Abschied mit stehendem Applaus

Gruppenfoto vom neuen und alten Vorstand, Mitgliedern der Leitungskonferenz, Vertreter*innen de Selbsthilfe und anderen auf der Bühne der Stadthalle. Im Hintergrund ist die Karikatur der Vorstände mit "Danke und viel Erfolg" eingeblendet.

Feierliche Staffelübergabe im Vorstand

Imke Troltenier | Ob im Vorstandsbüro, in den Schulen, dem Zentrum für Barrierefreiheit, der blista-ÖA, auf dem blistaCampus, im Verwaltungsrat oder im fernen München, überall liefen die Vorbereitungen auf Hochtouren, die Übergabe des Staffelstabes von Direktor Claus Duncker an Patrick Temmesfeld stand auf dem Plan. Es wurde organisiert, diskutiert und geübt, geprobt, produziert und gefilmt. Bis zuletzt wirbelte Corona durch die Gästeliste. Aber dann, am 29. Juni 2022, pünktlich um 10:30 Uhr, war es soweit. Mit rund 700 Gästen aus Stadt und Land, Schüler*innen, Azubis, Rehabilitand*innen, Eltern, Kolleg*innen, Alumni und Partnerorganisationen, Freundinnen und Freunden feierte die Deutschen Blindenstudienanstalt e.V. (blista) die Staffelübergabe im Vorstand mit einer bunten, stimmungsvollen Veranstaltung im Erwin-Piscator-Haus. Nach 15 erfolgreichen Jahren wurde Direktor Claus Duncker verabschiedet und Patrick Temmesfeld in seinem neuen Amt als Vorsitzender der blista herzlich willkommen geheißen.

Mit starker Stimme, Charme und Witz führte Moderator Thorsten Büchner durch die Veranstaltung. Als erster Redner skizzierte Andreas Bethke, der stellvertretende Vorsitzende des Verwaltungsrats der blista, das Wirken des Ausscheidenden: „Claus Duncker kam im September 1991 als Lehrer für Mathematik an die blista und folgte damit seiner Frau Jutta.“ Der Geschäftsführer des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV), blista-Alumni und Paralympics-Teilnehmer 2000 Andreas Bethke unterstrich, dass Claus Duncker bereits bei seiner Berufung zum Vorsitzenden im Jahr 2007 als ein zentrales Ziel seiner Arbeit die enge Verzahnung mit der Selbsthilfe der Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung definiert habe. Weiterhin habe er von Anfang an die Schaffung eines attraktiven Lernumfeldes durch Sanierung, Erweiterung und Neubau von Schulgebäuden sowie den Ausbau der digitalen Infrastruktur in den Blick gefasst.

Andreas Bethke steht im grauen Anzug mit weißem Hemd und hellgrauer Krawatte am Rednerpult auf der Bühne. Im Hintergrund sitzen Schüler*innen der CSS, im Vordergrund sieht man ein paar Köpfe des Publikums.

„Chancen der Weiterentwicklung erkannt“

„Als im Jahr 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) in Kraft trat, erkannte er die Chancen der Weiterentwicklung und verfolgte die Öffnung der blista für sehende Schüler*innen. Das Motto der 100-Jahrfeier ‚Inklusion braucht Qualität‘ war zugleich Programm“, erinnerte Bethke. Der Ausbau zu einem inklusiven Bildungscampus sei in enger Kooperation mit der Philipps-Universität Marburg erfolgt, die sich zeitgleich zu einem wichtigen Wissensstandort zum Thema Blindheit und Sehbehinderung entwickelt habe.

Mit der Integration der Montessori-Schule und dem Aufbau des Montessori-Kinderhauses sei der inklusive Campus gewachsen. Auch der mediale Bereich der blista habe sich mit seiner Unterstützung zu einem der bedeutendsten Zentren für Barrierefreiheit entwickelt. „Dank deiner Führung ist mit der Seniorenberatung, dem Standort Frankfurt/Main und nicht zuletzt durch die Entwicklung zum Paralympischen Nachwuchszentrum eine Erweiterung der Angebote erfolgt. Die blista hat dir so viele Impulse und Meilensteine zu verdanken, dafür unseren herzlichen Dank!“, sagte Bethke und richtete den Blick in die Zukunft: „Mit Patrick Temmesfeld hat die blista einen wunderbar kompetenten und engagierten Nachfolger für den Vorsitz gewinnen können, der sich bereits durch seine Tätigkeiten in Friedberg, Schleswig, Nürnberg und als Co-Vorsitzender des Verbandes für Blinden- und Sehbehindertenpädagogik einen Namen gemacht hat.“
Auch das Grußwort des Bundespräsidenten a.D. Horst Köhler brachte großen Dank für das Engagement für die blista und ihre Schüler*innen zum Ausdruck. Er verfolge die Arbeit der blista mit Aufmerksamkeit und wünsche Claus Duncker alles Gute.

