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heute: einpädagogisches Lehrstück

von Winfried Thiessen

Erster und einziger Akt

Ort der Handlung: Das Zimmer eines fast volljährigen Schülers in einer blista-Wohngruppe. Versteckt in der hintersten Ecke, drei Herren in Whiskyflaschen, um die 40, braungebrannt. Herr W betritt das Schülerzimmer. Sein Blick fällt auf die beeindruckende Sammlung von leeren Bierpullen aus aller Welt, die bereits ein ganzes Regal füllen. Ganz oben die beiden Neuzugänge, zwei Flaschen Corona Extra.

Er beginnt vor sich hin zu summen: Schnaps und Bier wird es zur Flucht/ Wird der Whisky eine Sucht/ Dann beginnt ein Horrortrip/ Ein erbarmungsloser Seelenstrip/ Schnaps und Bier sind stärker als du/ Und der Whisky gibt dir keine Ruh‘/ Die Hure Rausch nimmt deine Hand/ Und führt dich in ihr totes Land.*
Er stellt den Wäschekorb mit den gewaschenen Jeans auf das Bett.

Eine Whiskyflasche im Gegenlicht. Sie sieht aus, als wüchsen aus ihrem Boden Teufelshörner.

Jim B.: Herr W hätte besser Pfarrer werden sollen - den ganzen Tag am Predigen.

Jack D.: Ein Rufer in der Wüste!
Herr W verfällt in eine Art Sprechgesang:
Ich hab´s versucht/Ich komme ohne dich nicht aus/ Wozu auch?/ Du gefällst mir ja/ Kein Mensch hört mir so gut zu wie du/ Und Johnny, du lachst mich auch nie aus/ Johnny Walker, ich glaub´ nicht an den Quatsch/ Johnny Walker, du wärst ´ne Teufesfratz´…**
Jack D.: Hey Johnny! Hör mal, er singt dein Lied!
Jim B.: Singen ist wohl übertrieben. Alt geworden, der gute Herr W. Ich glaube, er ahnt, dass wir hier sind. Der hat den siebten Erziehersinn. Aber wer nicht richtig suchet, der wird auch nicht fündig.

Herr W jetzt mit Inbrunst: Der Teufel hat den Schnaps gemacht, um uns zu verderben/ Ich hör´ schon, wie der Teufel
lacht, wenn wir am Schnaps einmal steeheeherben!*****

Jack D.: Leute! Entwarnung! Wir sind gar nicht gemeint.
Johnny W.: Immer diese schaurigen Gruselgeschichten! Schaut uns doch an! Wir sind feine Kerle! Tolerant! Jeder ist bei uns willkommen! Wir haben mit niemanden ein Problem! Wir können mit jedem! Und wenn jemand mit uns ein Problem hat - so what? Was können wir denn dafür?
Jim B.: Die Gesellschaft ist einfach überaltert. Da kannste selber nicht mehr so, verträgst nichts mehr und dann denkst du so als alter Sack: Wenn ich keinen Spaß mehr haben darf, brauchen die jungen Leute auch keinen haben. Dazu sag ich nur: Opi, du bist auch gar nicht mehr unsere Zielgruppe – lass uns einfach in Ruh!!!
Johnny W.: Ich denke, was wir brauchen, ist mal wieder eine Imagekampagne, sonst bekommen wir noch ein ernsthaftes
Akzeptanzproblem. Passt auf, wie wär´s damit: Wenn des Nachts der Mond am Himmel steht/ Und der Wind um dunkle Ecken weht/ Lauert wie das immer so war/ Im schönsten Moment die größte Gefahr/ Doch mit 40 Prozent gibt
es für dich ein Happy End/ Johnny Walker, das ist unser Mann, ein Mann, ein Mann der alles kann/ Mit Johnny durch die Nacht!!***

