil der Menschen mit Glaukom bei 1,11 % (also 919.000 Betroffenen).

Wenn älteren Menschen beispielsweise das Lesen der Tageszeitung immer schwerer fällt, wenn selbst langjährige Freunde und Bekannte auf der Straße nicht mehr erkannt werden oder wenn man sich beim Gehen nicht mehr sicher fühlt, Gegenstände und Stufen „übersieht“ und leicht stürzt, schränkt der Sehverlust den Menschen bereits stark ein. Betroffen sind geliebte Gewohnheiten genauso wie die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft und immer auch die Lebensqualität und -freude. Eine gravierende Sehverschlechterung im Alter wird oft von depressiven Verstimmungen begleitet.

Dement oder sehbehindert?

Eine Studie aus der Schweiz** macht darauf aufmerksam, dass Seniorinnen und Senioren, die eine drastische Sehverschlechterung erleiden, häufig fehldiagnostiziert werden. Zu schnell werden sie in Senioreneinrichtungen als demenziell angesehen. Wenn ein älterer Mensch aufhört, sich beispielsweise für die Tageszeitung zu interessieren, wenn er oder sie die Mitbewohner beim Vorbeigehen nicht mehr grüßt und sich kaum mehr zum Einkaufen auf die Straße wagt, kann schlechtes Sehen die Ursache sein. In Senioreneinrichtungen gilt es daher, bei Pflegekräften und Physiotherapeuten die Aufmerksamkeit für mögliche Sehbeeinträchtigungen zu stärken. „Schwierigkeiten, sich an einem fremden Ort zu orientieren, Gegenstände zu finden und Personen zu erkennen, gehören sowohl zu den Folgen einer beginnenden Demenzerkrankung wie auch zu jenen einer Sehbehinderung. Wenn aber vorschnell ein Verdacht auf Demenz ausgerichtet wird, entsteht die Gefahr gravierender Behandlungsfehler. Konkrete Folge dieser Verwechselung ist eine Falsch- oder Unterversorgung der betroffenen Personen …“, betonen die Autoren der oben genannten Studie.

Zusätzlich zur Aufmerksamkeit braucht es Know-how, um seheingeschränkte Menschen gezielt zu unterstützen. Dazu gehören etwa das Wissen um die gute Wirkung starker Kontraste und die Kenntnis der optischen Hilfsmittel. Wichtig ist es, die sehbehinderungsgerechte Unterstützung so anzulegen, dass Individualität, Eigenständigkeit und Selbstbestimmtheit wieder weitgehend ermöglicht bzw. erhalten bleiben. Sehbehinderte alte Menschen sind kognitiv fit, sie brauchen spezifische Unterstützung, um ihr Leben wieder stärker in die eigenen Hände nehmen zu können.

Die blista hat im vergangenen Jahr eine neue Fortbildung entwickelt, die sich speziell an stationäre Pflegeeinrichtungen richtet. Die sogenannte „Präventions-Fortbildung“ besteht aus mehreren Modulen, die auch einzeln gebucht werden können. Die Kosten der Inhouse-Fortbildung können aufgrund einer Kooperation mit zwei Pflegekassen übernommen werden.

blista-Seniorenberater Bernd Wilhelm

Mehr Aufmerksamkeit und Know-how

„Wir haben die verschiedenen Module der Präventions-Fortbildung im vergangenen Jahr an fünf hessischen Senioreneinrich­tungen durchgeführt“, berichtet Bernd Wilhelm von der Seniorenberatung der blista. Die Präventions-Fortbildung kam gut an. Die Resonanz der Teilnehmenden war durchweg positiv, alle Bewertungen lagen bei „sehr gut“ oder „gut“.

In allen Fällen konnten die Teilnehmenden die Situation sehbehinderter Senioren zunächst kaum einschätzen. „Viele dachten, mit einer besseren Brille könne schlechtes Sehen ausgeglichen werden. Dem ist aber nicht so. Ob „blind“ Frühstücken oder Puzzeln mit Brillen, die Seheinschränkungen simulieren – es sind insbesondere die praktischen Übungen unter der Augenbinde oder mit einer Simulationsbrille, die zu den entscheidenden Aha-Erlebnissen bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern führen“, betont Bernd Wilhelm.
Die Auswirkungen von Augenerkrankungen wie einer altersbedingten Makuladegeneration (AMD) oder eines Glaukoms sind sehr unterschiedlich. Bei der AMD ist beispielsweise das zentrale Sehen betroffen, dann werden Dinge, die man eigentlich „direkt vor der Nase hat“ nicht wiedergefunden, Gesichter nicht mehr erkannt, auch beim Essen geht schnell was daneben.

Beim Glaukom ist dagegen besonders das periphere Sehen betroffen. Meist fällt Glaukompatienten daher die Orientierung zunehmend schwerer, die Seniorinnen und Senioren finden sich dann im eigenen Wohnbereich oder beim Weg zur Cafeteria oft nicht mehr zurecht.

Ein klares Verständnis gewinnen

So verschieden sich die funktionalen Auswirkungen der Augenerkrankungen im Alltag darstellen, eines ist ihnen gemeinsam: Die Krankheitsbilder führen bei den Betroffenen zu einer großen Verunsicherung. Die Diagnose einer Sehbehinderung bedeutet einen massiven Einschnitt. Im Alter stellt sie die Betroffenen vor große Herausforderungen. Viele ziehen sich daraufhin zurück, möchten beispielsweise nicht mehr gemeinsam essen und bleiben lieber auf ihren Zimmern.

