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Eine Lauchstange und eine Küchenmesser auf einem Küchenbrett

heute: Short Tracks: Pleiten, Pech und Pannen im Wohngruppenalltag

Winfried Thiessen

Upps 1 - Schattenspiele

Noch spendete die hohe Birke im Garten dem Trio auf dem Balkon kühlenden Schatten – doch ihr Schicksal war längst besiegelt, schon bald würde sie einer skrupellosen Kettensäge zum Opfer fallen, aber das ist eine ganz andere Geschichte. Eine leichte Frühlingsbrise ließ die Zweige des Baumes sanft hin und her schaukeln. Herr W hatte es sich auf einem der gut gepolsterten Gartenstühle bequem gemacht. Ihm gegenüber bearbeitete eine junge Brünette mit ihrem Kauwerkzeug gerade geräuschvoll einen Apfel. Bissen für Bissen trennte sie geschickt das saftige Fruchtfleisch vom Krotzen. Ihre blonde Mitbewohnerin hatte sich derweil etwas über die Balustrade des Balkons gebeugt, blickte angestrengt in das dichte Laubwerk der Birke und ergötzte sich mit ihrem kleinen Sehrest am glitzernden Lichtspiel, das die Sonnenstrahlen im maigrünen Blätterwald aufführten. Plötzlich fuhr ihre rechte Hand hoch, zeigte Richtung Birke und sie rief freudig: „Da! Hast du es auch gesehen? Ein Vöglein!“ „Nein, sorry. Ich habe gerade nicht hingeschaut,“ schwindelte Herr W und atmete tief durch. Nur um Haaresbreite hatte die Flugbahn des Apfelkrotzens den Blondschopf verfehlt.  

Upps 2 - schnittig

Herr W wartete schon ungeduldig auf die Rückkehr des Einkaufsdienstes. Er wollte endlich mit den Vorbereitungen für das Abendessen abschließen, aber der junge Mann, der die restlichen Zutaten besorgen sollte, war immer noch nicht da. Die Soße für den Salat war angerichtet; es fehlte der Salatkopf und der Schnittlauch zur Verfeinerung des Dressings. Endlich, in die Wohnungstür kam Bewegung. Kurz darauf stapfte der Einkaufsdienst mit einem vollbepackten Rucksack an Herrn W vorbei und ließ ihn mit einem dumpfen Schlag demonstrativ auf den Küchentisch fallen. Mit den Worten: „War ganz schön viel!“ begann er langsam seine Beute aus dem Rucksack zu fischen und sie auf dem Tisch auszubreiten. „Hier drei Packungen Milch, das Toastbrot, der Eisbergsalat!“ Als nächstes überreichte er Herrn W zwei große Stangen Lauch. „Schnittlauch habe ich nicht gefunden, aber wir können den Lauch ja selber schneiden.“   

Upps 3 – Friday on my mind

Es ist harte Arbeit. Es ist zum Verzweifeln. Es ist frustrierend. In einem fort, immer wieder aufs Neue, unermüdlich versucht Herr W seinen Pubertären zu vermitteln, vor Augen zu führen, näherzubringen, dass sie weder in einer Kfz-Werkstatt noch auf dem Bau tätig sind, dass es für T-Shirts, die den Angstschweiß während einer Matheklausur aufgesogen haben, keiner Doppeldosis Waschmittel bedarf und schon gar keiner Vorwäsche - und überhaupt eine unbefleckte Jeans nicht zwangsläufig jeden Tag gewechselt und gewaschen werden muss, dass die Duftstoffe und Weichspüler nicht für jede Haut das Geeignete sind und die Umwelt für den Verzicht darauf „Danke“ sagen würde. Was war in diesem Jahr nur los mit der Generation Fridays for Future? Die Waschmaschine lief in einer Tour, der Schaum quetschte sich aus allen Ritzen und als er die Waschmaschinentür öffnete: nichts – Moment einmal … doch da: zwei Paar Socken, nein, es waren Füßlinge und ein ganzer Slip - aber immerhin ohne Vorwäsche und nur bei 60 Grad. Das Motiv leuchtet ihm sofort ein: „Mehr hatte ich für die 60 Grad Wäsche nicht.“ Logo, da kann man ja nix für – von ungünstigen Umständen quasi erzwungen! Sein alltägliches Brot. Nicht nur an Freitagen.    

