Rechtsseminar für Eltern

Die 2 Referenten und 12 Seminarteilnehmer sitzen an Tischen, die in U-Form aufgestellt sind.

„Mir hat die praxisbezogene Einführung in das Sozialrecht viel gebracht“

Sabine Franke* Es war bereits das zweite Rechtsseminar der „Rechtsberatungsgesellschaft für behinderte Menschen“ (rbm), an dem ich über die „Bundesvereinigung Eltern von blinden und sehbehinderten Kindern“ (BEBSK) teilnahm. Obwohl mir die ganzen juristischen Verfahrensweisen und Terminologien von der eigenen Natur her ziemlich fremd sind, war es dennoch eine gute Entscheidung. Wir Eltern kommen einfach nicht drum herum, uns mit dem Sozialhilferecht auseinanderzusetzen und zu verstehen, wie die Abläufe und Zuständigkeiten sind und welche Rechte und Pflichten man dabei selbst hat. Und aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es sehr hilfreich ist, selbst ein Basiswissen zu haben, bevor man sich in eine ­Antragstellung begibt, zumal wenn es um größere Beträge geht.

Das Seminar wurde von Dr. Michael Richter und Marion Böttcher durchgeführt. Dr. Richter, selbst blind, schafft es, auch die trockensten Inhalte mit Leben zu füllen und die Juristerei recht unterhaltsam und gespickt mit vielen praktischen Beispielen zu vermitteln. Marion Böttcher kennt als ehemalige, langjährige Vorsitzende der BEBSK sowie als Mutter eines blinden Sohnes die Bedürfnisse und Belange der Seminarteilnehmer ganz genau.

Sodann tauchen wir ein in das Universum des Sozialrechts. Es handelt sich also um ein Sachleistungsprinzip, d. h. es besteht kein Anspruch auf Geld, sondern auf die Deckung des Bedarfs. Alles beginnt mit dem Antrag, der nur wieder aus der Welt geschafft werden kann, indem ein Bescheid ergeht oder indem der Antragsteller den Antrag zurücknimmt. Die Institution, die den Antrag erhält, muss innerhalb von 2 Wochen prüfen, ob sie selbst die zuständige Anlaufstelle ist und ggf. an den zuständigen Rehabilitations­träger weiterleiten. Ansonsten ist nach dem „Schwarzer-Peter-Prinzip“ der zuständig, der den Antrag zuerst erhalten hat und er muss nach allen in Betracht kommenden gesetz­lichen Grundlagen entscheiden. Ist der ­Bescheid negativ, kann Widerspruch eingereicht werden. Wieder gibt es Fristen, die zu einer Geduldsprobe werden können, wenn man dringend eine zeitnahe Entscheidung benötigt. Es können schnell viele Monate vergehen, kommt es zur Klage, auch Jahre. Daher ist es enorm wichtig, Anträge frühzeitig zu stellen, wenn die Leistung zu einem bestimmten Zeitpunkt zur Verfügung stehen muss. Zum Beispiel, wenn es um die Hilfs­mittelausstattung in der Schule geht. Hier ist u. U. empfehlenswert, das AOSF Verfahren zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfes zu beschleunigen, um rechtzeitig die Hilfsmittel beantragen zu können.

Im Weiteren ging es um das neue Bundesteilhabegesetz (BTHG) und das Pflegestärkungsgesetz. Das BTHG wurde Ende 2016 zwar beschlossen, tritt aber erst nach und nach in Kraft. Seit 2017 gilt das Übergangsrecht und bringt erste Änderungen hinsichtlich der Anrechnung von Einkommen und Vermögen, was sich wahrscheinlich vor allem bei volljährigen Schülerinnen, Azubis und Studenten bemerkbar macht, da dann nicht mehr das Einkommen und Vermögen der Eltern relevant ist. Die meisten Ände­rungen zum Thema Schule treten laut der rbm erst ab 2020 in Kraft. Das BTHG bedeutet für unseren Personenkreis bis 2023 keine großen Änderungen. Ab 2023 wird dann nicht mehr die Behinderung ausschlaggebend sein, sondern die Defizite in neun verschiedenen Lebensbereichen. Wie das genau aussieht, soll noch mittels eines Evaluationsverfahrens durch ein Bundesgesetz geregelt werden. Das neue Pflegestärkungsgesetz ist ab 2017 in Kraft getreten. Auch hier gibt es Änderungen, die aber erst ab Pflegegrad 2 relevant sind. Zum Beispiel wird ab Pflegegrad 2 derzeit, außer bei Kindern in NRW, das Blindengeld gekürzt.

