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Das Bild zeigt übereinanderliegende Smartphones, das Display zeigt verschiedene Apps. Auf und neben den Smartphones liegen viele bunte Smarties.

Heute: Viele, viele bunte Smarties!

Winfried Thiessen* | „Kannst du dich noch an die Zeit erinnern …“, hat mich neulich Abend mein alter Bekannter, der Herr W, gefragt, „ … als auf acht Bewohner einer blista-Wohngruppe ein einziges Telefon kam?“ In seiner Stimme klang so etwas wie Wehmut mit. Mir völlig unverständlich. Gott sei Dank sind die analogen Zeiten vorbei, meine Meinung.

Es ist ja jetzt kein Geheimnis, dass der noch immer kein Smartphone besitzt – doch wirklich! Der wischt ja nicht, der tastet noch immer, so wie seine Blinden, wenn du verstehst, was ich meine. Er ist ja jetzt der Gehandycapte in den schwachen Augen seiner Schützlinge, so völlig ohne Smartphone – ausgegrenzt von Teilhabe und Teilnahme. Inklusion findet ohne ihn statt. Der ist noch nicht mal bei WhatsApp – will aber bei allen Dingen trotzdem immer das letzte Wort haben. So sind die eben, die Pädagogen – zurückgeblieben, technisch gesehen.

Das ist ja sogar so gewesen, dass der in seinem Alter bis vor kurzem noch nicht einmal den Unterschied zwischen einem Smartphone und einem iPhone kannte. Der war ganz überrascht, als man ihm sagte, dass da sogar Glaubenskriege drum geführt werden. Er ist ja in dieser Hinsicht mehr oder weniger Atheist mit seinem uralten Nokia-Handy. Nicht, dass du jetzt denkst, der ist total anti-Smartphone eingestellt, aber genervt von den Smartphone-Usern ist er schon manchmal. Der hat ja richtige Smartphone-Junkies in seiner Wohngruppe, behauptet er jedenfalls. Der sagt: „Setz’ die in der Wüste aus und gib ihnen die Wahl zwischen einer Flasche Wasser und ihrem Smartphone.“ – Jetzt könnte man es auch so sehen, dass ein Smartphone dir Orientierung geben kann oder einen Hilferuf ermöglicht – und was kann Wasser? Aber so denkt er eben nicht. Der hat da ja in diesem Bereich deutliche Entwicklungsdefizite, meine Meinung. Ich sag’ zu ihm immer: Schaff dir so ein Ding an und du wirst sehen, was du davon hast. Aber mein alter Bekannter, der lächelt dann immer nur vielsagend.

Neulich hat er sich vielleicht so was von erschreckt, behauptet er. Da sitzt er in der Küche, hängt so seinen analogen Gedanken nach und auf einmal: ein markerschütternder Schrei auf dem Etagenflur, der ihm so richtig ins Gedärm fährt – fast hätte er seinen Cappuccino verschüttet. So ein alles durchdringendes: „Ooohh Gooott!“ Er wollte schon in den Flur stürzen, denn wenn in seiner analogen Welt ein Mädel so einen Schrei ausstößt, denkt er doch, dass er mit dem Schlimmsten rechnen muss: „Oh Gott, ich bin schwanger“ oder vielleicht „Oh Gott, mein Freund hat mich betrogen“ oder so … und nicht: „Ooohh Gooott – ich hab ja keinen Akku mehr!“ Saft laden vergessen, mehr war da nicht – und dafür die ganze Aufregung.

Seine Pubertären, in dem Institut für visuell Herausgeforderte, die haben ja alle eins.

Und wenn er mit denen am Frühstückstisch sitzt, dann ist er der Einzige der keinen Ge-sprächspartner hat – alle sind verbunden mit dem Rest der Welt, den Nicht-Behinderten. Inklusionsoverkill – und mein Bekannter ist jetzt sozusagen das Inklusionsopfer! Er glaubt, die würden nicht mal merken, wenn er an seinem Essen ersticken täte. Dann tröstet er sich immer damit, dass das alles nur Illusion ist, also das mit den Kontakten, dass die nicht wirklich wirklich sind. Du merkst, er ist nur ein frustrierter, einsamer Ahnungsloser – abgehängt von Teilnahme und Teilhabe. Ich meine, warum sollten die sich auch mit ihm unterhalten wollen, wo er als Pädagoge doch sowieso alles immer besser weiß und er mit seiner Meinung immer allein da steht – dass man beim gemeinsamen Frühstücken, das Smartphone auch mal ausmachen könnte.

