"Neu entwickeln, neu aufbauen und sich vernetzen. Das ist mein Ding."

Portraitfoto Claus Duncker: Der grauhaarige Brillenträger trägt ein dunkles Jakett, ein helles Hemd und eine hellblaue Krawatte, er lächelt zu den betrachtenden hin

Claus Duncker im Porträt

Thorsten Büchner | Den ersten direkten Kontakt zur blista hatte Claus Duncker seiner Frau Jutta zu verdanken. „Jutta hat während ihres Studiums im Schuljahr 1979/80 an der blista als Mathe- und Physiklehrerin aushilfsweise gearbeitet. Da hatten wir dann ab und zu auch Besuch von Schülerinnen und Schülern in unserer Studenten-WG“, erinnert sich Duncker, der selbst zum Studium 1975 aus dem Ruhrgebiet nach Marburg kam.

Nach dem erfolgreich absolvierten Lehramtsstudium sah es Mitte der 1980er Jahre dann „gerade mal wieder mau aus“, was die Einstellungschancen von Lehrkräften anging und so stieg Claus Duncker als Miteigentümer in dem Marburger Reiseladen ein. „Wir waren ein Kollektivbetrieb, der sich aus mehreren, studentisch geprägten Reiseanbietern aus der Region in Marburg dann zusammengeschlossen hatte.“ Jutta Duncker arbeitete hingegen seit 1985 an der blista als Lehrerin.

Anfang der 1990er Jahre suchte die blista eine Vertretungslehrkraft für Mathematik und Physik. Claus Duncker bewarb sich. „Ich war nicht die erste Wahl, weil ich die Lehrbefähigung für Mathematik und Politik hatte. Ich war aber der einzige Bewerber.“ Duncker wurde somit doch eingestellt, verbunden mit dem Hinweis „Stellen Sie sich maximal auf ein Schuljahr hier bei uns ein, Herr Duncker!“ So war der Start von Claus Duncker an der blista im September 1991. Über 30 Jahre später sitzt Claus Duncker in seinem Vorstandsbüro und blickt auf seine blista-Zeit zurück.

„Wenn ich an meine ersten Jahre an der blista denke, denke ich unweigerlich an das Kollegium in der Carl-Strehl-Schule. Die Atmosphäre war einmalig, freundschaftlich, kollegial und absolut inspirierend. Gerade für einen Anfänger im Bereich Blinden- und Sehbehindertenpädagogik, der ich damals war.“ Neben seiner Lehrertätigkeit arbeitete Duncker auch die ersten zehn Jahre weiterhin in der Reisebranche. „Im Jahr 2000 habe ich dieses Kapitel dann aber abgeschlossen. Die Reisebranche begann sich zu verändern, durch das stärker nach vorne drängende Internet. Und Reisen wurden immer mehr zu einem Konsumgut. Die Leute wollten nicht mehr dort Urlaub machen, was ich ihnen als Reiseziel ausgesucht hatte“, sagt Duncker schmunzelnd.

Zur gleichen Zeit übernahm Duncker an der blista neue Aufgaben. Im komplizierten und langwierigen CI-Prozess (Corporate Identity) übernahm Claus Duncker, zusammen mit einer Kollegin aus dem Internat, die Leitung. Innerhalb der Schule etablierte er die „Berufsorientierung für seheingeschränkte Schüler*innen (BOSS)“ die in modifizierter Form bis auf den heutigen Tag besteht. Er war seit dem Jahr 2002 für die Berufsschule der IT-Ausbildung zuständig und Claus Duncker begann seine große Leidenschaft auch an der blista auszuüben: das Bauen.„Meine erste Baustelle an der blista war der Bau der Schülerbibliothek hier im Schlag 8“, erinnert sich Duncker. Während seiner 15 Jahre im blista-Vorstand wurde annähernd jedes Jahr ein Gebäude im blista-Bestand saniert oder, wie man auf und um den Campus sehen kann, neu geplant und realisiert. „Etwas neu zu entwickeln, neu aufzubauen und sich zu vernetzen. Das war schon immer mein Ding.“

Diese Talente blieben nicht unentdeckt. Dennoch war Claus Duncker „ziemlich überrascht“, als er gefragt wurde, sich um die Nachfolge von Jürgen Hertlein als blista-Vorstand zu bewerben. „Ich bin eher ein Mensch der Zahlen, keiner fürs Repräsentieren und Reden schwingen“, waren die ersten Gedanken damals. So zögerte er bis zum vorletzten Tag der Bewerbungsfrist. „Dann hab ich die Bewerbung doch eingeworfen. Glück gehabt.“

Seit dem 23. März 2007 war Claus Duncker dann blista-Vorstand. „Jetzt, rund um meine Verabschiedung wurde ich oft gefragt: Was macht ein Vorstand eigentlich den ganzen Tag? Nach fünfzehn Jahren weiß ich es eigentlich immer noch nicht so genau.“

Drei Generationen der Vorsitzenden: Jürgen Hertlein, Patrick Temmesfeld und Claus Duncker lächeln zusammen an einem Stehtisch in die Kamera.
Drei Generationen der Vorsitzenden: Jürgen Hertlein, Patrick Temmesfeld und Claus Duncker

