Menschen

Das Portraitfoto zeigt Manfred Fuchs vor einem kontrastreichen Plan, der trägt eine Brille und lächelt zu den Betrachtenden hin.

Manfred Fuchs: „Barrierefreiheit nützt allen“

Thorsten Büchner * | 36 Jahre sind eine kleine Ewigkeit. „Es macht immer noch Spaß, hier zu arbeiten“, sagt Manfred Fuchs, als er in seinem Büro sitzt und über seine blista-Zeit nachdenkt. Seine kleine Ewigkeit begann im August 1982, als er seine Ausbildung zum Bürokaufmann bei der blista antrat. „Ich hatte schon seit frühester Kindheit Kontakt zu blinden Menschen, da mein Patenonkel im Krieg erblindete. Daher kannte ich auch schon die sechs Pünktchen der Blindenschrift, die für meinen späteren Berufsweg so wichtig wurden.“ Am Anfang seiner blista-Zeit konnte Fuchs als Azubi in alle blista-Abteilungen „hineinschnuppern“. „Da war vom Schulsekretariat bis zur Betriebsabrechnung alles dabei.“ Berufsbegleitend bildete sich Fuchs zum Betriebswirt weiter und war in den 1980er Jahren damit betraut, die umfangreichen Bauaktivitäten der blista, wie die Errichtung des Gebäudes in Wehrda oder der Sportanlagen auf dem blista-Campus, organisatorisch und seitens der Verwaltung zu betreuen.

1992 wechselte Manfred Fuchs in den medialen Bereich der blista, übernahm die Leitung des Verlages und war fortan hauptsächlich für die Produktion und Weiterentwicklung von Blindenschriftprodukten wie Büchern zuständig. Taktile Abbildungen und Modelle spielten aber auch schon zu dieser Zeit eine wichtige Rolle in seinem Berufsalltag. So war er eng an der Konzeption und Umsetzung des Marburger Planetenlehrpfades und beim „Naturerlebnis Erlensee“ beteiligt.

Zusammen mit dem Team der Braille-Druckerei, damals noch in Wehrda, konnte Fuchs in den darauffolgenden Jahren viele Entwicklungen anstoßen. So wurden etwa die Produktionsabläufe zur Herstellung von Punktschriftbüchern erheblich vereinfacht und automatisiert. „Außerdem kamen in den 90er Jahren immer mehr Aufgabenbereiche dazu, die über die klassische Produktion von Blindenschriftbüchern hinausgingen.“ Durch gesetzliche Regelungen wurde es verpflichtend, dass Medikamentenverpackungen mit Braille versehen werden, um Menschen mit Blindheit eine eigenständige Nutzung der Arzneimittel zu ermöglichen. „Wir von der Braille-Druckerei haben uns daran beteiligt, indem wir den Satz dieser Aufdrucke erarbeitet haben oder Prägungen bestimmter Produkte zertifiziert und beratend unterstützt haben.“ So wurden etwa keine Medikamente auf dem ungarischen Markt zugelassen, deren Beschriftung nicht durch die blista „geprüft und zertifiziert“ wurden. Darauf und auch auf die Entwicklung von Wahlschablonen, die blinden Menschen einen autonomen Zugang an der politischen Willensbildung verschaffen, ist Manfred Fuchs stolz. „Da haben wir in den vergangenen Jahren doch einiges erreicht und helfen können, Standards zu entwickeln“, beschreibt er seine Arbeit, etwa in Fachausschüssen zur Erarbeitung von bestimmten DIN-Normen.

Besonders gerne erinnert sich Manfred Fuchs an den siebten und sehnsüchtig erwarteten Abschlussband der Harry-Potter-Reihe „Die Heiligtümer des Todes“. „Da ist uns das Kunststück gelungen, in Kooperation mit dem Carlsen-Verlag das Punktschriftbuch parallel zum Erscheinen der Schwarzschriftausgabe zu produzieren. Das war eine aufregende und tolle Sache!“ Damals wurden die neuen Potter-Bücher bei mitternächtlichen Lesungen in Buchhandlungen präsentiert, blista-Schüler waren mit von der Partie und lasen aus der druckfrischen Brailleausgabe, die aus sieben Einzelbänden bestand. „Wir hatten das Schwarzschriftmanuskript einige Wochen vor Erscheinen erhalten, um es überhaupt umsetzen zu können. Ich musste bestätigen und die Haftung dafür übernehmen, dass nichts, aber auch gar nichts vom Ausgang des Romans an die Öffentlichkeit gerät“, schmunzelt Fuchs noch heute.

Seit einigen Jahren hat sich der Arbeitsschwerpunkt von Manfred Fuchs hin zur „Entwicklung von barrierefreien und inklusiven Medien“ und zur „Beratung zum Thema Barrierefreiheit“ verändert. Zusammen mit Ilse Feisel und Silvia Schalley berät und unterstützt er Kommunen, Unternehmen, Museen und Privatpersonen dabei, ihre Gebäude, Einrichtungen oder öffentliche Plätze wie etwa Bahnhöfe oder Sehenswürdigkeiten „barrierefrei zu gestalten“. Dabei ist es Fuchs besonders wichtig, „erst einmal genau hin- und zuzuhören, um zu verstehen, welches Anliegen, welche Motivation die Auftraggeber haben.“ Dann geht es darum, gemeinsame Lösungen zu suchen und zu finden, wie etwa ein bestimmtes Kunstwerk für Blinde sinnvoll und zugänglich umgesetzt werden kann oder ob es eher zielführend ist, ein Tastmodell oder einen taktilen Gebäudeplan herzustellen. „Dabei ist mir immer besonders wichtig, die Bedarfe der Betroffenen selbst nicht aus den Augen zu verlieren.“

Deswegen trifft man Manfred Fuchs auf dem blista-Campus, wie er blinden Kolleginnen und Kollegen taktile Abbildungen „zum Testfühlen“ hinhält. „Nur so können wir auch herausfinden, ob das, was wir tun, auch den Sinn und Zweck erfüllt.“
Von der ersten Idee bis zur Einweihung eines Modells können mitunter „Jahre vergehen, weil sich immer wieder Anforderungen und Wünsche ändern. Wenn es dann aber zur Umsetzung kommt „und man sieht, dass ein Tastmodell oder ein Blindenleitsystem seinen Zweck erfüllt, dann sei das „eine wirklich befriedigende und schöne Sache“. In Marburg arbeitet Fuchs, zusammen mit Vertretern der Blindenselbsthilfe und engagierten Aktivistinnen und Aktivisten anderer Behinderungsgruppen, zusammen mit Vertretern des Marburger Bauamts am „Runden Tisch Barrierefreies Bauen“ mit und sucht dort auch stets nach barrierefreien Lösungen, „von denen ja nicht nur Menschen mit Behinderung profitieren.“

In seiner Freizeit liebt es Fuchs, zusammen mit seiner Frau und seinem Hund, ausgedehnte Spaziergänge zu machen oder in seinem großen Garten, einer umgewandelten Kuhweide, tätig zu sein und die Natur zu genießen. „Deswegen freue ich mich immer besonders, wenn wir Anfragen bekommen, bei denen es darum geht, auch blinden Menschen die Schönheit der Natur erfahrbar und erlebbar zu gestalten.“
[Foto: Dr. Imke Troltenier]