Selbstständig und selbstbestimmt leben und lernen – stimmt das alles denn? Humorvoll und gutgelaunt „beamte“ sich Moderator Thorsten Büchner so-gleich per Video auf den blistaCampus, landetet mal im naturwissenschaftlichen Unterricht, mal beim Goalballturnier der Klasse 5 und fand allerorts Bestätigung.

„Die Sehenden das Sehen gelehrt“

„Dass es bei Ihnen immer lustig wird, das weiß ich inzwischen ja schon“, sagte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies zu Beginn seiner Ansprache schmunzelnd. Da könne sich manch eine Schule ein Vorbild nehmen. Für die Stadt Marburg sei die Zusammenarbeit mit blista-Direktor Claus Duncker sehr fruchtbar und vertrauensvoll gewesen. „Sie haben die Sehenden das Sehen gelehrt, wenn es um Inklusion geht“, betonte er und fuhr dankend fort: „Sie haben das Bewusstsein für die Belange blinder und sehbehinderter Menschen in die Stadtgesellschaft getragen und die Stadt besser gemacht.“ Er vertraue auf eine weiterhin so gute Zusammenarbeit mit seinem Nachfolger Patrick Temmesfeld, der als Geschenk fürs nächste Jahr den VBS-Kongress des Verbands für Blinden- und Sehbehindertenpädagogik e. V. (VBS) mitgebracht habe.

Das Grußwort von Jürgen Dusel, dem Behindertenbeauftragten der Bundesregierung, verlas Markus Biber, Montessori-Gesamtleiter der blista: „Mit der blista verbindet mich viel. Einige von Ihnen wissen es vielleicht: Mein Vater, der als kleiner Junge im Krieg blind wurde, ist hier zur Schule gegangen. Ich selbst habe an einer Regelschule Abitur gemacht - zu einer Zeit, in der viele noch gar nicht wussten, wie man das Wort „Inklusion“ schreibt.“ Er sei fest davon überzeugt, dass das gemeinsame Lernen wichtig sei: wichtig für Schüler*innen mit Behin-derungen, aber vor allem für die ohne Behinderungen; wichtig für eine offene, diverse und inklusive Gesellschaft und wichtig für Menschen, die später einmal Personalverantwortung übernehmen, damit sie wissen, welche Potenziale in Menschen mit Behinderungen stecken.

„Demokratie braucht Inklusion!“

Deshalb laute das Motto seiner Amtszeit: „Demokratie braucht Inklusion!“ „Demokratie und Inklusion sind zwei Seiten derselben Medaille. Nur ein Staat, der inklusiv denkt und inklusiv handelt, ist aus meiner Sicht wirklich demokratisch“, führte Dusel aus. Der inklusive Bildungscampus unter dem Dach der blista als bundesweit anerkanntes Kompetenzzentrum für Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung sei ein absolutes Vorbild. Er freue sich darauf, hoffentlich bald seinen Marburg-Besuch nachholen zu können und sich von Herrn Temmesfeld, der jetzt in große Fußstapfen trete, das inklusive Konzept der blista zeigen zu lassen.

Der frisch gewählte DBSV-Präsident Hans-Werner Lange hob hervor: „Die Faszination und Einzigartigkeit der blista, die bei ihrer Gründung als erste Einrichtung, die blinden Menschen einen gymnasialen Abschluss ermöglichte, diese Faszination gelang es Claus Duncker fortzusetzen.“ Als bundesweites Kompetenzzentrum für Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung gelinge es, Talente zu fördern und jungen Menschen mit Behinderungen ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Inklusive Bildung sei ohne die blista und ohne spezielle Angebote mit Fachkompetenz nicht vorstellbar. Die Zusammenarbeit habe ihm immer Spaß gemacht.

Ulrike Bauer-Murr, Co-Vorsitzende im VBS und Geschäftsbereichsleiterin bei der Nikolauspflege, erinnerte sich daran, dass Claus Duncker als Leiter des VBS-Arbeitskreises der Einrichtungsleiter*innen den Austausch der 70 Einrichtungen im deutschsprachigen Raum gefördert und dabei die Interessen der Schüler*innen in den Mittelpunkt gestellt habe. Sie dankte für die gute Zusammenarbeit. Ihrem VBS-Vorstandskollegen, Patrick Temmesfeld, wünschte sie für die neuen Aufgaben alles Gute und viel Erfolg.
Im zweiten Video-Beam "landete" Moderator Büchner auf dem blistaCampus zunächst im Büroschrank der Verwaltungsleiterin Irene Noll und erkundigte sich aus Schabernack, wie es denn um die finanzielle Lage bestellt sei. „Für den Neubau reicht es!“, stellte die für die Finanzen der blista Verantwortliche fest und hielt ihm unerschrocken einen klimpernden Sparstrumpf entgegen.

Ich würde es wieder tun!

