Examen an "kleinster Fachschule der Welt"

Gefragte Spezialisten: Reha-Fachkräfte bringen Blinden bei, wie sie ihren Alltag alleine bewältigen können

Andreas Schmidt | Marburg. Sie sind nur wenige. Sie sind gefragt. Und sie haben dadurch sichere Jobs: An der staatlich anerkannten Fachschule der Blinden- und Sehbehindertenrehabilitation der Marburger Blindenstudienanstalt (blista) fand jüngst die Zeugnisübergabe statt – elf Teilnehmende aus Deutschland und der Schweiz hatten zuvor erfolgreich das Examen abgelegt.

Gruppenfoto im Freien: vorne stehen die 11 Absolvent*innen mit Urkunden, dahinder und am Rand das Ausbilder*innen-Team der blista und stellvertretender Vorstand Patrick Temmesfeld..

Und das an der „wohl kleinsten Fachschule der Welt“, sagt Dr. Werner Hecker, Ressortleiter Rehabilitationseinrichtung an der blista. Denn: „Wir sind eins von zwei Ausbildungsinstituten in Deutschland – aber die einzige mit staatlicher Anerkennung“, so Hecker. Das mache sie „zur kleinsten Fachschule in Deutschland, vielleicht auch Europas oder der Welt“, sagt Hecker, „denn unsere Kurse haben immer maximal zwölf Plätze“. Was genau ist die Aufgabe der neuen Reha-Fachkräfte? „Sie helfen Blinden oder Sehbehinderten dabei zu erlernen, wie sie ihren Alltag selbst bewältigen können“, erläutert Hecker. Zwei Richtungen gibt es dabei: „Orientierung und Mobilität“ – also die Hilfe, sich beispielsweise in der Stadt oder im Verkehr zurechtzufinden, oder „lebenspraktische Fähigkeiten“. „Dabei geht es um die selbstständige Haushaltsführung – beispielsweise vom An- und Ausziehen über Nahrungszubereitung wie Brot schmieren, Kartoffeln oder Apfel schälen bis zum Kochen“, erläutert Hecker. Aber auch Putzen, Bügeln „oder alles, was sonst zum Einkauf gehört“, wird geschult.„Die Schüler müssen sich für eins von beiden entscheiden“, denn die Ausbildung sei von anderthalb auf ein Jahr verkürzt worden, „um schneller Fachkräfte verfügbar zu haben“. Denn es gebe einen eklatanten und sich rasant verschärfenden Fachkräftemangel: Die Kräfte, die in den 70er- und 80er-Jahren ausgebildet worden seien, gingen nach und nach in den Ruhestand. „Wer beide Schwerpunkte beherrschen möchte, könne den jeweils anderen Teil „in einem weiteren halben Jahr draufsatteln“.

Die Absolventen haben bereits einen Beruf – denn bei dem Kurs an der Fachschule handelt es sich um eine einjährige Weiterbildung. „Die Teilnehmer haben alle bereits eine pädagogische oder medizinische Ausbildung, sind beispielsweise Erzieher, Heilerziehungspfleger, Physiotherapeuten oder Ähnliches“. Und müssen die Weiterbildung, die 21 500 Euro kostet, zumindest theoretisch aus eigener Tasche zahlen.

„Es gibt für den Kurs jedoch die Möglichkeit, Aufstiegs-Bafög zu beziehen“, sagt Hecker – das mache 15 000 Euro aus. Darüber hinaus hat die Blindenselbsthilfe „Stiftungsgelder eingeworben, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken“, sagt Werner Hecker. So blieben für die Kursteilnehmer noch 4 200 Euro Eigenanteil übrig – bei einem Einstiegsgehalt von rund 3 500 Euro in der Tarifgruppe EG 10 im öffentlichen Dienst.

Aber warum ist der Kurs so teuer? "Weil er sehr personalintensiv ist: Die Kernbereiche werden in Kleingruppen mit drei Studierenden und einem Anleiter gelehrt. Denn die Teilnehmer müssen ja selbst zunächst alle Blindentechniken unter der Augenbinde oder Simulationsbrille erlernen, um sie dann zu vermitteln.“ Beispielsweise, wie man sich ein Spiegelei zubereitet – oder eben sich im Verkehr zurechtfindet, „was ja auch gefährlich ist“. Erst, wenn die Techniken erlernt seien, könnten die Studierenden sie sich auch untereinander vermitteln.„Die Einstellungschancen liegen bei 100 Prozent“, sagt Werner Hecker. Es gebe mittlerweile nicht nur die Möglichkeit, beispielsweise bei der blista angestellt zu werden, „obwohl auch bei uns der Bedarf wächst“. Vielmehr könne man sich auch selbstständig machen und die Leistungen mit den Krankenkassen abrechnen. 

Die Absolvent*innen

Die Ausbildung haben absolviert: Thomas Braun, Melanie Goka, Martina Henggeler (aus der Schweiz) Lisa Hirsch, Ulrike Meinhold, Nadine Schöler, Anna-Lena Schulz, Esther Strube Linda Welschinger, Judith Paula  Neidhardt, Stefanie Rommelfanger

  • Dieser Artikel erschien erstmals am 17. März in der „Oberhessischen Presse“. Wir bedanken uns für die freundliche Unterstützung und Abdruckgenehmigung.