Mitwirkung mit Wirkung!
Der blista-Internatsrat gewinnt den Hessischen Partizipationspreis 2016
Amélie Schneider * - Am Nikolaustag 2016 machen sich vier Jugendliche aus dem Internat der blista auf den Weg nach Wiesbaden. Luca Wendt, Steven Wächter, Sebastian Hitz und Daniel Spengler haben eine Einladung in den Landtag erhalten. Dort dürfen sie den Hessischen Partizipationspreis 2016 entgegen nehmen. Der Preis würdigt das gesellschaftliche Engagement von Kindern und Jugendlichen bei der Mitgestaltung und Weiterentwicklung der Demokratie und Lebenswelt. Marion Lehmke (pädagogische Mitarbeiterin des Internats) und ich begleiten die Gruppe auf dem spannenden Ausflug. Die vier jungen Menschen sind 17 bis 18 Jahre alt und engagieren sich als gewählte Vertreter im „Internatsrat“ für die Interessen und Wünsche der Kinder und Jugendlichen in den blista-Wohngruppen.
Im Internat der blista wohnen zurzeit ca. 230 blinde und sehbehinderte Schülerinnen und Schüler zwischen 10 bis 21 Jahren in 45 Wohngruppen, die dezentral in ganz Marburg verteilt sind. Von der Gisselberger Straße, über die Poitiersstraße bis zum Weinberg. Der Internatsrat besteht seit 2013 und vertritt die Interessen der jungen Leute: „Wir möchten unser Umfeld aktiv mitgestalten! Alle sollen sich in ihrer Wohngruppe entspannen können, Privatsphäre und Raum zur Entfaltung haben. Das geht nicht, ohne Themen des Zusammenlebens und der Betreuung zu behandeln.“
Während der Zugfahrt nach Wiesbaden steigt unsere Spannung: Welcher Platz wird es sein? Wer ist dieser Jo Dreiseitel, der uns den Preis überreicht? Ersteres wird sich erst während der Preisverleihung auflösen. Doch die zweite Frage klärt sich dank modernster Technik schnell. Die Jugendlichen zücken ihre Smartphones und googeln den Lebenslauf des Staatssekretärs und Bevollmächtigten für Integration und Antidiskriminierung. Die weitere Fahrt vergeht mit Spekulationen und Träumen über die Verwendung des zu erwartenden Preisgeldes wie im Flug.
Im Hessischen Landtag angekommen, erhalten wir und alle weiteren Preisträger eine Führung durch das beeindruckende Gebäude. Dann geht es zur Sache! Die Laudatoren beginnen mit der Würdigung der Preisträger: Der dritte Platz geht an das Kinderparlament nach Lauterbach, der zweite Platz an eine Jugendinitiative in Rasdorf, die sich für einen Mountainbike-Parcours eingesetzt hat. Als danach der Vorsitzende des Marburger Kinder- und Jugendparlaments Manuel Greim zum Mikrofon greift, ist es endlich klar: Der Internatsrat der blista erhält den ersten Preis! Damit haben wir nicht gerechnet!
Die Jugendlichen haben nun 10.000 € zur Verfügung, um ihre Arbeit als Interessenvertretung weiter zu verbessern. Die Freude ist riesengroß und stolz bedanken sie sich bei Staatssekretär Dreiseitel, der ihnen die Urkunde überreicht: „Mit der UN-Behindertenrechtskonvention im Rücken wollen wir noch besser lernen, wie wir unser Wohn- und Lebensumfeld mitgestalten können. Dass wir mit dem Partizipationspreis ausgezeichnet werden, ist ein Zeichen für unsere Mitbewohner, dass wir aktiv sind. Wir wollen weiter mitmischen und noch viel bewegen!“
Nach der Preisverleihung gibt es bei Fingerfood und Getränken die Möglichkeit, mit den anderen Jugendlichen in Kontakt zu kommen, was die vier blistaner auch direkt tun. Luca, Steven, Sebastian und David finden es inspirierend, sich mit den anderen Preisträgern auszutauschen. Sie haben auch sofort die Gelegenheit genutzt und das Marburger Kinder- und Jugendparlament für ein Vorstellungstreffen in die blista eingeladen.
