Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung – eine willkommene Patientengruppe

Frau Jankowska steht vor dem Kliniksgebäude

Interview mit Ewa Jankowska über ihre Tätigkeit als Patientenberaterin in einer Klinik in Bad Wildungen

Isabella Brawata | In diesem Interview mit Eva Jankowska  wird über die Kooperation des Beratungs- und Schulungszentrums der Deutschen Blindenstudienanstalt e.V. (blista) mit der Klinik für Akutpsychosomatik des Mediclin Reha-Zentrums am Hahnberg berichtet, in deren Rahmen blinde und sehbehinderte Patientinnen und Patienten in der Klinik durch das BSZ beraten und begleitet werden.

blista-News: Frau Jankowska, Sie haben in der MediClin Klinik für Akutpsychosomatik am Hahnberg in Bad Wildungen eine regelmäßige Beratungszeit, in der Sie blinde und sehbehinderte Personen beraten. Wie kam es dazu?
Jankowska: Das Unternehmen MediClin, das bundesweit Reha-Zentren betreibt, hat sich dafür entschieden, sich auf Patientinnen und Patienten mit Blindheit oder Sehbehinderung zu spezialisieren. Außer der MediClin Klinik für Akutpsychosomatik am Hahnberg gibt es in Deutschland noch andere Einrichtungen der MediClin-Gruppe, die auf blinde und sehbehinderte Menschen eingestellt sind. 2016 kam die Klinikleitung auf die blista zu, weil man eine Fortbildung für Mitarbeitende der Klinik im Umgang mit blinden und sehbehinderten Patientinnen und Patienten wünschte, um das Klinikpersonal für die Belange von Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung zu sensibilisieren. An der ersten Fortbildung in 2016 nahmen 20 Mitarbeitende aus den Bereichen Pflege, Psycho-, Ergo und Physiotherapie sowie der Ärzteschaft teil. Die Fortbildung war auf die Belange von Mitarbeitenden einer Klinik zugeschnitten und beschäftigte sich mit der Frage, worauf insbesondere Pflegekräfte, das therapeutische Personal und die Ärzteschaft im Umgang mit blinden und sehbehinderten Personen speziell achten sollten.

Nehmen Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung beispielsweise an einer physiotherapeutischen Gruppenübung gemeinsam mit sehenden Patienten teil, ist es wichtig, dass die Übungen und Bewegungsabläufe nicht nur vorgemacht, sondern auch ausführlich erläutert werden. Außerdem sollten blinde und sehbehinderte Menschen vorne, nahe beim therapeutischen Personal platziert werden, damit Diejenigen, die noch über ein geringes Sehvermögen verfügen, im Blick haben, wie die Therapeutin / der Therapeut die Übungen macht und die Therapeutinnen und Therapeuten Menschen, die sich nur auf das Gehör und den Tastsinn verlassen müssen, korrigieren können, falls sie eine Übung nicht richtig verstanden haben.

Außerdem wurde mit dem Pflegepersonal erarbeitet, dass es sinnvoll wäre, den blinden und sehbehinderten Patientinnen und Patienten einen Tisch nahe beim Buffet zuzuteilen und ihnen bei der Speiseauswahl behilflich zu sein. Techniken sehender Begleitung wurden ebenfalls intensiv geübt. Auch der Umgang mit Blindenführhunden, die in der Klinik willkommen sind, wurde besprochen.

Verschiedene Augenerkrankungen und deren Auswirkungen auf das Sehen wurden thematisiert und die Bedeutung von Beleuchtung und Kontrasten wurde heraus­gearbeitet. Die Teilnehmenden lernten Hilfsmittel für blinde und sehbehinderte Menschen kennen und wurden über das Beratungs- und Schulungsangebot der blista informiert.

Die Fortbildung war ein voller Erfolg, weil Unsicherheiten im Umgang mit blinden und sehbehinderten Personen abgebaut werden konnten und die Teilnehmenden sehr aktiv und engagiert mitgearbeitet hatten. Aufgrund der positiven Rückmeldungen wurde 2017 eine weitere Fortbildung angeboten, an der 18 Personen teilnahmen. viele von Ihnen hatten bereits an der Fortbildung 2016 teilgenommen und wollten ihr Wissen auffrischen, ihre Kenntnisse vertiefen und entstandene Unklarheiten beseitigen. Ich begegne vielen vom Klinikpersonal, die an den Fortbildungen teilgenommen hatten, immer wieder zufällig auf dem Klinikgelände und es freut mich, dass wir so in losem Kontakt bleiben.

