Genuss in der Finsternis
Isabella Brawata | Bereits im vergangenen Jahr veranstaltete die blista gemeinsam mit dem alteingesessenen Marburger Geschäft „Wein und Käse“ eine Weinverkostung im Dunkeln. Da die Veranstaltung sich einer so großen Beliebtheit erfreut hatte, wurde das Event kurz nach den Herbstferien erneut abgehalten. Da wir letztes Jahr ein hervorragendes Team waren und es doch heißt „Never change a running system“ haben Wencke Lutz- Gemril, Thorsten Büchner und ich im Dunkeln gekellnert, was uns deshalb nicht schwerfiel, da wir alle blind sind. Thorsten war außerdem wieder unser Allrounder, ein Mittelsmann zwischen der Dunkelheit und der hellen Welt. Wencke und ich blieben vor und während der Veranstaltung im abgedunkelten Raum und blieben daher für die Gäste zunächst unsichtbar. Dafür hatten wir den Vorteil, dass uns eine geheimnisvolle Aura umgab. Alle, die uns nicht kannten, grübelten darüber, wie wir wohl aussehen mögen.
Robert Sabo und Nadine Skurska von „Wein und Käse“ vermittelten kenntnisreich alles Wissenswerte über die dargereichten Weine, edlen Schinken, vielfältigen Käsesorten und außergewöhnlichen Antipasti-Variationen. Cecilia Röhler, Katharina Otto-Kopp und Patrick Temmesfeld sorgten dafür, dass im Hellen alles zügig und reibungslos ablief.
Zunächst wurden die Gäste im Hellen mit prickelndem Sekt und Thorsten Büchners humorvollen Bonmots aufgelockert. blista-Vorstand Patrick Temmesfeld informierte auf interessante Weise über die vielfältige Arbeit der blista. Anschließend wurden die Gäste in die Finsternis geleitet, um sich den Gaumenfreuden hingeben zu dürfen. Diesmal gab es spanische Weine sowie hochwertigen Schinken und zum Teil recht ausgefallene und vielfältige Käsesorten, vor allem aus dem Mittelmeerraum, aber auch aus der Schweiz und Irland.
Da die künftigen Verkoster*innen sich in eine für sie völlig neue und ungewohnte Situation begeben, ist es mir, als blinder Kellnerin, wichtig, sie zunächst von der Dunkelheit ein wenig abzulenken. Deshalb erzähle ich ganz schnell von den Brotkörben und Wasserflaschen und ermuntere die Leute, sich schon mal selbst Wasser einzuschenken und Brot zu nehmen. So schaffe ich auch gleich ein Thema, über das sich die Leute austauschen können: Wie gieße ich mir ohne zu sehen Wasser in ein Glas? Wo ist denn die Flasche Wasser mit Kohlensäure?
Die Weinliebhaber*innen sollen sich in der Dunkelheit so sicher und geborgen fühlen wie sie sich als Kinder in ihrer Deckenhöhle gefühlt hatten. Deshalb stelle ich mich erstmal vor und dann komme ich immer wieder vorbei und frage, ob alles in Ordnung ist. So wissen unsere Gäste, dass sie nicht alleine sind und ich immer für sie da bin. Das Fragen nach den Gästewünschen hat jedoch auch einen ganz praktischen Grund. Im Hellen verständigen sich Restaurantgäste meist mittels Blickkontakt oder Zuwinken. Im Dunkeln geht das nicht. Natürlich können die Besucher*innen des Dunkelevents immer nach mir rufen, wenn sie etwas brauchen, aber durch den ganzen Raum zu schreien, ist für einige unangenehm. Deshalb schaue ich immer mal wieder vorbei.
Das Allerwichtigste ist mir aber, dass sich die Leute einfach nur wohlfühlen. Wenn ich ein Lokal besuche, bin ich glücklich, wenn es gemütlich ist, wenn die Servicekraft freundlich, fröhlich und diensteifrig ist. Daher bemühe ich mich, eine gute Gastgeberin zu sein. Das macht mir auch wirklich Spaß, denn ich komme ursprünglich aus Polen und Gastfreundschaft bedeutet mir viel.
Mir macht es Freude, dem Stimmengewirr zu lauschen. Ich höre Gäste, die sich angeregt über die Geschmacksnuancen des Weines unterhalten, andere tauschen amüsante Anekdoten aus, wieder andere debattieren über politische Themen, wieder andere sind einfach nur neugierig aufeinander und erzählen sich gegenseitig ihre Lebensgeschichten. Also alles wie in einem ganz gewöhnlichen Restaurant. Einige Gäste sind davon fasziniert, dass sie von blinden Menschen bedient werden und nutzen die Gelegenheit, mehr über unseren Alltag und unsere Wahrnehmung zu erfahren.
Die Weinverkostung im Dunkeln war aus meiner Sicht eine rundum gelungene Veranstaltung und wird hoffentlich auch nächstes Jahr im Herbst stattfinden.