Editorial 3/2016

Portrait Claus Duncker
© blista

Liebe Leserin,
Lieber Leser,

„Darf ich als Blinder eigentlich noch blinde Freunde haben?“ Diese Frage traf mich in einer Diskussion letztens ziemlich unvorbereitet. Spontan antwortete ich „Natürlich“. Erst bei längerem Nachdenken wurde mir die tiefe Bedeutung der Frage bewusst. Es geht um die derzeitige Diskussion, wie ein gemeinsames Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung gestaltet wird. Das Thema lautet also: Inklusion.

Es ist sicherlich eine der wesentlichen Errungenschaften der letzten Jahre, dass wir beginnen, die Menschen nicht nur in Schubladen zu stecken: Alte leben im Pflegeheim, Frauen werden schlechter bezahlt, ärmere Menschen erfahren weniger Bildung und Menschen mit einer Behinderung kommen in eine Spezialeinrichtung. Solche Zuweisungen akzeptieren wir nicht mehr als selbstverständlich. Ein neues, buntes und gleichberechtigtes Miteinander gilt es, in offenen Diskussionen zu gestalten.

Offen diskutieren kann man aber nur, wenn man auch im Ergebnis offen ist. Das scheint aber vielfach nicht mehr möglich zu sein, wenn es um Inklusion geht. Einige Pädagogen vertreten Grundsätze mit dem Anspruch auf absolute Gültigkeit. Der Wirkungsgrad und Erfolg von Inklusion wird an der Zahl von Schülern mit Behinderungen in den Regelschulen gemessen. Debattiert wird auf Tagungen, bei denen nicht mit, sondern über Betroffene geredet wird. Es geht nicht mehr um Wünsche und Bedürfnisse von Schülerinnen und Schülern und deren Eltern. Es geht darum, formalen Ansprüchen zu genügen, um ein guter, ein „inkludierter“ Behinderter zu sein. Und auf diesem Hintergrund ist die eingangs gestellte Frage mehr als berechtigt.

Ich muss nicht neu formulieren, was andere bereits treffend geschrieben haben. Der Weltverband der Gehörlosen hat sich in seinem Positionspapier vom September dieses Jahres zum Thema Bildung im Artikel 24 der Behindertenrechtskonvention geäußert: „Der Artikel 24 macht deutlich, dass keine Regelschule ein gehörloses Kind ausschließen darf, wenn diese Schule seine Wahl ist. Jedoch sollte der Artikel 24 nicht als Auftrag an die Regelschule missverstanden werden, die einzige Möglichkeit der Beschulung aller gehörlosen Kinder zu sein.“ Der Verband besteht auf dem Recht, dass gehörlose Kinder zwischen einer Regel- oder Förderschule wählen können. Und das ist gut so. Was nützen alle Rechte auf Selbstbestimmung, die die Behindertenrechtskonvention einräumt, wenn alternative Möglichkeiten nicht mehr geboten werden. Deshalb werden wir uns an der blista weiter dafür einsetzen, dass blinde und sehbehinderte Menschen den für sich richtigen Weg einschlagen können.

Ich danke allen für die gute und erfolgreiche Zusammenarbeit im abgelaufenen Jahr und wünsche Ihnen ein gesundes und erfolgreiches Jahr 2017.

Ihr Claus Duncker