Mein Leben in Marburg
Als Minderjähriger auf der Flucht
Rostam Nazari wurde im Jahr 2000 in Afghanistan geboren. Im Alter von 7 Jahren floh er mit seiner gesamten Familie wegen des Bürgerkriegs in seiner Heimat in den Iran. Im Sommer 2015 floh er von dort nach Deutschland und beantragte Asyl. Rostam hat keine Sehbehinderung, kann also ganz normal sehen. Ab Oktober 2015 besuchte er die Intensivklasse für Geflüchtete an der blista. Als er nach Deutschland kam, konnte er weder lesen noch schreiben. Über seine Erfahrungen in Afghanistan, dem Iran und auf der Flucht, aber auch über sein neues Leben in Deutschland hat Rostam ein Buch geschrieben. „Rostams Reise. Von Afghanistan nach Deutschland“. Der erste Teil, der die ersten 15 Jahre seines Lebens bis zur Ankunft in Deutschland beschreibt, ist auch als Hörbuch bei der blista unter der Bestellnummer 849561 ausleihbar.
Rostam Nazari | Die ersten Wochen brachten viele Erlebnisse mit sich. So besuchte ich in Marburg zum ersten Mal ein Schwimmbad zusammen mit der Wohngruppe und auch im Einwohnermeldeamt wurde ich, zusammen mit meinem Bruder und meinem Cousin, nun offiziell als Marburger eingetragen. In Marburg ging ich auch das erste Mal in eine Moschee, was mich unglaublich glücklich gemacht hat. In Afghanistan war ich noch zu jung dafür und im Iran gab es keine Moschee unserer Glaubensgemeinschaft.
Einige Zeit später gingen wir drei zusammen mit einer Betreuerin neue warme Klamotten und Schulsachen kaufen. 10 Tage nach dem Einzug in die Wohngruppe besuchte uns ein Lehrer und erzählte uns vom deutschen Schulalltag. Zusammen besichtigten wir dann die blista, auf welche wir zukünftig gehen sollten. Die blista wurde uns vom Schulamt zugeordnet. Gleich am ersten Schultag schrieben wir einen Test, damit der Lehrer die Deutschkenntnisse der Geflüchteten einschätzen konnte. Ich konnte zu diesem Zeitpunkt nur meinen Namen richtig schreiben und erreichte im Test deshalb 0 % . Mit der Zeit hatte ich einen geregelten Alltag, welcher hauptsächlich aus der Schule und Lernen bestand. Trotzdem nahm ich mir auch die Zeit, fünf Mal am Tag zu beten.
Während der Zeit in Deutschland dachte ich sehr oft an meine Familie, da ich diese seit der Trennung im Iran nicht mehr gesehen hatte und auch nichts mehr von ihnen gehört hatte. In der Schule verbesserte sich meine Leistung auch, sodass ich eine Stufe höher gehen durfte.
Auch Weihnachten, Silvester und meinen Geburtstag feierte ich zusammen mit meiner Wohngruppe. Diese Feste hatte ich zuvor noch nie gefeiert, da man es in meiner Heimat Afghanistan nicht machte.
Acht Monate waren inzwischen vergangen und ich hatte immer noch nichts von meiner Familie gehört. Doch dann, an einem normalen Abend wie sonst auch, erreichte mich ein Anruf meiner Mutter und ich konnte endlich mit ihr, meinem Vater und den anderen Geschwistern sprechen.
In den folgenden Monaten ging das Alltagsleben für mich normal weiter und ich unternahm mit der Wohngruppe zusammen meinen ersten Urlaub nach Berlin. Im Januar hatten ich, mein Bruder und mein Cousin dann unsere Anhörung. Einen Monat später erfuhren wir von der Ablehnung des Asylantrages. Laut der deutschen Politik gilt Afghanistan als sicheres Herkunftsland, was für mich unerklärlich ist, da dort im Jahr 2015 rund 110.00 Menschen ermordet wurden. Trotzdem scheinen diese Zahlen für die Politiker nichts zu bedeuten. Auch dass in meiner Heimatstadt seit 40 Jahren Krieg herrscht, ist nicht bedeutend für die Politiker. Um meinen Hauptschulabschluss zu machen, wechselte ich Anfang Februar 2017 auf die Sophie-von-Brabant-Schule. Dort machte ich Anfang Mai meine Abschlussprüfungen. Ich hatte nun meinen Hauptschulabschluss mit einem Schnitt von 2,1 geschafft. Worauf ich selbst, aber auch meine Lehrer, sehr stolz waren.
Ende Juni hatte ich Zuckerfest, welches auch „Fest des Fastenbrechens“ genannt wird und am Ende des Ramadans stattfindet. Dort habe ich mich bei allen bedankt, die mir dabei geholfen haben, so weit zu kommen, und dass ich meinen Abschluss schaffen konnte. Obwohl ich nicht viel Geld hatte, habe ich ein kleines Geschenk für meine Helfer gekauft. Aktuell mache ich eine Ausbildung zum Elektriker. Gegen den abgelehnten Asylantrag haben wir Klage eingereicht.
Mit meiner Familie habe ich viel Kontakt. Von dem abgelehnten Asylantrag habe ich der Familie noch nicht erzählt, damit sie sich nicht unnötige Gedanken macht. Wir drei sehnen uns immer noch danach, einmal wieder in unsere Heimat zurückzukehren, jedoch erst, wenn es dort wieder sicher ist. Solange versuchen wir, in Deutschland zu bleiben. Ich bin glücklich, dass ich momentan noch hier sein darf, aber auch traurig, weil meine Familie sich wieder auf der Flucht befindet. Nach Afghanistan können sie nicht zurück und im Iran wollen sie nicht bleiben. Meine Familie ist seit einigen Wochen in der Türkei angekommen. Sie wohnen in einem Keller und haben nicht viel Geld. Das Traurigste ist, dass meine kleinen Geschwister nicht die Schule besuchen dürfen.
Wenn sie krank werden, müssen sie viel Geld bezahlen, weil sie keinen Aufenthaltsstatus in der Türkei haben. Mir ging es hier im Gegensatz dazu gut. Ich konnte zur Schule gehen und darf jetzt eine Ausbildung machen.