„Früher war ich behindert, jetzt bin ich nur noch blind“

Anja Pfaffenzeller unterrichtet ein Mädchen anhand eines tastbaren Bilderbuches

Anja Pfaffenzeller arbeitet mit blinden ­Kindern im Nordosten Brasiliens

Thorsten Büchner * - Vieles hat sich an der blista verändert, seit Anja Pfaffenzeller im Jahr 1999 ihr Abitur gemacht hat. Davon konnte sie sich bei einem Besuch überzeugen. Schulleiter Jochen Lembke gab der ­ehemaligen Schulsprecherin und ihrer Begleitung einen Überblick.

Anja Pfaffenzeller war nach Marburg gekommen, um über ihre Arbeit im Nordosten Brasiliens zu berichten. Schon während ihres Lehramt-Studiums in Marburg verbrachte Anja Pfaffenzeller ein Jahr in Fortaleza, der Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaats Ceará. Dort hatte sie Kontakt zu blinden Menschen und „der Floh war in meinem Ohr, mich für diese Leute einzusetzen“. Die meisten Blinden, denen sie während ihres Austauschjahres in Brasilien begegnete, kannten weder Punktschrift noch „Orientierung & Mobilität“.

Nach ihrem Referendariat an einem hessischen Gymnasium und dem erfolgreich bestandenen Staatsexamen beschloss Pfaffenzeller, den Lehrerberuf vorerst an den Nagel zu hängen und bewarb sich um einen Platz im Kanthari-Institut der ehemaligen blista-Schülerin Sabriye Tenberken im indischen Kerala. Dort werden überwiegend blinde und sehbehinderte Menschen aus aller Welt darin ausgebildet, ihre Projektideen professionell anzugehen und umzusetzen. Anjas Idee, etwas für und mit den blinden und ­sehbehinderten Menschen im Nordosten Brasiliens zu tun, nahm so immer konkretere Formen an. Der Name ihres Projekts „Bats in Action“ (also „Fledermäuse in Action“) geht auf ihre blista-Zeit zurück. „Damals haben wir in der Biologie-AG oft die Fledermäuse in und um Marburg beobachtet. Diese Tiere haben mich fasziniert. Sie orientieren sich in völliger Dunkelheit und kommen wunderbar zurecht. Das passte genau zu dem, was ich in Brasilien anpacken wollte“, erzählt sie.

So machte sich Pfaffenzeller auf den Weg nach Brasilien, nahm Kontakt zur örtlichen Schulbehörde auf, die ihr die Möglichkeit bot, blinde Kinder in ihren Regelschulen zu besuchen. „In Brasilien gehen alle Kinder auf Regelschulen. Sonderpädagogen sind für alle Behinderungsgruppen zuständig und haben zwei Stunden Zeit pro Woche für jedes Kind. Leider musste ich aber feststellen dass kein Kind, das ich traf, Punktschrift konnte und von O&M hatten sie auch noch nie gehört.“

Unterricht im Freien: Eine Junge Frau steht in einer Astgabel
Unterricht am PC mit 3 Schülern

So entstand zunächst das Angebot einer Art Nachmittagsbetreuung, die Pfaffenzeller für die blinden Kinder durchführte. „Dabei war es mir total wichtig, dass die Kinder sich untereinander austauschen konnten, gemeinsam Punktschrift lernen konnten und wir die Unterrichtsinhalte nachbereiteten. Nach und nach kamen zu diesem Treff auch immer mehr ältere blinde und sehbehinderte Menschen aus der Region, bis Anja Pfaffenzeller die Notwendigkeit erkannte, ihr Angebot noch weiter in den ländlichen Raum zu verlagern. „In Ubajara, das circa 350 Kilometer von Fortaleza entfernt liegt, gibt es überhaupt keine Möglichkeiten für Blinde und Sehbehinderte. Da wollte ich was tun.“

Seit einigen Jahren betreibt sie nun mit einem Team aus Helferinnen und Helfern dort eine Schule, die ergänzend zum regulären Schulbesuch der Kinder Nachhilfe anbietet und die Kinder in Punktschrift, LPF und O&M unterrichtet. „Wir gehen auch zusammen einkaufen. Für viele war es eine völlig neue Erfahrung, sich alleine außerhalb des Hauses zu bewegen.“

Zu den Aufgaben von Pfaffenzeller und ihrem Team gehört es auch Unterrichtsmaterialien aufzubereiten. Es gebe noch viel in Sachen Bewusstseinsbildung zu tun. „Aber nicht nur bei der Schulbehörde, den Lehrern. Gerade auch viele Eltern und viele Blinde und Sehbehinderte selbst trauen sich noch nicht so viel zu und vertreten die Auffassung, dass sie behindert und damit zur Untätigkeit verdammt seien.“ Daher ist es für Pfaffenzeller immer ein tolles Erlebnis, wenn sie sieht, welche Fortschritte die Kinder machen. „Eine unserer Schülerinnen sagte vor kurzem zu mir: ­Früher war ich behindert, jetzt bin ich nur noch blind.“

Die Arbeit von „Bats in Action“ wird hauptsächlich durch Spenden aus Deutschland ­finanziert. Dazu hat sich vor kurzem in Anja Pfaffenzellers Heimatstadt in Franken, Heideck, ein Förderverein gegründet: www.bats-in-action-heideck.de

[* Öffentlichkeitsarbeit, Fotos: www.bats-in-action-heideck.de]