Nun stand der scheidende Direktor selbst am blumengeschmückten Redenpult:
"Vor 15 Jahren und 98 Tagen stand ich zu meiner Amtseinführung hier“, berichtete Claus Duncker und fuhr fort: „Wenn ich mich noch einmal entscheiden müsste, ob ich das Amt annehme, ich würde es wieder tun! Junge Menschen in ihrem Lebensweg zu unterstützen, ist eine schöne und wichtige Aufgabe. Und wenn es darum geht, dass blinde und sehbehinderte die gleichen Chancen haben wie sehende Menschen, dann besonders.“
Der blistaCampus setze keine Grenzen für Menschen mit und ohne Behinderung und biete alle Möglichkeiten für ein gemischtes und buntes Miteinander. Gleichwohl dürfte dies nicht auf Kosten der Qualität gehen. Da habe die Kooperation mit der Philipps Universität Hervorragendes ermöglicht. Neben der Gestaltung der Angebote im Zuge des technischen Fortschritts und der medialen Versorgung blinder und sehbehinderter Menschen sei es der Sport, der zu seinen schönsten Aufgaben gezählt habe. Seinen besonderen Dank richtete er an dieser Stelle an den Hessischen Behinderten- und Rehabilitations-Sportverband e.V. (HBRS): „Die Entwicklung zum Paralympischen Nachwuchszentrum wäre ohne den HBRS nicht möglich gewesen.“ Claus Duncker zeigte sich zuversichtlich: „Wir leben in stürmischen Zeiten, aber die blista ist auch für die hohe See gut gerüstet! Es war mir eine Freude und eine Ehre, mit dem blista-Team zusammenzuarbeiten.“ Sein abschließender Dank und ein großer bunter Blumenstrauß galten Ehefrau Jutta. Es folgte ein langanhaltender Applaus mit stehenden Ovationen.

Schließlich ergriff Patrick Temmesfeld das Wort: „Ja, wir feiern ein besonderes Moment, den Abschied und den Respekt vor einem Lebenswerk. Das ist für uns alle sehr emotional.“
Seine Ansprache gliederte er in: DU, WIR, ICH, SIE, DANKE. „DU, lieber Claus,“, führte er aus, „hast einen stabilen, festen Weg gebaut. Den gehen wir sehr gerne weiter. Allgegenwärtig, blitzgescheit und ausgestattet mit einem unglaublichen Gedächtnis - wir werden dich schrecklich vermissen! WIR sehen uns dank dir gut aufgestellt und vorbereitet. ICH freue mich unglaublich, hier zu stehen und die neue Aufgabe anzunehmen. Ich glaube, es ist kein Zufall, für mich schließt sich ein Kreis. In Hessen habe ich meine Arbeit als Blinden- und Sehbehindertenpädagoge aufgenommen, nun, nach 26 ½ Jahren Berufsleben und drei Jahren Vorarbeit an der blista ist es ein schönes Gefühl angekommen zu sein. SIE: Die Bandbreite der Herausforderungen ist groß, und dafür gibt es im Miteinander tolle Potenziale – an der blista, in unserer Stadt, im Landkreis und einem Bundesland, das sich für uns einsetzt. Sein herzliches DANKE an Claus Duncker unterstrich Moderator Thorsten Büchner mit der Bitte an den Verwaltungsrat, die Leitungskonferenz, die Vorsitzende des Betriebsrats, die Schüler*innen- und die Schwerbehindertenvertretung, sich stellvertretend für alle Gäste auf der Bühne zum Abschlusslied zu versammeln.

Patrick Temmesfeld hält den übergebenen Staffelstab, einen verkürzten weißen Stock, für das Publikum in die Höhe, während Claus Duncker etwas dazu sagt.

Vorher aber wurde er noch von Claus Duncker an Patrick Temmesfeld übergeben: Der Staffelstab in Form eines kleinen weißen Blindenstocks.

… ohne Musik? Undenkbar!!

Was wäre eine Staffelübergabe ohne Musik? Undenkbar!! Da hatten sich junge Musikerinnen und Musiker aufgemacht und wochenlang unter der Leitung von Olaf Roth vier Stücke für diesen Tag eingeübt. Chor und Band „Blind Gold“, spielten zusammen mit den Schüler*innen der Gitarrenklassen 5 unter Leitung von Karl Reissig das Stück „HYMN“ von Barcley James Harvest. Auch „Have you ever seen the rain" der Klassiker der US-amerikanischen Rockband Creedence Clearwater Revival hob die Stimmung der vielen Besucher*innen. Danach überzeugte die Interpretation des Pharell Williams-Songs "Happy" durch seine Leichtigkeit und viele der Gäste klatschten im Rhythmus mit. Die Staffelübergabe wurde mit dem "Irischen Segen" und den schönsten Wünschen von der Lieblingsinsel des scheidenden Vorsitzenden abgeschlossen.

Auf der Bühne des Erwin-Piscator-Hauses sitzen von links nach rechts das Gitarrenensemble der Fünftklässler*innen, blista-Band Blind Gold und der Chor.