Der Internatsrat an der blista ist ein junges Gremium: „Wir sind dabei, uns zu entwickeln und haben gute Aussichten, eine starke Interessenvertretung zu werden. Dazu soll unsere Arbeit noch stärker in den Strukturen des Internates verankert werden.“ Die Jugendlichen treffen sich einmal im Monat zur Sitzung. Dort besprechen sie, ob Wünsche von Bewohnern vorliegen oder Probleme wahrgenommen wurden. Sie erarbeiten auch Positionen, die für andere Gremien wichtig sind und nehmen regelmäßig an der Projekt- und Bereichskoordination des Internates teil. Zwischen den Sitzungen suchen sie Kontakt zu den einzelnen Wohngruppen, um über die Stimmung informiert zu sein. Organisatorische und andere Fragen können die Jugendlichen mit ihren Vertrauenspersonen aus dem pädagogischen Team des Internats besprechen.
In den letzten Jahren hat sich der Internatsrat erfolgreich für verschiedene Anliegen aus der Bewohnerschaft engagiert: Es gab zum Beispiel Unmut darüber, dass die abendlichen Ausgehzeiten von dem jeweiligen Betreuerteam der Wohngruppe festgelegt wurden. Je nachdem, wo man wohnte, durfte man länger unterwegs sein oder eben nicht. Der Internatsrat hat mit der Leitung verhandelt und ein einheitliches Zeitkonzept für verschiedene Altersgruppen entwickelt. Nun gibt es für alle Wohngruppen gleiche Regelungen und die Jugendlichen fühlen sich fair behandelt.
Ein anderer Wunsch war die Erneuerung der Regelungen zur Internetnutzung. Die Vorschriften waren aus Sicht vieler junger Leute nicht mehr zeitgemäß. Das Internet sollte nur für schulische Zwecke genutzt werden, der Zugang war zeitlich begrenzt und man konnte pro Person nur ein Gerät für den Internetzugang anmelden. „Wir haben einen dreimonatigen Modellversuch über erweiterte Nutzungsrechte ausgehandelt und unsere Ideen in einigen Wohngruppen getestet. Die Bedenken, dass z. B. Online-Spielereien zunehmen, konnten widerlegt werden. Jetzt wird das Konzept für alle Wohngruppen eingeführt und wir können das Internet selbstverantwortlicher nutzen.“ Aktuell arbeitet der Internatsrat an einer neuen Satzung für das Gremium, die Mitwirkungsbereiche und Aufgaben der Bewohnervertretung beschreiben und festhalten soll.
Das gewonnene Preisgeld möchte der Internatsrat über mehrere Jahre nutzen, um die Arbeit langfristig zu stärken. Dazu entwickeln die Jugendlichen einen Budgetplan mit verschiedenen Posten. Sie wollen ab jetzt jedes Jahr eine Klausurtagung für den neuen Internatsrat nach den Wahlen im Herbst organisieren. So können sich die Mitglieder besser kennenlernen und eine gemeinsame Agenda erarbeiten. Sie planen auch, einen Profi für einen Workshop einzuladen, um zu lernen, wie sie mit den Bewohnern über wichtige Themen in Kontakt kommen können, wie man Verhandlungen führt und die Arbeit strukturiert. Und eine Reise nach Berlin, um den Bundestag zu besichtigen, ist ebenfalls geplant.
Zitate: Luca Wendt, Steven Wächter, Sebastian Hitz, Daniel Spengler und Auszüge aus dem Bewerbungsschreiben zum Hessischen Partizipationspreis.
[* blista-Stabsstelle zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention]