Mittendrin und proaktiv - mit dem iPad in der Kita

Ein Kind kratzt einem Pony in Begleitung der Reitlehrerin einen Vorderhuf aus.

Sigrun Hartmann und Claudia Rohde | Ein Bericht über das blista-Projekt „Mitmachen in der Kita - Inklusion in die Gruppe mithilfe digitaler und interaktiver Frühfördermethoden“, das durch Aktion Mensch gefördert wird.

Seit einigen Jahren arbeiten wir in der blista-Frühförderung bereits mit Tablets. Sie zählen für uns zu den Medien, die die herkömmlichen Medien der Kinderwelt ergänzen können. Ihr Einsatz zeigt oft viele positive Effekte, die Kinder haben raschen Erfolg, intensiven Lernwillen und auch Kinder mit weiteren Einschränkungen neben der Sehbehinderung erfahren ein hohes Maß an Selbstwirksamkeit. Die Erfahrungen in der Einzelarbeit wollten wir gezielt auf Gruppenprozesse ausweiten. Denn eine Frühförderung in der Kita, die nicht nur am individuell betroffenen Kind ansetzt, sondern die gesamte Gruppe einbezieht, kann soziale Kompetenzen stärken und dazu beitragen, die gelebte Inklusion in der Gruppe zu erhöhen. Ein Projektantrag bei Aktion Mensch, der im Herbst 2020 genehmigt wurde, erlaubte es, dazu u. a. zwei 12,9 Zoll-iPads Pro und einen sogenannten „Mini-Beamer“ zu erwerben.

Ein iPad stellt im Rahmen der Frühförderung zunächst ein Multifunktionsgerät dar, das für die Nutzenden und ihr Umfeld sehr attraktiv ist: smart, intuitiv und nicht stigmatisierend. Wichtig zu erwähnen ist, dass es sich hier um eine Art prothetischen Einsatz handelt, da Sprach-, Sinnes- und Körperbehinderung durch entsprechende Gestaltung der Software bzw. der Apps ganz oder teilweise ausgeglichen werden können. Der Bildschirm zeichnet sich durch seine „Sehfreundlichkeit“ aus, denn Kontrast, Helligkeit und Vergrößerung können ideal auf den individuellen Bedarf von Kindern mit Sehbehinderung angepasst werden.

Im Rahmen des Projektes war es wichtig, die iPads mit einer festen Hülle auszustatten, damit die Kinder es möglichst eigenständig bedienen, ihre „Blickwinkel“ beim späteren Anschauen wiedererkennen und sich in die jeweilige Situation erneut einfühlen können. Durch die Projektion des iPad-Bildschirms per Mini-Beamer werden die Teilnahme und der Einbezug einer größeren Gruppe von Kindern als Zuschauer*innen ermöglicht.

Ein Mädchen beim Reiten auf einem Pony in der Reithalle
Logo von Aktion Mensch

Anna (5 Jahre) gelingt es zum Beispiel, bei Ausflügen in die Natur oder im Wohnviertel Eindrücke als Fotos aufzunehmen. So kann sie in der Ferne liegende visuelle Informationen (z. B. Was passiert am Baukran? Hast du die Hütte im Wald gesehen?) genauer wahrnehmen und zudem mit den anderen Kindern das Geschehene besprechen.
Mona (6 Jahre) fotografierte im Garten, der vom Schnee bedeckt war. Beim Betrachten der Bilder mit den Eltern und der Frühförderin sieht sie plötzlich die Spuren der Katze im Schnee.
Franziska (3 Jahre) hat ein einfaches Spiel auf dem iPad gelernt. Bei dem Bildaufbauprogramm geht es darum, vorgegebene Bilder durch Tastenklicks Schritt für Schritt zu vervollständigen. Das Spiel beginnt beispielsweise damit, dass Franziska eine Trommel auswählt, der sie durch einen zweiten Klick Farben hinzufügt, beim dritten Klick kommen die Schlegel dazu und beim vierten wackelt die bunte Trommel und bringt Töne hervor. In der Kinderkrippe dürfen die anderen Kinder raten, was Franziska jeweils erstellt hat. Natürlich wird später auch getauscht und ein anderes Kind bedient diese App.
Mit Luna (3 Jahre) wurde nach dem Backen der Weihnachtsplätzchen zunächst eine Abfolge von Fotos erstellt. So konnte sie erst ihrem Vater beim gemeinsamen Anschauen vom Backen berichten und später anderen Kindern in ihrer Kita. Für Luna war es ein großer Schritt, sich zu präsentieren und von sich zu erzählen.
Wie es Clara (5 Jahre) im Rahmen des Projektes gelang, den Kindern ihrer Kindergartengruppe von ihrem Hobby zu berichten und wie die digitalen und interaktiven Frühfördermethoden die soziale Dynamik ihrer Kita-Gruppe beeinflussen, sei nachfolgend beispielhaft ausführlich vorgestellt:

„Ich mag Pferde“

Wie bereits ihre Mutter und auch die große Schwester ist Clara begeistert von Pferden. Im Garten steht ein Holzpferd, auf dem sie bereits bei den vorausgegangenen Frühförderbesuchen zeigte, was sie über Pferde und Reiten alles weiß. Dann ist es soweit. Mit dem iPad darf die Frühförderin sie bei einer Reitstunde, zu der sie wöchentlich mit ihrer Mutter geht, begleiten. Clara erklärt, was zur Pflege des Tieres gebraucht wird und demonstriert an ihrem Pferd, wie es geputzt, getrenst und gesattelt wird. Dann geht es in die Reithalle. Dort werden auch andere Kinder von ihren Eltern auf dem Pferd sitzend herumgeführt.

Ein Mädchen führt ein Pony am Zügel

Die Reitlehrerin gibt Tipps zur richtigen Haltung, denn die Pferde sind flott unterwegs. Für Clara ist das kein Problem, im Trab streckt sie sogar die Hände mutig zu beiden Seiten in die Luft! Die Reitstunde und alles was drum herum dazugehört, werden anhand von Fotos und kleinen
Videos dokumentiert.
In der nächsten Frühfördersitzung ist Clara begeistert, sich alles in Ruhe auf dem zwölf Zoll großen Display des Tablets anschauen zu können und sich dabei das eine oder andere Detail nochmals zu vergrößern. Ihr Visus liegt unter 0.1 und von den Möglichkeiten (u. a. Vergrößerung, Kontrast, Beleuchtungsstärke) des Tablets profitiert sie sehr. Clara wählt die Fotos und Videos aus, die sie den anderen Kindern zeigen möchte. Noch zu Hause gibt es ein paar Probedurchläufe. Denn obwohl sie sich wünscht, dass die Frühförderin in der Kita dabei ist, muss sie es alleine schaffen, da durch Corona ein Besuch der Frühförderung aktuell nicht erlaubt ist.
Auch den Erzieherinnen von Claras Gruppe ist ein wenig mulmig zumute, da sie sich mit der Bedienung der ausgeliehenen Technik unsicher sind. So wird am Telefon erklärt und eine Bedienungsanleitung als Beiblatt zur Sicherheit erstellt.

Schließlich ist es soweit. Da draußen die Sonne scheint und sich die Räume nicht verdunkeln lassen, zieht die Gruppe um in einen fensterlosen Flur, der zum Glück auch über eine weiße Wand verfügt. Clara sitzt zwischen den Kindern und bedient das Tablet. Die anderen schauen gebannt auf die „Lein“-wand.

Die Erzieherin berichtet später am Telefon, dass einige Kinder mit offenem Mund staunten, andere wiederum viele Fragen stellten, die Clara sehr geduldig und ausführlich beantwortete. Die Begeisterung unter den Kindern ist so groß, dass es am darauffolgenden Tag eine Wiederholung der Präsentation gibt! In Folge beginnen die Kinder zu berichten, was für Hobbys sie haben oder was sie den anderen in ihrer Gruppe in diesen außerhalb der Kita begegnungsarmen Corona-Zeiten unbedingt einmal zeigen möchten. Clara selbst hat mit ihrer Präsentation an Selbstvertrauen gewonnen, auch wenn sie beim nächsten Frühförderbesuch auf die Nachfrage, wie es denn gewesen sei, lediglich antwortet: „Na, was denkst du denn, gut!“, und zum nächsten Thema übergeht.

Die Erzieherin überlegt nun zusammen mit der Kita-Leitung, einen Mini-Beamer für die Einrichtung anzuschaffen. Dieser ermöglicht, schnell und räumlich flexibel mit Video oder Foto festgehaltene Aktionen zu präsentieren. Ob am Tablet oder vor der Leinwand, Clara ist immer mit dabei.

Fazit

Medienkompetenz wird zunehmend zu einer wesentlichen Voraussetzung für die Verwirklichung von Bildungs- und Teilhabechancen für die eigene Persönlichkeitsentwicklung und im umfassenden Sinne für eine souveräne Lebensführung. Eine Herausforderung besteht darin, jede Sozialisationsinstanz – Familie, Kindertagesstätte, später auch Schule, Peergroup, Jugendarbeit – dabei zu unterstützen, ihre je eigene Aufgabe bei der Medienkompetenzentwicklung zu erkennen und wahrzunehmen.
Neben der Familie sind auch die Frühförderstellen wichtige Begleitende für die Entwicklung von Medienkompetenz in der frühen Kindheit. Mit der Durchführung dieses Projektes haben wir viele gute Erfahrungen gesammelt. Unter Beachtung der individuellen Anpassung der Inhalte und didaktisch-methodischen Prinzipien wird der Einsatz von iPad und Mini-Beamer von nun an zum regulären Förderprozess gehören.