Ein Einblick in das Thema Hilfsmittel folgte. Für die Grundversorgung ist die Krankenkasse zuständig. Hilfsmittel ist das, was speziell zum Ausgleich der Behinderung hergestellt wird, z. B. Braille-Zeile, Screen-Reader, PC-Vergrößerungssoftware, Farberkennungsgeräte und Bildschirmlesegeräte. Ein großer Monitor z. B. ist kein Hilfsmittel, da es ein Gegenstand des alltäglichen Gebrauchs ist, ebenso ein iPhone. Ein Hilfsmittel muss der Grundversorgung dienen und in einem wirtschaftlich angemessenen Verhältnis stehen. Schnelligkeit ist hierbei nicht relevant.

Anders sieht dies im Kontext mit dem Thema Schule aus. In der Schule gilt das ­Leistungsprinzip, d. h. Schnelligkeit und Effizienz spielen eine Rolle und können Berücksichtigung finden, wenn es didaktisch erforderlich ist. Oft ist es schwierig, diesen Bedarf tatsächlich durchzusetzen, da meist im Hinblick auf erwachsene blinde und sehbehinderte Menschen beurteilt wird. Immerhin sind zwei Drittel der Blinden und Sehbehinderten über 60 Jahre. Bei der Hilfsmittel­beratung ist es ratsam, nach einer unab­hängigen Sehberatung zu fragen.

Dies sind nur einige Eindrücke aus dem umfassenden ersten Seminarteil „Einführung in das Sozialhilferecht“. Im folgenden Workshop konnten wir wählen zwischen den ­Themen „Beschulung“ mit Marion Böttcher und „Hilfsmittel und Rehabilitation“ mit Dr. Richter. Ich entschied mich für Workshop 2. Wir konnten Themenvorschläge machen. Da wir eine bunt gemischte Elterngruppe waren, ging es von Frü̈hförderung, über LPF/O&M, Integrationshelfer/Integrationslehrer, Blindengeld bis hin zum Thema Werkstatt und Wohnformen für mehrfachbehinderte Menschen.

LPF/O&M ist grundsätzlich ab der Schule sinnvoll, kann aber vorher schon über die Frü̈hförderung spielerisch angebahnt werden (Umgang mit Stock, Schutztechniken). O&M macht Sinn, sobald die Kinder anfangen die Umgebung zu erkunden und ihren Bewegungsradius ausweiten. Mobilitäts­training steht immer im Zusammenhang mit der Hilfsmittelversorgung, d. h. mit der Einweisung in ein Hilfsmittel, in diesem Fall der Langstock. Daher ist die Krankenkasse die zuständige Anlaufstelle für die Kostenübernahme. Zunächst werden in der Regel 20 Stunden bewilligt. Nach 15 Std. schätzt der O&M-Trainer den Bedarf neu ein und stellt gegebenenfalls einen Folgeantrag. Wenn sich der Bedarf während der Kindheit erweitert oder später durch z. B. Schulwechsel/ Umzüge o. ä. eine erneute Reha-Schulung erforderlich ist, können weitere Trainings­folgen beantragt werden.

Die Kostenübernahme für Schulung in LPF (Lebenspraktische Fähigkeiten) dagegen ist keine Krankenkassenleistung, da es keine Hilfsmittelschulung ist, solle aber als Maßnahme zum „angemessenen Schulbesuch“ und der Selbstständigkeitserziehung eine Aufgabe der Schule sein. Ansonsten bleibt noch das Sozialamt als Kostenträger. Auch für mehrfachbehinderte blinde/sehbehinderte Schüler kann ein Anspruch bestehen, solange „Aussicht auf eine Steigerung des Selbsthilfepotenzials in angemessenem Umfang“ besteht. Wenn ein Reha-Lehrer nicht zum Schüler passt, kann man diesen wechseln. Unter Umständen gehen beantragte Stunden verloren.

Was ich an dem Seminar toll fand ist, dass Rechtstexte in verständlicher Sprache erklärt werden, dass es praxisbezogen ist und immer wieder Fallbeispiele besprochen werden. Die Fülle an Informationen ist groß und es ist unmöglich, hier auf alles einzugehen, denn sicher zieht jeder etwas anderes aus dem Seminar. Eben das, was bedeutend für die eigene Situation ist. Da ich rechtlich ein Laie bin, bitte ich Sie, das Geschriebene nicht als rechtlich verbindlich einzustufen, sondern die rbm zu kontaktieren, falls das ein oder andere bei Ihnen Fragen aufgeworfen hat. Für Mitglieder der BEBSK ist die Rechtsberatung in sozialhilferechtlichen Fragen und im Zusammenhang mit Sehbehinderung oder Blindheit durch die rbm kostenlos und durch den Mitgliedsbeitrag abgedeckt.

rbm gemeinnützige GmbH, Niederlassung Marburg:
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[*Seminarteilnehmerin]