„Deutschland braucht Sie alle mit Ihren Talenten”

blista und DVBS feiern 100-jähriges Bestehen. Die Festrede hielt der Schirmherr des Jubiläums­jahres, Bundespräsident a. D. Horst Köhler

Dr. Imke Troltenier. „Zwei Herren sitzen in zwei alten Ledersesseln in der Mitte der Bühne. Beide sind festlich gekleidet …“, den Auftakt zum Festakt der Deutschen Blindenstudienanstalt (blista) und des Deutschen Vereins für Blinde und Sehbehinderte (DVBS) in Studium und Beruf machte die „Audio­deskription“, die Stimme, die für die anwesenden Schülerinnen und Schüler, Mitglieder, Gäste und Freunde mit Blindheit oder Sehbehinderung die wichtigsten visuellen Informationen prägnant beschrieb. Ihr 100-jähriges Bestehen feierten die beiden Vereine am 22. September 2016 mit einem Festakt im Erwin-Piscator-Haus, Marburg.

Zur Eröffnung des Festaktes sitzen blista-Direktor Claus Duncker und Uwe Boysen, 1. Vorsitzender des DVBS, in Sesseln, die bereits im Büro von Carl Strehl standen.

Unter dem Motto „100 Jahre – 100 Talente“ begrüßten blista-Direktor Claus Duncker und DVBS-Vorsitzender Uwe Boysen die rund 900 Gäste. Passend zur Gründung im Jahr 1916, saßen sie in antiken braunen Ledersesseln aus dem Büro von Carl Strehl, der gemeinsam mit Alfred Bielschowsky beide Institutionen mit ins Leben gerufen hatte. Man wolle heute aber nicht nur an alte Größen erinnern und auf 100 Jahre erfolgreiche Arbeit zurückblicken. Ziel müsse es sein, Inklusion im Sinne gleichberechtigter Teilhabe in Bildung und Beruf umzusetzen.

Seit 100 Jahren werden hier Talente junger Menschen gefördert, kommentierte Moderator Andreas Bethke. Der Geschäftsführer des in Berlin ansässigen Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV) berichtete, dass er selbst zu den vielen erfolgreichen blista-Absolventen zähle.

Befähigungen, nicht Beschränkungen müssen im Vordergrund stehen

Bundespräsident a.D. Prof. Dr. Horst Köhler während seiner Rede

Schirmherr Horst Köhler lobte die Jubilare für die Aufarbeitung ihrer Geschichte: „Carl Strehl war ein Anpacker, ein Visionär, ein Social Entrepreneur, Jahrzehnte, bevor es diesen Begriff überhaupt gab.“ Köhler erinnerte zugleich daran, dass noch immer weniger Menschen mit Einschränkungen studieren, als es ihr Anteil an der Bevölkerung vermuten ließe. „Die Politik muss konsequenter Barrieren abbauen“, betonte Köhler. „Es braucht die Grundlage, dass jeder seine ­individuellen Fähigkeiten einbringen kann“. Er hoffe, dass die massiven Sorgen und Einwände der betroffenen Menschen in die Ausgestaltung des künftigen Bundesteilhabegesetzes einfließen.

„Befähigungen, nicht Beschränkungen müssen im Vordergrund stehen“, erklärte Festredner Horst Köhler. Bei der blista stehe die Förderung individueller Talente im Mittelpunkt. Der DVBS biete ebenfalls vielfältige Unterstützungen, lobte Köhler die Jubilare. „Dies ist von unschätzbarem Wert für den Einzelnen und die Gesellschaft. Ich möchte beide Geburtstagskinder ermutigen, sich im Wandel treu zu bleiben“, schloss der ehemalige Bundespräsident: „Deutschland braucht Sie alle mit Ihren Talenten. Greifen Sie nach den Sternen und lassen Sie sich von niemandem sagen, dass die Sterne unerreichbar sind.“

Die meisten Barrieren bestehen noch in den Köpfen

Die Grüße der Landesregierung überbrachte der hessische Minister für Soziales und Integration, Stefan Grüttner (CDU). Dem Ziel einer inklusiven Gesellschaft habe Hessen einen Aktionsplan zugrunde gelegt und prüfe beispielsweise bereits alle neuen Gesetze und Verordnungen darauf, ob sie mit der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen in Einklang stehen. In 14 Modellregionen erprobe man barrierefreie Ansätze. In diesen Prozessen brauche es mahnende Worte und Begleitung, er dankte blista und DVBS dafür, dass sie hier als Partner dem Land stetig zur Seite stehen. „Die meisten Barrieren bestehen noch in den Köpfen und die müssen abgebaut werden“, so Grüttner.

„Ich wäre heute gerne bei Ihnen gewesen“, die Bundesbehindertenbeauftragte Verena Bentele grüßte die Jubilare per Videobotschaft. Die ehemalige blista-Schülerin war bei der ersten Lesung des Bundesteilhabegesetzes im Bundestag unabkömmlich. Es sei ein langer Weg und manchmal auch ein Kampf, die gesetzliche Teilhabe blinder und sehbehinderter Menschen auch gesetzlich sicherzustellen, erklärte Bentele: „Ich wünsche mir, dass viele von Euch und Ihnen diesen Weg mit mir gehen, Sie alle sollten Ihre Stimme nutzen und erheben für die chancengleiche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen, engagieren Sie sich für Ihre Ideen und Konzepte“, ermutigte Bentele.

Expertenwissen ist Voraussetzung für gelingende Inklusion

Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies erzählte, dass er selbst als Schüler der Marburger Martin-Luther-Schule dereinst im gemeinsamen Physikunterricht mit blista-Schülern von inklusiver Pädagogik profitiert habe. „Dieses Expertenwissen“, betonte er, sei eine Voraussetzung für gelingende Inklusion.“

Der blista-Chor unter Leitung von Gundula Kraft während seines Auftrittes

Den kulturellen Rahmen gestalteten der blista-Chor unter der Leitung von Gundula Kraft, die Partnerschule aus St. Petersburg, der Chor des DVBS unter Leitung von Reiner Husel und ein DVBS-Video mit dem Titel 100 Jahre Arbeitswelt.

Die Reden sind unter www.blista.de unter „100 Jahre – 100 Talente“ im Original zu hören. Gerne senden wir Ihnen auf Wunsch auch ein Exemplar unseres Grußwortbandes anlässlich des 100-jährigen Bestehens der blista und des DVBS. Selbstverständlich haben wir neben der Schwarzschriftausgabe auch die Braille-Version erstellt. Ihre Ansprechpartnerin ist Frau Quatram, Tel. 06421 606-101.