Dr. Hans-Eugen Schulze zum 100. Geburtstag

Hans-Eugen Schulze läuft den blista-Berg hinauf

von Imke Troltenier

Die blista gedenkt am 10. April eines Menschen, dem sein großartiges Wirken durchaus nicht in den Schoß gelegt war. „Der blinde Bundesrichter a. D. und Träger des Bundesverdienstkreuzes Dr. Hans-Eugen Schulze war ein Wegbereiter für viele blinde Menschen, die ihren Lebensweg selbstständig und selbstbewusst gestalten wollten. Er ist unseren Schülerinnen und Schülern sicher auch künftig ein großes Vorbild. Dafür ist die blista ihm unendlich dankbar", erklärt Direktor Claus Duncker.

In früher Kindheit erblindet, ging er zunächst auf die Soester Blindenschule und wurde anschließend zum Stuhl- und Mattenflechter ausgebildet. Das damals vorherrschende Blindenhandwerk erlaubte jedoch nur gering entlohnte „Kümmerexistenzen“ unter Aufsicht, zum Teil in geschlossenen Blindenwerkstätten mit Wohnheimen.

Hans-Eugen Schulze absolvierte eine zweite Ausbildung zum Stenotypisten an der blista. Blinde Stenotypist*innen waren zu der Zeit nachgefragte Arbeitskräfte, denn auf der Basis von Braille erstellten sie Mitschriften oft weitaus schneller als ihre sehenden Kolleg*innen. In der Braille-Systematik der Stenografie werden Wörter durch einen oder mehrere Buchstaben abgekürzt und ganze Redewendungen durch wenige Buchstaben dargestellt. 320 Silben pro Minute waren da keine Seltenheit. So erhielt Hans-Eugen Schulze nach seinem Volontariat eine Anstellung als Protokollführer am Landgericht in Dortmund und entdeckte seinen wahren Berufswunsch: Jurist wollte er werden!

Die Allgemeine Hochschulreife erwarb er an der Carl-Strehl-Schule quasi in Rekordzeit: von Ostern 1944 bis Ostern 1945. Bis zur Wiedereröffnung der Philipps-Universität im Jahr 1946 gab er kriegsblinden Menschen Brailleunterricht und studierte sodann Rechts- und Staatswissenschaften. 1948 schloss er mit Auszeichnung ab, promovierte 1951 ebenfalls mit Auszeichnung in Münster und wurde noch im gleichen Jahr zum Richter ernannt. Zunächst am Landgericht Bochum, später am Oberlandesgericht Hamm tätig, war es 1963 durchaus eine Sensation, als man ihn als ersten blinden Richter an den Bundesgerichtshof berief.

Der blista stets auf das Engste verbunden, trat er dem Verein im gleichen Jahr als Mitglied bei. 1997 gründete er mit seiner Ehefrau die Marga Schulze Stiftung zur Förderung blinder und sehbehinderter Mädchen und Frauen in Afrika und Asien. Er beriet über mehr als drei Jahrzehnte die Christoffel-Blindenmission und wurde 2002 Ehrenmitglied ihres Missionsrates (heute Aufsichtsrat).
Im gleichen Jahr wurde er "in Würdigung seines herausragenden Wirkens für die Rehabilitation und Integration blinder und sehbehinderter Menschen in Deutschland und in den Entwicklungsländern" mit der Carl-Strehl-Plakette ausgezeichnet. Gern hat er noch im Jahr 2006 den CSS-Leistungskurs Geschichte beim Landeswettbewerb "Tränen, Trümmer, Tatendrang - Hessen wird 60 Jahre jung" unterstützt. Dr. Hans-Eugen Schulze starb im Alter von 91 Jahren in Karlsruhe.

  • Das große Foto zeigt den blistaCampus im Herbst 1932, das neue "Werkstättengebäude" Am Schlag 10 (rechts unten) war gerade eingeweiht worden. In den beiden Villen auf der Skizze über dieser Spalte waren damals Schule und Internat untergebracht.
  • blista-Dokumentation 2006: Schülerinterview mit Dr. Hans-Eugen Schulze (Foto oben links): www.youtube.com/blistaCampus
  • Zur Laudatio von Dr. Otto Hauck anlässlich der Verleihung der Carl-Strehl-Plakette im Jahr 2002: www.blista.de/carl-strehl-plakette
Blick auf den blistaCampus im Jahr 1932