Beim Abendessen da gibt er sich stets Mühe Small Talk zu machen, damit die Kaugeräusche nicht so rüberkommen – weil, für sein Alter hat er noch ein gutes Ohr. Da redet er also so daher, dies und das – wahrscheinlich hört ihm eh keiner zu –, und auf einmal wird sein Gegenüber so was von laut, brüllt ihn fast an. Da hat er kurz überlegt, was er wohl Falsches gesagt haben mag. Bis er dann merkte, dass der sich schon vor längerem aus den Tischgesprächen ausgeklinkt haben muss. Der hat seine Nachrichten durchgelesen und war sie jetzt eine nach der anderen am Beantworten. Das hatte meine Bekannter noch gar nicht gekannt, das Umwandeln von Sprache in Text und umgekehrt. Da hat er wieder was gelernt – dass du dich nicht immer gleich angesprochen fühlen musst, wenn jemand in deinem Beisein was sagt. Und das kennt er ja schon, das Phänomen, – wenn er fragt, ob ihm mal jemand beim Kochen helfen kann oder so. Dann: keine Reaktion bei den Pubertären. Könnte ja auch eine Sprachnachricht von ihm an sonst wen sein.

Gut, es ist auch kein Wunder, dass mein alter Bekannter, der Herr W, mit der schönen neuen digitalen Welt fremdelt, wenn nichts mehr ist wie es einmal war. Vor allem bei der Kommunikation mit seinen Pubertären, da ist er öfter gefordert – weil, er beherrscht die modernen Regeln noch nicht. Als Pädagoge hat er damals zum Beispiel gelernt, dass es unfein ist, wenn man miteinander redet, dass der andere dabei telefoniert, whatsapped oder sonst was tut. Jetzt ist aber die neue Regel, dass das die Regel ist, heutzutage. Du siehst, wie wichtig Fortbildung ist, du darfst auch als Pädagoge nicht denken, was du mal als junger Mensch gelernt hast, wäret ewiglich – du musst dich selbst auch weiterentwickeln.

Beim Smartphonen gibt es ja kaum natürliche Unterbrechungen oder Pausen. Du musst ja ständig auf was reagieren – kennst du ja selber von dir. Du musst sozusagen immer am Ball bleiben. Jetzt, wie stellst du Kontakt mit deinem Gegenüber her, wenn du selber kein Smartphone besitzt? Mein alter Bekannter, der Herr W, dachte zunächst, das wäre im Grunde so wie beim Fußball: du setzt eine Blutgrätsche an, also ein hartes Tackling, und dann sind die Pubertären mit ihrer Aufmerksamkeit ganz bei dir. Jetzt sind die aber aus einem ganz anderen Holz geschnitzt als Fußballer. Nun hat er sich gefragt, was er da falsch macht. Du ahnst es, er beherrscht die neuen Kommunikationsformen noch nicht – da ist er erst über den amerikanischen Präsidenten drauf gekommen. Seitdem twittert auch er – kurze Botschaften statt lange Monologe – also er nutzt die Lücke in der Abwehr. Da musste er erst mal drauf kommen.

Jetzt behauptet er aber, dass diese Art von Konversation nichts bringt, weil die Pubertären bekommen trotzdem wenig mit von dem was er sagt. Die wiederum behaupten das Gegenteil, dass sie sehr wohl telefonieren und whatsappen können und gleichzeitig mit dem nokiabehinderten Herrn W Konversation machen können. Aussage gegen Aussage – wem willst du jetzt glauben? Und – hätte er ein Smartphone, dann gäbe es das Problem ja gar nicht. Und würde er sich wirklich auf die Konversationsregeln einlassen, aber nein … dabei ist es so einfach: „Gleich Moment!“ heißt für Herrn W Redepause, denn sein Gegenüber muss gerade mal checken, was da wieder so an Botschaften reingekommen ist. „So, ja jetzt“ heißt fertig gecheckt, du darfst weiter reden– aber immer daran denken Kurzbotschaften, nicht mehr als 140 Zeichen! Aber seit neuestem ja 280, wenn das mal nicht ein Fehler ist. Das Meiste was man meint, in die Welt posaunen zu müssen, wird ja nicht mit jedem Zeichen besser – im Gegenteil, meine Meinung, kennst du ja von dir selber.

