Und es hat "Zoom" gemacht -

Erste online Live-Lesung der DBH übertrifft alle Erwartungen!

André Tolzmann | Anlässlich des bundesweiten Vorlesetages am 20. November beschritt die Deutsche Blinden-Hörbücherei (DBH) Neuland und stellte für ihre blinden und sehbehinderten Hörer*innen eine Live-Lesung auf die virtuelle Bühne. Gemäß dem Motto des Vorlesetages "Europa und die Welt" konnten die Hörer*innen per Telefon, PC, Tablet oder Smartphone am Zoom-Meeting teilnehmen und sogar im fernen Japan wurde begeistert gelauscht.

Foto des Vorlesestudios mit Sprecher bei der Arbeit

Was rein technisch als Onlinekonferenz über die Plattform „Zoom“ daherkam, sollte sich für die Zuhörer*innen schnell wie eine Präsenzveranstaltung anfühlen. Die Videosignale wurden dunkel, die Stimmen verstummten und 200 Ohren waren auf das Studio 1 der Deutschen Blinden-Hörbücherei in der mittelhessischen Universitätsstadt gerichtet.

„Montag, 23. Juni 2014. Auf dem kleinen Empfang, der anlässlich meines Ausscheidens aus dem Polizeidienst des Staates New York veranstaltet wurde, sah ich Stephanie Mailer, die sich unauffällig unter die Gäste gemischt hatte, zum ersten und letzten Mal.“ Das waren die ersten Worte der eindrucksvollen Vertonung des Kriminalromans „Das Verschwinden der Stephanie Mailer“ von Joël Dicker. In der ca. 20-minütigen Lesung ließ der Sprecher, Michael Remer, die Zuhörer*innen in die Geschichte eintauchen. Mit einer Mischung aus leisen, graziösen Betonungen sowie lauter werdenden Spannungsbögen sorgte Remer für echten Nervenkitzel. Dass der Funke auf die Zuhörer*innen übersprang, wurde in der anschließenden Diskussion deutlich. Dann war das Studio 4 mit einem ganz anderen Genre an der Reihe. Vorgetragen wurde das in den Medien sehr kontrovers diskutierte Sachbuch „Schaden in der Oberleitung – das geplante Desaster der Deutschen Bahn“ von Arno Luik. Bevor die Sprecherin Martina Schlegl begann, sprach sie eine „Triggerwarnung“ aus, da das Buch einige Passagen enthält, die für manche Zuhörer*innen verstörend sein könnten.

Rund 30 Minuten waren Zuhörer*innen und Sprecherin gleichermaßen gefesselt von den Enthüllungen, welche dieses Buch bereithält. Die dargestellten Mängel, insbesondere beim Brandschutz, weckten tatsächlich bei vielen Ängste und mehrfach wurde die Hoffnung geäußert, dass Stuttgart 21 in dieser Form doch niemals an den Start gehen möge.

Nach zwei kurzweiligen Stunden ging die Premierenlesung mit dem allgemeinen Tenor zu Ende, dass solche Veranstaltungen in Zeiten des Lockdowns unbedingt wiederholt werden sollten. Dies unterstrich auch die Mail einer blinden Hörerin aus Japan: "Die vollen zwei Stunden habe ich genossen, es hat sich 100%ig gelohnt, dass ich um halb zwei nachts den Wecker gestellt habe ...".