„Selbständig unterwegs“ Elternseminar des BEBSK an der blista

Vier Erwachsene sind mit Augenbinden und Langstöcken ausgestattet.

von Daniela Wahler

Dieser Erfahrungsbericht über ein Elternseminar an der blista wurde bereits im Magazin „LUPE“ des BEBSK e. V. veröffentlicht. Wir bedanken uns bei der Autorin, Daniela Wahler, und der „LUPE“-Redaktion für die freundliche Abdruckgenehmigung.

Am  Wochenende vom 19. - 20.10.2019 fand an der blista in Marburg ein Elternseminar mit dem Thema „Selbstständig unterwegs – Förderung der Orientierung und Mobilität blinder und sehbehinderter Kinder“ statt. Die beiden Tage waren ein Crash-Kurs in den wesentlichen Grundfertigkeiten der Orientierung und Mobilität. Herr Stollenwerk und seine Kollegen haben uns in theoretischen Beiträgen verschiedene Techniken erklärt und anschließend in vielen praktischen Übungen unter der Augenbinde angeleitet.

Die teilnehmenden Familien kamen mit ganz unterschiedlichen Erwartungen in das Seminar. Während die einen erzählten, dass ihre Kinder kaum zu stoppen sind und mehr Sicherheit in ihrer Mobilität brauchen, berichteten andere Eltern - wie auch wir - von ihren eher zögerlichen Kindern, die überhaupt „in Bewegung“ gebracht werden müssen. Spannend war zu beobachten, dass im Verlauf des Seminars alle Eltern ständig von Aha-Effekten geschüttelt wurden und jede Menge Anregungen mit nach Hause nehmen konnten.

Mein Mann meinte schon am Ende des ersten Tages, er müsse unseren Sohn gleich in den Arm nehmen und sich für seine Ungeduld entschuldigen. Denn es ist verblüffend, wie sehr man unter der Augenbinde die Bewegungsmuster seines blinden Kindes übernimmt und wie schnell man auf die gleichen Probleme stößt. Und wie sehr man als Sehender in seiner visuellen Welt gefangen ist und versucht, diese seinem blinden Kind überzustülpen.

Aber welche Informationen brauche ich wirklich über meine Umwelt, um mich in ihr zurechtzufinden und zu bewegen? Und wie bekomme ich diese Informationen? Geräusche, Klang, Gerüche und Haptik sind durchaus gute Informationsquellen!  

Im ersten Teil des Seminars haben wir uns mit der Orientierung in Gebäuden beschäftigt. Wie identifiziere ich einen Raum und wie erkunde ich ihn? Dazu wurden wir unter der Augenbinde in einen Raum geführt. Wir durften dann erst einmal lauschen und riechen. Ich wurde in eine Küche geführt, das Brummen des Kühlschranks und der Geruch nach Kaffeepulver haben den Raum sofort verraten. Danach haben wir, wie wir es von unseren Trainern erklärt bekommen hatten, systematisch mehrmals den Raum umrundet, um die Anordnung der Möbel zu erkunden und erst danach einzelne Möbelstücke im Detail ertastet. Zuletzt sollten wir versuchen, durch Ausrichten des Körpers zu einem Möbelstück die Mitte des Raumes und die gegenüberliegende Seite zu erkunden. Ich war verblüfft, wie schwer es mir gefallen ist zu begreifen, dass in dieser Küche die Arbeitsplatte um einen Wandvorsprung gebaut war, und dass es zwei Kühlschränke gab.

Danach haben wir uns dem Thema der sehenden Begleitung gewidmet und in Zweier-Teams probiert, unfallfrei durch Türen zu treten, enge Passagen zu bewältigen und Treppen zu steigen. Nachdem wir ein bisschen geübt hatten, hat es viel Spaß gemacht.

Wenn Sie detaillierte Informationen zur sehenden Begleitung haben möchten, können Sie sich den Flyer des DBSV unter folgendem Link besorgen (www.dbsv.org/broschueren.html).
Wichtig für die sehende Begleitung eines Kindes ist, dass das blinde Kind nicht zwingend – wie in der Broschüre beschrieben – den Ellenbogen der Begleitung halten muss, sondern, dass man auch Hand-in-Hand laufen kann. Hauptsache ist, dass das Kind die Hand nicht als Stütze nutzt und selbstständig nebenher läuft. Im Übrigen etwas, das mein Sohn fast nie macht, sodass er dann doch häufig über seine eigenen Füße stolpert oder man ihn nur schwer führen kann. Aber wir haben nun einige Zeit geübt und wenn er Lust hat, können wir mit Langstock richtig die Straße entlang rennen und bei Treppen brauche ich eigentlich nichts mehr sagen, sondern zeige Anfang und Ende einfach durch meine Schrittlänge an.

