„Lea sieht mit ihren Händen"

Lea Respondek  im Therapiecentrum­Voxtrup, ihre Hände liegen auf Rücken und Schulter vor einem Klienten

Erste blinde Praktikantin im Therapiecentrum Voxtrup

Neue Osnabrücker Zeitung | Seit fast drei Monaten macht Lea Respondek (18) in der Physiotherapie-Praxis von Markus Haking und Karl Liess ein Praktikum. Das Besondere daran: Lea ist vollkommen blind.

Wenn sie sich durch die Praxisflure des Therapiecentrums Voxtrup in der Straße Am Gut Sandfort bewegt, tastet sie den Boden mit ihrem weißen Blindenstock ab. In den Übungs- und Behandlungsräumen aber lehnt sie ihn sofort in eine Ecke hinter der Tür. Sie weiß einfach, wo die Behandlungsliege steht und in welcher Ecke der Pezzi-Ball zu finden ist. „Wenn ich mich in einem Raum einmal orientiert habe, kann ich mich schnell daran erinnern“, erklärt sie.

Nur ganz selten braucht sie Unterstützung von ihrem Praktikumsbetreuer, Physiotherapeut Johannes Richter. Meist sprechen die beiden über Fachliches, genauso wie sehende Kollegen das machen. „Ich werde jetzt den Musculus trapezius lösen und anschließend verschiedene Schmerzpunkte in diesem Bereich behandeln“, erläutert sie fachsprachlich, während sie bei einem Patienten die Partie zwischen Schlüsselbein und Schulterblatt massiert.

Mit der Theorie kannte Lea sich bereits vor Beginn ihres Praktikums im Therapiecentrum Voxtrup sehr gut aus, denn schon seit einem Jahr besucht sie die Fachoberschule Gesundheit, die dem Blista-Kompetenzzentrum für Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung in Marburg angeschlossen ist. Dieses Angebot besteht erst seit 2016 und kam für die junge Osnabrückerin wie gerufen. „Ich weiß schon ganz lange, dass ich einmal Physiotherapeutin werden will“, sagt Lea, die im Alter von drei Jahren aufgrund eines Hirntumors erblindete. „Ich arbeite gern mit Menschen zusammen und freue mich, wenn ich ihnen helfen kann.“ Das Praktikum in ihrer Heimatstadt sei bereits ihr fünftes im Bereich Physiotherapie.

Unmittelbar vorher hatte sie am Bildungsinstitut für Gesundheit und Soziales (BFW) in Mainz ein weiteres dreimonatiges Pflichtpraktikum absolviert. Dorthin will sie auch wieder, sobald sie im Sommer 2018 die Fachoberschule abgeschlossen hat, denn das BFW bietet eine Physiotherapeuten-Ausbildung speziell für blinde und sehbehinderte Menschen an.

In Voxtrup begleitet Lea Johannes Richter bei seinen Behandlungen. Mittlerweile hat sie aber auch schon Patienten ganz allein behandelt, etwa mit Triggerpunkt-Massagen oder Fango-Anwendungen. „Am Anfang waren die Patienten recht erstaunt und zum Teil auch etwas befangen“, bemerkt Praxis-Chef Karl Liess. Aber nach wenigen Minuten sei meist das Eis gebrochen, und die Patienten hätten die Praktikantin mit Fragen gelöchert.

„Lea hat in den drei Monaten nicht nur viel Neues gelernt, sondern auch enorme Kraft in ihren Händen entwickelt“, sagt Richter. Mit viel Feingefühl könne sie Schmerzpunkte und Verspannungen ertasten, vielleicht sogar genauer, als Sehende das könnten. „Sie sieht mit ihren Händen.“

Liess wünscht sich, dass Leas Beispiel im Sinne der Inklusion Schule machen wird und dass sich noch mehr Unternehmen als bisher gegenüber Mitarbeitern mit Einschränkungen öffnen, wo immer das möglich ist.
[Foto: David Ebener, weitere Fotos auf www.noz.de]