Gut, nun geht die Konversation mit seinen Pubertären so eher schleppend voran und ändert ja oft auch die Richtung – gerade wenn mal wieder was Emotionales reingekommen ist wie: „Liebst du mich nicht mehr? Du hast dich schon seit zwei Minuten nicht mehr gemeldet!“. Aber so ist das eben heutzutage. Jetzt wollen wir gar nicht das Fass aufmachen, wer nun Schuld am Beziehungsende seiner letzten Konversationspartnerin war. Ich bin ja der Meinung, dass er das Smartphone vielleicht doch nicht hätte verstecken sollen, wie man so munkelt.
 
Aber es gibt auch schöne Momente mit dem Smartphone für meinen Bekannten, vor allem wenn es um Kindheitserinnerungen geht. Kennst du noch den Wackeldackel hinten auf der Hutablage in Opas Auto, der so beim Fahren mit seinem Kopf hin und her pendelte? Da sitzen meinem alten Bekannten beim Abendessen gleich drei seiner weiblichen Schützlinge gegenüber. Teller vor sich, Smartphone daneben, verständlich, weil du brauchst ja hin und wieder beim Essen beide Hände – also für‘s Besteck – was an und für sich schon ärgerlich ist, du hast ja nur zwei Hände. Ich sag‘: Eindeutig Fehler der Schöpfung, denn neue Nachrichten kommen ja im Sekundentakt herein. Jetzt klar, Seheinschränkung, da musst du näher ran ans Display, also pendelt der Kopf vom Teller rüber zum Smartphone und runter zum Display und wieder hoch und zurück zum Teller, einen Happen in den Mund, und das Köpfchen geht wieder rüber zum Smartphone und runter und … – hin und wieder sogar synchron. Da wird ja jetzt schon immer häufiger von digitalem Blindismus gesprochen.
 
Neulich hat mein guter Bekannter Pizza gemacht, hat sich abgerackert: Teig kneten, Teig ausrollen und ab damit aufs Blech. Dabei ist er richtig ins Schwitzen gekommen, sagt er. Derweil sitzt sein pubertärer Helfer am Küchentisch, fingert stoisch an seinem Smartphone herum, zwischendurch legt er ein paar Oliven auf die Pizza, verteilt dann noch den Käse, also den, den er nicht schon vorher gegessen hat – weswegen mein alter Bekannter immer so gestresst ist, wenn ihm jemand in der Küche helfen will, weil oft ist dann nicht mehr viel zum Verteilen übrig – aber das ist ein ganz anderes Thema. Irgendwann ist die Pizza dann fertig. Er hat sie noch nicht ganz aus dem Ofen und sofort kommt Leben in seinen Helfer. Der wirbelt auf einmal herum wie ein Derwisch – hätte man ihm bei seiner Leibesfülle gar nicht so zugetraut, und schon kurz darauf weiß die ganze Welt – dank seines Smartphones, dass er der größte Pizzabäcker aller Zeiten ist. Auf Bild und im Video: die Pizza und er. Erst gepoost, dann gepoostet – beides mit langem O. Eben noch von so gut wie nix ne Ahnung – jetzt schon Meisterpizzabäcker. Und Herr W – pädagogischer Hexenmeister! Denn er hat ihm das alles beigebracht – in aller Kürze. Du siehst, die digitale Welt ist eine Win-win-Situation. Herr W behauptet ja, dass das Smartphone im Prinzip wie eine Art Luftpumpe funktioniert – da kannst du dir so richtig den Ego-Schlauch aufblasen, darfst nur nicht vergessen zwischendurch die Luft wieder rauszulassen, sonst fliegst du davon.

Und jetzt pass auf! Mein alter Bekannter hat sich doch noch, weil völlig entnervt, ein Smartphone zugelegt. Und – du glaubst es nicht: der war völlig begeistert. Der hat das Ding gar nicht mehr zur Seite gelegt. Jetzt ist er ja noch nicht so geübt gewesen, und da ist er auf dem Bürgersteig, sein Cäppi der Sonne wegen tief ins Gesicht gezogen, in den Gegenverkehr geraten. Weißt ja, Kopf nach unten, Blick aufs Display. Tragisch. Ist dann mit einem Träger eines Samsung Galaxy 8 zusammen gestoßen. Muss so ausgesehen haben wie zwei Hirsche in der Brunftzeit, wenn die im Kampf ums Weibchen mit den Geweihen aufeinander losgehen. Danach hat er doch wieder sein altes Nokia aktiviert. Totaler Wahnsinn – oder?
[*Pädagogischer Mitarbeiter im Internat; Foto: Daniela Junge]