blista-News: Und wie kam es dann zu den regelmäßigen Beratungsterminen?
Jankowska: Nach einem Wechsel in der Pflegedienstleitung wurde die Zusammenarbeit noch intensiviert. Die Pflegedienstleiterin Bettina Wagener und die stellvertretende Pflegedienstleiterin und Bereichsleiterin Psychosomatik, Nina Kuhl regten an, dass ich in regelmäßigen Abständen nach Bad Wildungen kommen und Patientinnen und Patienten mit Blindheit oder Sehbehinderung beraten könnte. Daraufhin handelten Ute Mölter, Leiterin des Beratungs- und Schulungszentrums der blista und Otfrid Altfeld, Leiter des blista-Ressorts Teilhabe & berufliche Bildung einen Vertrag mit der Klinik aus. Meine Beratungsarbeit wird von der Klinik finanziert. Der Beratungsumfang beträgt 12 Beratungseinheiten Jährlich, die monatlich drei Zeitstunden bzw. vier Beratungstermine umfassen, wobei es sich sowohl um Einzel- als auch um Gruppengespräche handeln kann.

blista-News: Wie läuft die Beratung ab?
Jankowska: Jede Woche findet in der Klinik eine Gesprächsgruppe für blinde und sehbehinderte Menschen statt. Sie wird von Astrid Scheus, der „Blindenbeauftragten“ der Klinik angeleitet. Frau Scheus hat mittlerweile den Zertifikatskurs „Grundlagen inklusiver Pädagogik bei Blindheit und Sehbehinderung“ abgeschlossen und ist für die Belange der Patientinnen und Patienten mit Blindheit und Sehbehinderung in der Klinik zuständig.

Sie führt die Aufnahmegespräche mit ihnen durch und steht ihnen als Ansprechpartnerin zur Verfügung. Einmal im Monat nehme ich an der Gesprächsgruppe teil. Frau Scheus bereitet die Gruppe auf meinen Besuch vor und sammelt Fragen und Anliegen der Teilnehmenden. Ich erhalte im Vorfeld allgemeine Informationen über die Gruppe, erfahre also, wie viele blinde beziehungsweise sehbehinderte Personen an der Gesprächsgruppe teilnehmen und ob es spezielle Fragen zum Beispiel zu bestimmten Hilfsmitteln oder zu anderen Themen gibt.

Die Beantwortung der Fragen findet in der Gruppe statt. Die Teilnehmenden haben jedoch im Anschluss an das Gruppengespräch die Möglichkeit, mit mir Einzeltermine zu vereinbaren.

blista-News: Was sind das für Menschen, die Sie beraten und zu welchen Themen geben Sie Auskunft?
Jankowska: Es sind Menschen jeden Alters aus dem ganzen Bundesgebiet. Es sind sowohl Personen dabei, die neu von einem Sehverlust betroffen sind als auch Solche, die schon lange blind oder sehbehindert sind. Dementsprechend ist auch der Wissensstand der Patientinnen und Patienten sehr unterschiedlich.

Diejenigen, die schon lange blind oder sehbehindert sind, kennen sich zum Beispiel in der Regel sehr gut mit blinden- und sehbehindertenspezifischen Hilfsmitteln aus, während hingegen die Neubetroffenen sehr wissbegierig und für jeden Tipp, Informationen und Kontaktadressen total dankbar sind. Ich bringe Hilfsmittel für blinde und sehbehinderte Menschen zu den Gruppenterminen mit und führe sie vor. vor allem beantworte ich praktische Fragen zum Themenfeld Schulungen in Orientierung und Mobilität, also: was ist eine Schulung in Orientierung und Mobilität? Von wem wird sie durchgeführt? Wie und wo kann man sie beantragen? Wo erhält man einen Blindenlangstock und welcher ist der Richtige?

Außerdem erhalten die Ratsuchenden von mir Adressen von Rehalehrerinnen und -Lehrern, die an ihrem Wohnort schulen und natürlich auch die Adressen der örtlichen Beratungsstellen von Blickpunkt Auge – Rat und Hilfe bei Sehverlust sowie von Verbänden der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe. Einige Ratsuchende konnte ich auch an das Beratungs- und Schulungszentrum der blista für eine Low-Vision- oder Berufsberatung sowie zum blista-Hilfsmittelshop vermitteln.

