Menschen

Der Keller der 77.000 Bände

Thorsten Büchner * - Alles fing mit Michael Ende an. „Die Spielverderber“ hieß das Theaterstück, bei dem Ellen Taubner während des dritten Studiensemesters die Rolle eines blinden Mädchens verkörperte. „Vermutlich hab ich da angefangen, mich für das Thema Blindheit zu interessieren.“

Das Portraitfoto zeigt Ellen Taubner mit Schirmmütze

Der Traumberuf Bibliothekarin stand da schon lange fest. „Zu meiner Schulzeit habe ich in der Oberstufe die Schülerbücherei geleitet. Ab diesem Zeitpunkt war für mich klar, was ich mal werden wollte.“ Während ihres Studiums von Bibliotheks- und Medienmanagement an einer Stuttgarter Fachhochschule entwickelte sie den Wunsch, ihr Pflichtpraktikum unbedingt an einer Blindenbibliothek zu absolvieren. Da traf es sich gut, dass die blista gerade jemanden suchte, der die neu ins Leben gerufene Schüler­bibliothek betreuen sollte. Im Jahr 2003 verbrachte Taubner dann ein halbes Jahr an der blista, lernte die unterschiedlichen blista-­Bibliotheken kennen und half dabei, die Schülerbibliothek mit Leben zu füllen.

Nach ihrem erfolgreich absolvierten Studium bewarb sie sich dann sofort um eine Stelle an der blista und arbeitet nun schon seit über zehn Jahren in der Schülerbibliothek und der „Emil-Krückmann-Bücherei“, die Punktschriftbücher quer durch die Re­publik auf die Reise zu ihren Leserinnen und ­Lesern schickt.

„In meinem Arbeitsalltag gibt es ziemlich viel Abwechslung“, freut sich Taubner. So nimmt sie Bestellungen der Punktschrift­leserinnen und -leser entgegen, berät und gibt passende Lektüreempfehlungen. ­„Nahezu täglich gehe ich in unser großes Depot im Keller, um die bestellten Punktschriftbücher zu holen oder die zurückgesendeten Titel wieder dort einzusortieren.“ Insgesamt verfügt die „Emil-Krückmann-Bücherei“ (EKB) über 11000 Bücher in Blindenschrift, die aus insgesamt 77000 Bänden bestehen. „Hier auf dem blista-Campus lagern wir die Titel, die regelmäßig ausgeliehen werden. Die äußerst selten oder nie angefragten Titel sind in einer Lagerhalle in Wehrda untergebracht.“ 300 Punktschrift­leserinnen und -leser leihen regelmäßig ­Bücher bei Ellen Taubner aus. „Viele meiner Leser kenne ich dann schon. Einige sind echte Vielleser, die immer Nachschub brauchen.“

In der Schülerbibliothek finden die blista-Schüler Jugendliteratur, Hörbücher und auch Fachbücher, die sie für Referate oder Haus­arbeiten verwenden können. „Da sind vor allen Dingen die Schüler der fünften und sechsten Klasse oft bei mir, um sich spannende Jugendbücher auszuleihen.“ Neue Titel erhält die Schülerbibliothek von Schülern, Eltern oder blista-Mitarbeitern, die ausgelesene Bücher vorbeibringen und der Schülerbibliothek spenden.

Die EKB setzt seit Jahren einen Schwerpunkt ihrer Buchauswahl auf Kinder- und ­Jugendliteratur. Damit Ellen Taubner stets auf dem aktuellen Stand ist, liest sie regelmäßig Magazine, in denen neue Jugendbücher vorgestellt werden. „Darin habe ich schon viele tolle Bücher für unsere Schüler, aber auch für meine eigenen Kinder entdeckt.“

Um das Interesse an Literatur bei den blista-Schülerinnen und -Schülern zu ­wecken, ­organisiert Ellen Taubner gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus der Schule ­regelmäßige Lesungen an der blista. Viele bekannte Autorinnen und Autoren haben in den letzten Jahren ihre Bücher an der blista vorgestellt, es gab Poetry-Slam-Workshops und mehrere Jahre lang eine Schreibwerkstatt, bei der man sich im kreativen Schreiben ausprobieren konnte.

Zusätzlich zu ihrer Arbeit im Bibliotheksteam der blista engagiert sich Taubner seit vielen Jahren im Betriebsrat, seit Anfang des Jahres als stellvertretende Vorsitzende. „Das Tolle ist, dass ich durch diese verantwortungsvolle Aufgabe viele Bereiche der blista und viele Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Abteilungen erst besser kennengelernt habe.“ Selbst auf Reisen und im Urlaub lässt sie das Thema Bücher nicht los. „Eigentlich versuche ich in jeder Stadt, die ich bereise, einen Blick in eine Bibliothek, in die Stadtbücherei zu werfen. So sind wir Bibliothekare halt.“

In ihrer Freizeit würde die dreifache Mutter „gerne mehr lesen. Dazu fehlt mir aber leider meistens die Zeit.“ Kein Wunder. Denn seit zwanzig Jahren ist Ellen Taubner am ­Wochenende als Organistin im Einsatz. Sie begleitet Gottesdienste im gesamten Landkreis an der Orgel, vorwiegend in katholischen Kirchen in Marburg und rund um ihren Wohnort Stadtallendorf. „Manchmal kommt es vor, dass man recht kurzfristig angefragt wird. Und dann muss man einfach losspielen.“ Neben diesem zeitintensiven Hobby spielt sie leidenschaftlich Volleyball und hat sich schon gelegentlich daran versucht, selbst Käse, besonders gerne Mozarella, herzustellen. Kurz nach ihrem Uni-Abschluss arbeitete Ellen Taubner drei Monate auf einer Alm im Schweizer Wallis, wo sie viel über die Käseproduktion gelernt hat. „Sowas würde ich gerne mal wieder machen.“

Aber dann klingelt wieder das Telefon und Ellen Taubner ist wieder mitten drin: Was gibt es für neue Jugendbücher, welche neuen Krimis gibt es in Punktschrift ? Dann berät sie wieder und gibt Tipps für spannende, anregende Lektüre. „Die Alm muss noch ein wenig warten.“ Lacht sie.

[*Öffentlichkeitsarbeit, Foto: privat]