Menschen: Die Ansprechpartnerin

Porträt von Tatjana Baal
© privat

Thorsten Büchner. Als Tatjana Baal 1994 im Alter von zehn Jahren mit ihren Eltern aus Omsk in Russland nach Deutschland kam, konnte sie praktisch kein Wort Deutsch. „Die einzigen Wörter, die ich kannte, waren: Ja, nein, egal“, erinnert sie sich. In Russland besuchte Baal eine Blindenschule. „Dort lebten wir im Internat. Ich habe mir meinen Schlafraum mit neun anderen Mädchen geteilt. Es war völlig egal, dass ich noch einen Sehrest hatte: Es wurde nur Punktschrift unterrichtet.“ So musste Tatjana Baal mit ihren Eltern Schwarzschrift schreiben und lesen lernen, um ihren vorhandenen Sehrest zu nutzen. In Deutschland angekommen, verbrachte sie die nächsten Jahre an einer Sehbehindertenschule, bevor dann 1998 der Wechsel an die blista kam. „Eigentlich wollte ich nach meinen Erfahrungen in Russland nicht mehr in einem Internat leben, das offene und ausgelagerte Wohnkonzept der blista hat mich aber in der Orientierungswoche direkt überzeugt.“ Insgesamt war ihre Schulzeit an der blista für Baal eine „Zeit, in der ich unheimlich viel gelernt habe“. Beispielsweise habe sie für sich erst in Marburg den Spaß an Sport entdeckt. „Vorher habe ich Sport als unvereinbar mit meiner Sehbehinderung betrachtet.“ Die zunehmende Selbstständigkeit und Selbstbestimmtheit hält Tatjana Baal für die wichtigsten Punkte, die sie in ihrer blista-Zeit gelernt hat. „Das hat mir auch geholfen, mich innerhalb der Familie ein bißchen selbstbewusster zu positionieren“, beschreibt sie ihre Entwicklung.

Nach dem Abitur absolvierte Baal die dreijährige Ausbildung zur Informatikkauffrau an der blista. „Da habe ich aber relativ schnell gemerkt, dass ich es zwar sehr interessant und nützlich finde zu begreifen, zu was man IT-Systeme und bestimmte Programme nutzen kann. Wie sie jedoch funktionieren, dafür habe ich mich nicht begeistern können“, erinnert sie sich lachend. Die kaufmännischen Inhalte, etwa Rechnungswesen und Controlling, haben sie von Anfang an fasziniert. „Die Jungs aus meinem Ausbildungsjahrgang hatten daran kein Interesse, so hab ich die Chance genutzt, und dort „Einzelunterricht“ genommen.“

2008 ging Baal auf Jobsuche und musste die Erfahrung machen, dass sie trotz ihrer kaufmännischen Qualifikationen von den meisten Arbeitgebern lediglich als „Informatikerin“ betrachtet wurde. „Das war ziemlich frustrierend.“

Da kam das Angebot der blista gerade passend. Im Medienzentrum der Carl-Strehl-Schule wurde eine Medienassistenz gesucht. Zu ihren Aufgaben gehört es, den Lehrerinnen und Lehrern bei spezifischen PC-Problemen, egal ob im Software- oder Hardware-Bereich, beratend zur Seite zu stehen und Lehr- und Lernmaterialien digital so aufzubereiten, dass sie für die blinden und sehbehinderten Schülerinnen und Schüler zugänglich sind. „Da geht es oft darum, Grafiken zu verbalisieren und Tabellen, etwa in Wirtschaftslehrebüchern, so zu vereinfachen und abzuwandeln, dass sie besser überblickt und nachvollzogen werden können“, so Baal.

Seit einiger Zeit ist Tatjana Baal die zentrale Anlaufstelle für alle Anliegen rund ums Medienzentrum und hat daher ihren Arbeitsplatz direkt am Eingang. „Ich bin so was wie eine Allzweckwaffe, schaue nach, ob noch genügend Papier vorhanden ist, beantworte Anfragen von intern und extern, stehe für Beratung zur Verfügung und helfe auch Schülern nachzuschauen, welche Materialien wir zu ihren Referatsthemen in unserem umfangreichen Archivbestand haben und vieles mehr.“ Bei dieser organisatorischen Tätigkeit kann sie auf ihre kaufmännischen Kompetenzen zurückgreifen. „Das freut mich sehr.“

Seit zwei Jahren ist Tatjana Baal als gewählte Vertreterin der über 55 blista-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einer Schwerbehinderung tätig. In das umfangreiche Aufgabenfeld musste sie sich erst einmal „reinfuchsen“. „Vor allem geht es mir darum, dass die Kolleginnen und Kollegen wissen, welche Rechte sie haben und dass es einen Ansprechpartner für ihre Probleme, ihre Anliegen gibt.“ So hält sich Baal beispielsweise über das Pflegezeitgesetz und das Behindertengleichstellungsgesetz auf dem Laufenden, um darüber kompetent Auskunft geben zu können. Im Rahmen ihrer Funktion ist sie in verschiedenen Gremien aktiv. Neben der Beteiligung an Bewerbungsgesprächen wirkte sie etwa daran mit, dass der neue Infopunkt auf dem blista-Campus so gestaltet wurde, dass er für alle, gleich welcher Behinderung oder Beeinträchtigung, gleichermaßen les- und nutzbar wurde. Mit beratender Stimme nimmt sie an Betriebsratssitzungen teil.

Als besonders spannende Aufgabe empfand Baal ihre Mitarbeit an der blista-internen Arbeitsgruppe, die in den letzten zwölf Monaten an der Ausstellung „blick:punkte“ gearbeitet hat. „Da habe ich soviel über die Geschichte der blista erfahren und darüber, wie man eine solche Ausstellung konzipiert. Das war ziemlich intensiv und aufregend.“

Zukünftig würde Tatjana Baal gerne eine ­regelmäßige Sprechstunde als Schwerbehindertenvertreterin anbieten und eine persönliche Befragung unter den schwerbehinderten und ihnen gleichgestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durchführen, um „deren Bedarfe und Anliegen herauszufinden.“

In ihrer Freizeit geht die 32jährige gerne tanzen und trifft sich mit Freunden.

* Mitarbeiter Öffentlichkeitsarbeit