Die Präventions-Fortbildung der blista liefert die wichtigen Ansatzpunkte, um die betroffenen Seniorinnen und Senioren wieder zu mobilisieren und sie in ihrer Lebensqualität zu stabilisieren.

„Jetzt weiß ich, wie wichtig das Verbalisieren der visuellen Informationen ist“, erzählte ein Teilnehmer. Wenn man die Wege beschreibt, dann hilft dies, sich einen inneren Plan von der Einrichtung zu machen. Eine kontrastreiche Gestaltung macht Türen unterscheidbar. Eine gute Beleuchtung in den Fluren, die Markierung von Stufen und deutliche Schilder sind weitere Maßnahmen.

„Jetzt verstehe ich, warum unsere Bewohnerin ihre Medikamente oft nicht findet“, erklärte eine weitere Teilnehmerin erleichtert. Typischerweise hatte man das nicht Wiederfinden bzw. stetige Verlegen der Tabletten bei der Seniorin auf eine demenzielle Erkrankung zurückgeführt. „Jetzt kann ich besser einschätzen, warum einige der Seniorinnen und Senioren nicht an meinen Angeboten für gemeinsame Gymnastik und Bewegungsspiele teilnehmen wollten“, berichtete eine weitere Teilnehmerin aus dem Bereich Physiotherapie. „Mit gravierenden Seheinschränkungen ist es ja einfach nicht mehr möglich, Bälle zu fangen, die auf einen zugeflogen kommen. Das macht dann natürlich keinen Spaß.“ Das modulare Fortbildungsangebot der blista wird in Zusammenarbeit mit der AOK – Die Gesundheitskasse in Hessen, Abteilung Pflegeversicherung und der BAHN-BKK Pflegekasse angeboten. Gesundheitsförderung und Prävention zählen zu den gesetzlichen Aufgaben der Pflegekassen. Im Zuge des 2015 in Kraft getretenen Präventionsgesetzes machen sich die Pflegekassen für eine Qualitätsverbesserung stark und für ein verstärktes Engagement in den sogenannten Settings (Lebenswelten), zu denen neben Schulen und Betrieben u.a. stationäre Pflegeeinrichtungen zählen.

„Wir haben den Prozess vor zwei Jahren angestoßen“, berichtet Jürgen Nagel, stellvertretender Direktor der blista. „Natürlich ist das Thema Sehbehinderung nur ein kleiner Teilaspekt im Rahmen des §5 SGB XI, der die Prävention in stationären Pflegeeinrichtungen beschreibt,*** aber es ist uns – gerade vor dem Hintergrund unserer alternden Gesellschaft – als bundesweites Kompetenzzentrum für Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung ein sehr wichtiges Anliegen. Sehbehinderung im Alter ist ein Thema, das in den kommenden Jahren noch an Bedeutung gewinnen wird.“

„Das war eine prima Sache“, erinnert sich Jürgen Nagel, „bereits in den ersten Gesprächen mit den zuständigen Experten, Herrn Markus Schindler (AOK Hessen) und Frau Karin Füllbier (BAHN-BKK), wurde klar, dass wir gemeinsam etwas Gutes und Nachhaltiges auf den Weg bringen wollen. Wir wollen die Mitarbeiter in den stationären Pflegeeinrichtungen zu dem Thema ‚Sehen’ sensibilisieren und ihnen ein Handwerkszeug für die tägliche Arbeit an die Hand geben.“

Nachdem 2018 während einer Pilotphase die ersten Erfahrungen gesammelt und evaluiert wurden und sich die beteiligten Experten persönlich von dem Wert der Fortbildungen überzeugen konnten, wird die Fortbildung ab 2019 in jeweils ganztägigen Modulen angeboten.

Anmerkungen

* Gutenberg-Gesundheitsstudie (Gutenberg Health Study - GHS), ein Forschungsprojekt der Universitätsmedizin Mainz: www.gutenberg-gesundheitsstudie.de/ghs/willkommen.html
** SEHBEHINDERUNG IM ALTER — KOMPLEX UND VIELFÄLTIG. Eine Publikation zur Studie „Im Alter eine Sehbehinderung erfahren – oder mit einer Sehbehinderung das Alter erfahren“ der Universität Zürich und des Schweizerischen Zentralvereins für das Blindenwesen SZB, https://www.szb.ch/fileadmin/pdfs/studien-masterarbeiten/beilage-sehbehi... beziehungsweise https://www.szb.ch/fuer-fachpersonen/forschung/forschungsberichte/
*** § 5 SGB XI Prävention in Pflegeeinrichtungen, Vorrang von Prävention und medizinischer Rehabilitation, https://www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbxi/5.html

Kontakt:

Deutsche Blindenstudienanstalt e.V. (blista)
Bernd Wilhelm, Seniorenberatung
Telefon: 06421 606-500, E-Mail: seniorenberatung@blista.de
Am Schlag 2–12, 35037 Marburg
Nähere Informationen zu den einzelnen Modulen finden sich auch unter: www.blista.de/praevention