Jede Krise ist auch zum Wachsen da

Schüler*innen berichten aus der Carl-Strehl-Schule der blista

Imke Troltenier | Wie sich der Schulunterricht durch Corona verändert hat? Zum einen gibt es den Präsenzunterricht, zum anderen den Online-Unterricht von Zuhause aus, das Homeschooling. Wichtig erscheint uns an der blista, Digitalisierung und Präsenz methodisch und didaktisch eng zu verknüpfen, das Gemeinschaftserleben zu stärken und die Freude am Lernen zu erhalten.

Nachfolgend berichten zwei Schüler einer 11. Klasse unseres inklusiven Gymnasiums mit dem Förderschwerpunkt Sehen – einer in dieser Kombination deutschlandweit wohl einmaligen Einrichtung. Sie sprechen über ihre eigenen Wahrnehmungen, Empfindungen und Anregungen. Denn natürlich sind es die jungen Menschen, die Lernenden, deren Impulse für die Entwicklung unserer digitalen Angebote eine entscheidende Rolle spielen.

Plötzlich sind Dinge, die immer selbstverständlich waren, einfach weggefallen

Was also hat sich für Schüler*innen verändert? „Man sitzt jetzt im Präsenzunterricht natürlich viel weiter auseinander“, erzählt Jonas und berichtet von den Dingen, die ihm negativ auffallen, von den ausfallenden Experimenten in der Biologie, davon, dass Gruppenarbeiten unter diesen Bedingungen schwierig geworden sind und dass die vielen Arbeitsgruppen für Freizeitaktivitäten von ihm und seinen Mitschüler*innen schmerzlich vermisst werden. Er hat eine hochgradige Sehbehinderung und ist mit Blick aufs Abitur vor einem Jahr an die Carl-Strehl-Schule (CSS) gewechselt. Er ist sportlich interessiert. Reiten, Goalball, Surfen, Klettern, Theater - eigentlich ist das Spektrum der Freizeitaktivitäten breit. „Es ist so selbstverständlich gewesen, dass man nachmittags auch noch was mit anderen Schüler*innen machen kann“, sagt Jonas nachdenklich. Plötzlich sind viele Dinge einfach weggefallen.

Jonas arbeitet mit Maske an seinem Laptop

„Ich sehe nicht nur Nachteile“, meint sein Mitschüler Steve. „Es sind Veränderungen, mit denen wir umgehen müssen. Es gab ja noch viele andere Dinge, die wir machen konnten, wie die Band AG oder den Chor.“ Hinzukommt die Maskenpflicht im Unterricht: „Wenn wir unter der Maske Arbeiten schreiben müssen“, sagt Steve, „dann habe ich echt Probleme und kann mich schlechter konzentrieren. Beim Homeschooling fällt die Maske zwar weg, aber dann gibt es natürlich auch mal Verbindungsprobleme, die stören.“

Homeschooling an der blista bedeutet digitales Lernen für junge Leute mit und ohne Seheinschränkung. Ab der 6. Klasse sind die Schüler*innen mit Laptops ausgestattet und machen sich zunehmend mit den digitalen Unterrichtsangeboten und Organisationsstrukturen vertraut. Beim Homeschooling können sie diese vertrauten Möglichkeiten von Zuhause aus nutzen. Mit der Lernplattform Moodle, dem kollaborativen Online-Editor blistaPad (basierend auf Etherpad lite), dem Audio- und Videokonferenz-System blistaMeet (basierend auf Jitsi meet) und Podcasts ist die blista gut aufgestellt. Nach dem strengen Lockdown waren bzw. sind fortan aus gesundheitlichen Gründen oder (eher seltenem) Corona- Risikokontakt in jeder Klasse meistens ein oder zwei Schüler*innen, die sich von Zuhause online am Klassenpräsenzunterricht beteiligen. Und das in guter blista-Tradition: Die Anwendungen sind mit viel Know-how und Sorgfalt auf die Bedarfe angepasst und erlauben allen JAWS-Nutzer*innen einen chancengleichen, digital barrierefreien Zugriff auf den Unterrichtsstoff.

Jonas und Steve mit Abstand und Masken beim Präsenzunterricht

Aha, so geht es also auch!

Steve, der die CSS bereits seit der fünften Klasse besucht, sagt: „Ich denke, jede Krise ist auch ein bisschen zum Wachsen da. Es ist eine tolle Erfahrung, dass Dinge auch ganz anders funktionieren können.“ Er berichtet von analoger und digitaler Kreativität, von Lösungen, die faszinieren. So sind die Abbildungen zu den Mathematikaufgaben für ihn als blinden Schüler an der blista normalerweise taktil, also tastbar, aufbereitet.

Bei manchen Modellen ist die Herstellung aufwändig, sie liegen nicht im Klassensatz vor, sondern werden herumgereicht. Daran ist jetzt nicht zu denken. In Pandemiezeiten wurden taktile Abbildungen postalisch versendet, Fotos und Modellieranleitungen an helfende Eltern geschickt oder eben auch mal ganz anders dargestellt und zum Beispiel durch gymnastikähnliche eigene Körperhaltungen und -bewegungen vermittelt.

Jonas bestätigt: „Was auch ein richtiger Trend geworden ist, das ist das blistaPad. Es ist jetzt viel häufiger in Gebrauch und erweist sich als eine gute Entlastung für uns alle, auch für unseren hörgeschädigten Mitschüler. Einer schreibt im Unterricht mit und alle können es sehen. So müssen nicht alle gleichzeitig mithören, mitschreiben und hörverstehen.“ Sein klares Statement spricht dafür, dass die inklusive Lernkultur auf dem blistaCampus ein breites Fundament gefunden hat.

Welche Weiterentwicklung würden sie sich wünschen? Gruppenarbeit fällt Jonas als Erstes ein: „Ich würde mir in jedem Fall wünschen, dass man digital noch besser zusammenarbeiten kann. Wir würden es anders angehen als früher. Dabei nicht reden, sondern Alles gleich ins blistaPad schreiben. Wir würden den Austausch einfach anders organisieren.“ „Stimmt“, sagt Steve und stellt zugleich seine Digitalkompetenz unter Beweis, „wenn Leute bei Gruppenarbeiten viel diskutieren, dann wird es ja eh schnell zu laut für hörgeschädigte Mitschüler. Das wäre genau die Problemlösung. Aber vielleicht nehmen wir dafür besser einen Chat als ein Pad, sonst schreiben alle gleichzeitig …“

Schulleiter Peter Audretsch freut sich über das Engagement der Schülerschaft und unterstützt die Digitalisierung zusammen mit dem blista-Vorstand. Die Mittel aus dem Digitalpakt sind unter anderem in die Anschaffung neuer blistaBoards (interaktive Tafeln) geflossen: „Wir möchten die Vorteile neuer Medien für unserer Schülerinnen und Schüler nutzen und wie man an den beschriebenen kollaborativen Anwendungen sehen kann, das gemeinsame Lernen stetig verbessern. So wird Gutes ausgebaut und gleichzeitig auf das Arbeiten in einer zunehmend digitalisierten Welt vorbreitet.“