Ein guter Start

Das Foto zeigt die Schülerinnen und Schüler in ihrem fröhlich-bunt gestalteten Klassenraum

Erste Erfahrungen in einer inklusiven blista-Klasse

Dr. Imke Troltenier | Seit Schuljahresbeginn 2018/19 geht die blista neue Wege. Zum ersten Mal lernen sehende, sehbehinderte und blinde Schülerinnen und Schüler an der blista von Anfang an zusammen. Im Gespräch berichtet Angelika Kolbeck, Eingangsstufenleiterin an der Carl-Strehl-Schule und Klassenlehrerin der 5a, über erste Erfahrungen.

Eine tolle Klasse

„Die 5a ist eine tolle Klasse, die Kinder sind aufgeschlossen und aneinander interessiert. Dass die Klasse zusammenwächst, hatten wir erwartet, dass es aber so schnell so gut läuft, hat unsere Erwartungen übertroffen“, erzählt Angelika Kolbeck. Natürlich komme es auch vor, dass die Schülerinnen und Schüler streiten und Blödsinn im Kopf haben, das gehöre dazu. Es mache Freude zu sehen, wie die Klasse ihre Gemeinschaft entwickelt und die Kinder immer wieder gut aufeinander achten.

Eine Schülerin an ihrem blindengerecht gestalteten Platz

Die Klasse 5a besteht aus acht Kindern, zwei Mädchen und sechs Jungen. Vier Kinder sehen normal, vier sind hochgradig sehbehindert oder blind. Angelika Kolbeck unterrichtet als Klassenlehrerin das Hauptfach Englisch. In der Planungsgruppe, die das inklusive Konzept zum Carl-Strehl-Gymnasium in den Vorjahren erarbeitet hatte, berichtet Kolbeck, habe sie anfangs argumentiert, dass der inklusive Unterricht erst ab Klassenstufe 7 angeboten werden soll.

Ein Schüler an seinem sehbehindertengerecht gestalteten Platz

Es gab gute Gründe, denn für blinde und hochgradig sehbehinderte Schülerinnen und Schüler ist der Erwerb der Arbeitstechniken grundlegend und zugleich von spezifischer Bedeutung für die Chancengleichheit. Wenn sie damals zunächst die Ansicht vertrat, es brauche dafür in den Klassenstufen 5 und 6 einen Schonraum, so sprachen gleichzeitig viele gute Gründe für die Aufnahme in der Klassenstufe 5. Letztendlich war man sich sicher, dass der Erwerb der Arbeitstechniken im inklusiven Setting gelingt. Denn dafür haben wir als Förderschule einfach die langjährige Expertise. „Es ist tatsächlich toll, zu sehen wie gut das jetzt läuft“, freut sich Kolbeck.

Das Miteinander steht im Vordergrund

Der frühe Beginn hat einen bedeutsamen Vorteil: „In der Klassenstufe 5 profitieren wir von der Unbefangenheit der Kinder. In diesem Alter spielen die Schülerinnen und Schüler noch viel miteinander, sie gestalten Fantasiewelten und sind unvoreingenommen. Es ist nicht wichtig, ob jemand vielleicht seinen Pulli auf links angezogen hat“, erklärt Kolbeck.

Beim gemeinsamen Spielen ergeben sich immer wieder spontane Aktivitäten. Der eine hüpft, die andere springt, die Dritte dreht sich im Kreis oder singt. In der Klasse lernen die Kinder voneinander, probieren sich aus und entwickeln sich weiter. In diesem Alter, so Kolbeck, sei es oft nicht so wichtig, ob etwas gleich, später, anders oder gar nicht klappt: „Das Miteinander steht im Vordergrund. Diese unbekümmerte, leichte, quasi beiläufige Form des Lernens können Pädagogen selbst kaum anleiten.“

Die Kinder spüren, dass wir sie annehmen, wie sie sind

Zwei Fünftklässler arbeiten im Unterricht, der eine mit, der andere ohne Schallschutzkopfhörer

Auch die normal sehenden Kinder fühlen sich in der Klassengemeinschaft gut aufgehoben. Angelika Kolbeck betont: „Unser Lernkonzept unterscheidet sich, es basiert auf dem Be-Greifen, nicht auf abstrakten Herleitungen. Die Schülerinnen und Schüler merken, dass wir dabei die Einzelnen im Blick haben und darauf achten, dass alle die Zeit bekommen, die sie brauchen – diese Möglichkeiten haben wir. Die Kinder spüren, dass wir sie annehmen, wie sie sind und mit dem, was sie mitbringen.“

Die Klassenlehrerin erläutert einer Schülerin eine Aufgabe.

Im Klassenraum haben alle – wie eh und je – ihre individuell angepassten Arbeitsplätze. Neu angeschafft wurde ein Deutschbuch, dessen Arbeitshefte sich durch vielfältig differenzierte Aufgaben auszeichnen. Auch Schallschutz-Kopfhörer wurden gekauft. Die kann sich nun jeder aufsetzen, der sich beim Schreiben vom „Geklapper“ der Braille-Schreibmaschinen gestört fühlt.

Dabei ist es im Unterricht durchaus nicht so, dass die, die besser sehen auch immer schneller arbeiten. „Das Arbeitstempo geht gar nicht so weit auseinander, die einen haben Probleme mit der Rechtschreibung, den anderen fällt die Aufmerksamkeit leichter. Sich von visuellen Reizen bei der Arbeit nicht stören zu lassen, müssen manche erst lernen. Wenn es beispielsweise auf die Konzentration ankommt, dann liegen die blinden Kinder in der Klasse oft vorn. Sie gehen sehr strukturiert an ihre Aufgaben und lassen sich weniger leicht ablenken“, berichtet Kolbeck.

Sie ist sich sicher, dass die Balance, das ausgewogene Zahlenverhältnis von Kindern mit und ohne Seheinschränkungen wichtig ist. Das Gemeinschaftsgefühl der Klasse trägt sich auch in die Freizeit. Zum Kindergeburtstag von Lennja war letzthin die gesamte Klasse eingeladen. Für das soziale Miteinander sind Beeinträchtigungen ohne Bedeutung.

„Wir sind sehr gespannt auf die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung“, sagt Kolbeck. Unter Leitung von Prof. Dr. Wolfgang Meseth vom Institut für Schulpädagogik der Philipps-Universität Marburg werden Karola Cafantaris und Jürgen Braun voraussichtlich in der kommenden Ausgabe an dieser Stelle über erste Ergebnisse berichten.