Die Redner*innen während der feierlichen Staffelübergabe im blista-Vorstand am 29. Juni im Erwin-Piscator-Haus wussten allerdings ziemlich genau von Dunckers Vorstandstätigkeit zu berichten (siehe Artikel in dieser Ausgabe).
Bei einer so vielfältigen und großen Einrichtung wie der blista, hat Duncker die Erfahrung gemacht, dass es, „gerade als Vorstand darauf ankommt, bei allen dafür zu werben, dass jede Arbeit in jeder Abteilung genauso wichtig für die gesamte Einrichtung ist.“ Dazu gehört es auch, dass „die unterschiedlichen Abteilungen sich gegenseitig wahrnehmen.“ „Wenn man so will, war es meine primäre Aufgabe als Vorstand acht Stunden pro Tag über den Campus zu gehen, zu reden, zu sprechen, zu kommunizieren.“ Deshalb bevorzugte Claus Duncker auch das direkte Gespräch anstatt „des elenden E-Mail-Ping-Pongs.“ Nach dem Motto: „Wieso schreibst du mir eine Mail? Du weißt doch, wo mein Büro ist, oder?“ Einer der wichtigsten Grundsätze während seiner Vorstandszeit war: „Löse möglichst viele kleine Probleme, dann bekommst du keine großen Probleme.“ Mitunter vertiefte sich Duncker dann bis ins kleinste Detail, von anzubringenden Steckdosenleisten in neu zu schaffenden Büros bis hin zur konzeptionellen Weiterentwicklung im pädagogischen und schulischen Bereich.

Besonders stolz ist der scheidende blista- Vorstand auf die bereits seit vierzehn Jahren andauernde, enge Kooperation mit der Philipps-Universität Marburg. „Dass es uns in diesem Jahr noch gelungen ist, die Kooperationsstelle an der Philipps-Universität im Bereich der Blinden- und Sehbehindertenpädagogik dauerhaft zu verankern, gehört zu den ganz besonderen Momenten meiner Vorstandsarbeit. Weil die blista so qualitativ hochwertige Angebote mit wissenschaftlicher Begleitung anbieten kann. Dort hinzukommen hat viel Kraft und Ausdauer abverlangt, aber es hat sich absolut gelohnt.“

Den Ausbau des Leistungssports an der blista zählt der leidenschaftliche Fan von Borussia Dortmund ebenfalls zu den Highlights seiner Amtszeit. „Der Blindenfußball wird bald im städtischen Gassmann-Stadion angesiedelt sein. Wir sind die einzige Schule für Menschen mit Behinderung, die über die Stelle eines Lehrertrainers verfügt. Jetzt haben wir das Label „Paralympisches Nachwuchszentrum“ verliehen bekommen. Die sportlichen Kooperationen mit „Blau- Gelb Marburg“ und mit unserer Partnerschule Steinmühle fördern das Miteinander von Sportler*innen mit und ohne Seheinschränkung. Aber auch die Talente im musikalischen Bereich und die großartigen Leistungen bei der Theaterarbeit haben mich immer sehr beeindruckt.“

Claus Duncker sieht die blista für die Zukunft gut aufgestellt. „Wir haben den gesellschaftlichen Auftrag, an einer Verwirklichung einer inklusiven Gesellschaft mitzuwirken, aufgenommen. In enger Kooperation mit der Selbsthilfe haben wir einen inklusiven Bildungscampus mit einem gemischten und bunten Miteinander aufgebaut. Durch unsere gute wirtschaftliche Situation haben wir genügend Spielraum, um unsere Pläne weiterzuentwickeln und zu verwirklichen.“ Für die Zukunft wünscht Duncker der blista, dass „die Carl-Strehl-Schule und die Montessori- Schule auf dem inklusiven blistaCampus noch enger zusammenwachsen und noch mehr die Chancen des gegenseitigen Austauschs entdecken.“

Angesprochen auf sein persönliches Fazit nach 15 Jahren an der blista-Spitze zögert Duncker kurz und sagt: „In die Position des blista-Vorstands gekommen zu sein gehört zu einem der größten und schönsten Glücksfälle meines Lebens.“ Neben all dem, was er gemeinsam mit dem Team der blista-Mitarbeiter*innen anstoßen und bewegen konnte, „habe ich so viele interessante und spannende Menschen kennenlernen dürfen. Ständig  mit neuen Herausforderungen und Aufgaben konfrontiert zu werden und im Zusammenspiel vieler Akteur*innen Lösungen zu verwirklichen: Das hat enorm viel Spaß gemacht.“

Zukünftig wird sich Claus Duncker verstärkt seinen ehrenamtlichen Aufgaben in unterschiedlichen Vereinen und Organisationen widmen. Und die blista? „Die blista wird zukünftig ohne Duncker-Denke auskommen und daraus werden sich auch ganz neue Entwicklungen und Möglichkeiten ergeben. Das ist auch gut so.“ Aber: Neu entwickeln, neu aufbauen und sich vernetzen wird auch nach seinem Ausscheiden das Motto von Claus Duncker bleiben. Dann aber außerhalb des blistaCampus.