Im zweiten Teil sind wir nach draußen gegangen und haben das Gehen mit dem Langstock mit und ohne einer sehenden Begleitung geübt. Mir war gar nicht bewusst, wie viel Technik hinter dem Gehen mit einem Langstock steckt.

Der Langstock wird mittig vor den Körper gehalten, der Zeigefinger der führenden Hand liegt locker am Griff in Gehrichtung, der Handballen berührt das Ende des Stocks. Mit jedem Schritt pendelt der Stock auf die Seite des hinteren Fußes, die Pendelbreite ist zu beiden Seiten gleichmäßig und geht nicht über Hüftbreite hinaus. In den zwei Tagen des Seminars habe ich es nicht geschafft, diese Technik so routiniert einzusetzen, dass ich mich noch auf meine Umgebung hätte konzentrieren können. Aber wenn ich nun einem blinden Menschen auf der Straße begegne, erkenne ich fast immer diese Technik wieder.

Ich denke, dass wir als blutige Anfänger*innen alle sehr froh über eine sehende Begleitung waren, um die Dinge, die der Langstock anstößt, erklärt zu bekommen. Nur so konnten wir die Tasteindrücke und die Geräusche des Langstockes am Boden verstehen. Kopfsteinpflaster und Kiesweg fühlen sich gar nicht so unterschiedlich an. Und es macht dann doch einen großen Unterschied, ob man auf einer Straße oder im Park unterwegs ist. Mir ist dadurch bewusst geworden, wie wichtig es ist, meinem geburtsblinden Sohn all die Eindrücke, die er mit dem Langstock sammelt, zu erläutern und ihm die Umgebungsgeräusche immer wieder zu beschreiben. Der Hall in einer Durchfahrt, das Rauschen der Stockspitze auf Asphalt versus das Geklapper auf Kopfsteinpflaster etc.

Der letzte Teil des Seminars war rechtlichen Überlegungen zur Beantragung von Mobilitätstraining vorbehalten. Herr Richter von der rbm gGmbH („Rechte behinderter Menschen – Rechtsberatungsgesellschaft“) hat uns erläutert, dass anders als im LPF-Bereich ein Mobilitätstraining an das Hilfsmittel Langstock gekoppelt ist. Somit kann der Augenarzt oder wie in unserem Fall der Kinderarzt ein Rezept über einen Langstock, zusammen mit einem Mobilitätstraining, ausstellen.

Als guten Rat hat Herr Richter uns mit auf den Weg gegeben, dass wir zum einen den Arzt informieren sollen, dass ein solches Rezept NICHT das Praxisbudget beeinträchtigt und dass der Arzt doch bitte gleich ein Rezept über einen Langstock und einen Ersatzstock ausstellt.

Grundsätzlich sind bei der Beantragung eines Hilfsmittels drei Punkte zu beachten.

  1. Das gewählte Hilfsmittel muss dem Ausgleich einer Behinderung dienen.
  2. Man muss entsprechend versichert sein (Leider decken nicht alle privaten Krankenversicherer die Versorgung eines sehbehinderten Menschen mit einem Langstock ab!).
  3. Das Hilfsmittel ist notwendig, d. h. es dient der Grundversorgung.

Je besser man diese drei Punkte der Krankenkasse darlegt, desto unwahrscheinlicher ist es, dass die Krankenkasse den Antrag ablehnt. Übrigens hat Herr Richter an dieser Stelle auch gesagt, dass das hartnäckige Gerücht, dass einem blinden Menschen im Laufe seines Lebens nur eine bestimmte Anzahl an Stunden Mobilitätstraining zusteht, nicht stimmt. Sind die oben genannten drei Punkte erfüllt, kann man Mobilitätstraining erhalten.

Insgesamt möchte ich allen die Teilnahme an den Kursen der blista ans Herz legen. Ich persönlich war von dem Engagement der Fachkräfte und ihrer immensen Kompetenz beeindruckt. Ich hoffe, ich konnte nicht nur auf das nächste Elternseminar in Marburg neugierig machen, sondern auch die wichtigsten Inhalte vermitteln. Als Lektüre zum Einstieg in O&M wurde uns das Buch „Felix auf Achse - Mobilitätsgeschichten für blinde und sehbehinderte Kinder“ (ISBN-10: 3934890016, ISBN-13: 978-3934890015) empfohlen.

So dann, bis zum nächsten Mal in Marburg!