Upps 4 – Oh, Billy Boy*

Herr W klopfte an die Tür und vernahm ein zögerliches: „Ja, herein.“ „Alles klar bei euch?“ rief er in die Runde der beiden Jungverliebten. Sie: „Wir haben da ein Problem.“ Er: „Nein, lass!“ Sie: „Doch! Hol mal raus, los.“ Der junge Bursche kramte umständlich in einer Tragetasche und zog - Herr W konnte es im rötlichen Dämmerlicht erst nach genauerem Hinschauen erkennen - eine durchsichtige riesige Plastikbox heraus, in der sich eine Packung Billy Boys befand. Sie: „Wir kriegen die nicht auf.“ Herr W: „Das haben wir gleich.“ Er fummelte an dem, was er als Öffnungsmechanismus identifiziert zu haben meinte, herum, aber es tat sich absolut nichts. Herr W: „Ich tret' mal drauf!“ Mit Schmackes stampfte er mit einem Fuß auf die Dose. Nichts passierte. Langsam dämmerte es ihm im Halbdunkeln des Zimmers, dass er es hier mit einer Diebstahlsicherung zu tun haben könnte. „Ihr habt die Packung doch nicht mitgehen lassen, oder?“ Die beiden versicherten ihm, dass die junge Verkäuferin die Packung so über den Scanner gezogen hatte und sie außerdem ja auch als Beweis den Bon dabei hätten, dachten sie jedenfalls, denn er war nicht mehr auffindbar. Herr W: „Umtauschen dann wohl eher nicht, oder?“ Sie: „Nie und nimmer, selbst mit Bon. War uns so schon peinlich genug!“ Herr W: „Los, gib mich ma Kohle! Ich sprinte mal eben zur Apotheke an der Ecke. Bin gleich wieder da.“ Herr W schob die Großpackung Billy Boys über die Theke und wurde von der diensthabenden jungen Auszubildenden skeptisch von oben bis unten gemustert. „Für meinen Sohn.“  *Bei Billy Boy handelt es sich um keine Boygroup, sondern um Kondome.

Upps 5 – You are smelling younger than ever

Der Duft von 4711, Kölnischwasser – er bleibt in Erinnerung, prägt sich gnadenlos ein, den vergisst man nie. Seine Großmutter benutzte dieses Wässerchen jeden Sonntag vor dem Kirchgang – überreichlich. Das Eau de Toilette raubte Herrn W jedes Mal die Sinne, wenn er an einem dieser Sonntagvormittage zufällig ihre kleine Wohnung betrat. Alt sein und 4711 – das gehörte für ihn seitdem immer zusammen. Der Omama war's egal.

Gründlich massierte Herr W seine Pflegecreme ein. Nach dem Spülen glichen seine Hände immer einem ausgetrockneten Flussbett. Satina, so hieß die Creme, auf die er absolut nichts kommen ließ. Sie zog schnell ein, hinterließ schon kurz nach dem Einreiben keinen Fettfilm mehr und die Haut fühlte sich gepflegt an - Hand, Gesicht … ein wahrer Allrounder. Er schob sich etwas näher an den Spiegel im Wohngruppenflur, betrachtet sich .... ja, die Creme hatte ihn nicht im Stich gelassen, gut gedient, immer noch frisch wie eh und je. Die Wohnungstür öffnete sich und eine blinde Bewohnerin trat herein. Ihre Nase schoss sofort in die Luft. Sie schnupperte. ihr Gesicht verzog sich zu einer Grimasse: „Mein Gott, was ist das?!“ „Keine Ahnung, was soll sein? Ich creme nur gerade meine Hände ein!“ „Baah, du riechst vielleicht alt!“

Im Moment benutzt Herr W beruflich eine Creme mit Vanille - eine explizit junge Duftnote. Sie braucht zwar lange bis sie eingezogen ist und die Haut fühlt sich auch weiterhin trocken an - aber das Feedback!    

Upps 6 - Golden Trail 2020 – ein musikalischer Gruß vom blistaCampus in die Welt

Es war kurz vor den Weihnachtsferien 2020. „Ich bin dann mal weg. Aber warte mit dem Essen auf mich - ich bin spätestens um acht wieder da!“, hallte es durch den Wohngruppenflur. „Spät, aber gut ich werde es einrichten. Sag Bescheid, wenn es länger dauern sollte!“ rief Herr W dem Sternchen noch aus dem Betreuerzimmer nach. Aber da war die Wohnungstür schon ins Schloss gefallen und Herr W allein. Um 20 Uhr war er immer noch allein und das Essen fertig. Er wartete ungeduldig, aber es kam nicht einmal ein Anruf. Er versuchte, schon etwas genervt, das Sternchen auf dem Handy zu erreichen, aber es ging immer nur die Mailbox dran. Um 21 Uhr dann die zündende Idee - der Freund des Sternchens. Der teilte ihm mit, dass die Gesangsaufnahmen für den blista-Song doch länger als gedacht dauern würden. Das Sternchen hatte ihn, den Sternekoch, einfach sitzen gelassen. Um 22 Uhr schob Herr W die erkalteten Reste der Mahlzeit in den Kühlschrank. Der Song wurde hochgeladen und ins Netz gestellt. Alle Teilnehmenden – natürlich auch sein Gesangssternchen kamen ganz groß raus – jedenfalls in den Kameraeinstellungen, alle perfekt in Szene gesetzt.

Und welche Lehre ziehen wir daraus? Richtig: In der Musikbranche kann man selbst in Corona-Zeiten noch so das eine oder andere für sich herausholen, während die Gastronomie auf ihren Mühen und Kosten sitzen bleibt.

Aber wen interessiert das schon?