Die Blindheit oder Sehbehinderung der Patientinnen und Patienten steht allerdings in der Regel nicht im Mittelpunkt. Sie kommen nicht wegen ihrer Seheinschränkung in die Klinik, sondern, weil sie eine psychosomatische Erkrankung haben. Allerdings lässt sich oft Beides nicht klar voneinander trennen, denn psychische Probleme treten häufig nach einer plötzlichen Erblindung oder einem raschen Sehverlust auf. Außerdem werden Menschen nicht selten aufgrund ihrer Blindheit oder Sehbehinderung diskriminiert, was wiederum zu psychischen Beschwerden führen kann. So berichten erschreckend viele Ratsuchende über Mobbing am Arbeitsplatz. Nicht wenige Betroffene fühlen sich durch die Doppelbelastung, den Alltag mit Blindheit und Sehbehinderung bewältigen und gleichzeitig dem hohen Leistungsdruck am Arbeitsplatz standhalten zu müssen, überfordert.

blista-News: Gibt es zusätzlich zum Angebot des Beratungs- und Schulungszentrums der blista weitere Hilfen für Patientinnen und Patienten mit Blindheit oder Sehbehinderung?
Jankowska: Bereits bei den Aufnahmegesprächen kümmern sich Frau Scheus und der Sozialdienst der Klinik um sozialrechtliche Fragen wie die Beantragung eines Schwerbehindertenausweises oder von Landesblindengeld. Weil es bei einigen Personen eine Wechselwirkung zwischen ihrer Sinnesbehinderung und ihrer seelischen Erkrankung gibt, kommt auch eine selbst seheingeschränkte Psychologin in die Klinik, um im Rahmen von Peercounceling die Menschen zu unterstützen.

blista-News: Welchen Nutzen haben aus Ihrer Sicht die Ratsuchenden mit Blindheit oder Sehbehinderung von der Zusammenarbeit zwischen dem Beratungs- und Schulungszentrum der blista und dem MediClin Reha-Zentrum am Hahnberg?
Jankowska: Zunächst möchte ich herausstreichen, dass ich selbst sehr von den Gruppengesprächen profitiere. Ich erhalte Einblick in Problemlagen und Themenfelder, mit denen ich mich in meinem Berufsalltag nicht allzu intensiv auseinandersetzen kann. Das Gelernte kann ich in meiner Arbeit anwenden.  

Was ich als besonders hilfreich für Patientinnen und Patienten mit Blindheit und Sehbehinderung betrachte, ist, dass der Austausch von Menschen in besonderen Lebenslagen gezielt gefördert wird. Gäbe es diese extra für blinde und sehbehinderte Menschen eingerichteten Gesprächsgruppen nicht, würden die Betroffenen nicht die Gelegenheit erhalten, einander zu begegnen, um miteinander voneinander lernen zu können. In den Gesprächsgruppen findet ein reger Austausch über spezifische Problematiken von blinden und sehbehinderten Personen statt. Es wird zum Beispiel kontrovers darüber diskutiert, ob man die Behinderung im Privatleben und am Arbeitsplatz verbergen und versuchen sollte, möglichst nicht aufzufallen oder ob es vielleicht besser wäre, sich zu „outen“ und offen mit der Behinderung umzugehen.

Ich bekomme häufig mit, dass der Austausch außerhalb der Gruppensitzungen fortgesetzt wird, indem sich die blinden und sehbehinderten Teilnehmenden zum Kaffeetrinken verabreden. Da ich die Beratung von Betroffenen für Betroffene für enorm wichtig halte, unterstütze ich diesen Prozess, indem ich den Ratsuchenden Kontaktadressen von Selbsthilfegruppen, Vereinen und Verbänden, die sich am Heimatort der Ratsuchenden für die Belange von Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung einsetzen, weitergebe.

Am meisten freut mich, dass ich feststellen konnte, dass meine Beratungsarbeit nachhaltig ist. Dadurch, dass einige Patientinnen und Patienten zum wiederholten Male in der Klinik in Behandlung sind und ich über E-Mail zu vielen Klientinnen und Klienten Kontakt halte, kann ich ihre Entwicklung verfolgen. Nicht Wenige berichten, dass sie die von mir zusammengestellten Kontaktadressen sowohl zu professionellen Unterstützungsleistungen für blinde und sehbehinderte Menschen als auch zu Angeboten der Blinden- und Sehbehindertenselbsthilfe in Anspruch genommen haben.

Und ich finde es gut, dass durch meine Arbeit in der Klinik das Angebot der blista in Deutschland noch bekannter wird. Daher bin ich dankbar, dass die Klinik das Beratungsangebot der blista für ihre Patientinnen und Patienten mit Blindheit oder Sehbehinderung bereits im dritten Jahr auch in 2019 weiterführt.