Bild von Johnny als Halbrelief auf der Whiskyflasch

Jim B.: Zu lang - und was meinst du überhaupt mit größter Gefahr?
Johnny W.: Na ja, das vorzeitige Verlassen einer Party, um nach Hause zu gehen oder so. Also, pünktlich. So wie mit deinem persönlichen Pädagogen in der Wohngruppe vorher abgesprochen, einfach weil die Party langweilig ist so ohne uns! Du hast das Buffet geplündert, unterhalten geht bei der lauten Mukke nicht und tanzen traust du dich auch nicht so ohne uns.  Du gehst, und dann verpasst du eben was – weil klar, das Beste kommt immer zum Schluss, ist doch logo, weiß doch jeder.
Jack D.: Das ist zu lang und zu kompliziert, zu schwergängig. Pass auf, hier ist einer: Wir machen aus Knaben Männer!
Jim B.: Der ist guuut! Kurz und prägnant. Versteht der Dümmste.
Jack D.: Probleme ein Mädel klar zu machen? – Wir helfen gern!
Jim B.: Wusste gar nicht, dass du so kreativ sein kannst.
Johnny W.: Und für den jungen Philosophen: Du hast Fragen ans Leben? Wir sind die Antwort!
Jack D.: Ist dein Ego zu klein – wir blähen es auf!
Jim B.: Ernst bleiben! Damit macht man keine Späße. Schadet dem Image.
Jack D.: Ist ja gut. Dann eben: Wir tunen deine Psyche!
Jim B.: Geht doch. Wer sagt´s denn. Kommt peppig rüber!
Johnny W.: Prüfungsangst?! Wir haben da was gegen Maroditis.
Jack D.: Das ist aus der Milchwerbung aus den 70ern geklaut.
Johnny W.: Ich bin eben nicht ganz so kreativ. Dann halt was für Anarcho-Kids: Kein Bock auf Schule? Wir doch auch nicht! Hurra, hurra der Whisky brennt – im Hals, haha … Ich sag euch was: Scheiß auf Herrn W! Scheintot. Was weiß der schon vom Leben und den Bedürfnissen der Jugend? Alte Spaßbremse!

Foto eines knallroten Plüschteufelchens vor einer flasche

Herr W in volksfestlicher Stimmlage: Ich möcht´ gern an Biersee/So groß wie der Schliersee/So tief und so frisch/Und ich wär´a Fisch/Ganz tief tät ich sinken/ Und immer nur trinken/Mal langsam mal fix/Und sonst tät ich nix. ****

Jim B.: Da kommt er schon mit den niederschwelligen Angeboten. Seine Kids stehen aber auf harte Jungs – auf uns eben!
Johnny W.: Wir müssen jedenfalls etwas unternehmen, sonst geht es uns wie dem Marlboro-Mann, der liegt schon in den letzten Zügen! Armer Kerl, wird wie ein Aussätziger behandelt, dabei konnte der so gut mit Pferden und dem Lasso. Dem täte eine neue Imagekampagne auch mal gut.
Jim B.: Zu spät für ein neues Image - ist zu kaputt.
Jack D.: Es ist niemals zu spät! Erinnert euch doch nur an den Jägermeister. Der hing doch auch nur noch bei den Grauen Panthern ab, total trostloses Bild hat der abgeben. Und heute ist er wieder der Partykracher bei den jungen Leuten.
Jim B.: Ich glaube, Herr W will unterbinden, dass seine Pubertären gut Freund mit uns werden, dass wir und sie ganz dicke sind.
Johnny W.: Hahaa, eifersüchtig, was? Möchte wohl auch so viel Zuneigung und Aufmerksamkeit von seinen Zöglingen bekommen wie wir. Wer Liebe will, der sollte seine Kids auch besser behandeln. Wenn mir jemand ständig mit dem Muss Muss kommen würde … du musst noch die Hausaufgaben machen! Du musst noch Einkaufen! Du musst um 23 Uhr zuhause sein! Der lebt doch in einer Muss-Muss-Welt, völlig unattraktiv, und kochen soll er auch nicht besonders gut können!
Jim B.: Liebe geht bekanntlich durch den Magen – und da sind wir eben die Profis drin.
Johnny W.: Du sagst es! Ist also selbst schuld, der alte Herr W!
Jack D.: Machst du es dir da nicht zu einfach? Nur weil er nicht gut kochen kann?
Johnny W.: Klar, so einfach isses doch! Deshalb sind wir ja so anziehend. Wir sind die Experten in Sachen einfache Lösungen.
Einfache Lösungen für komplexe Probleme.
Jim B.: Also Jungs, dann auf die einfachen Lösungen! Auf uns! Auf unsere Zukunft - auf die Jugend!

Alle: Auf die Jugend!

*Franz K.
**Marius Müller-Westernhagen
***Titelsong: Percy Stuart
****Franzl Lang
*****Schandmaul

Der kleine rote Plüschteufel ganz allein