Zeitenwende – vom Leben nach der blista
Interview mit Pascal Geweniger, Abitur 2019
Wasserpistolen, Bodenbeläge und Spielekonsolen ... so vielseitig ist E-Commerce
Pascal Geweniger ist 23 Jahre alt. Seit seinem 13. Lebensjahr ist er blind. Er ging ab dem 5. Schuljahr an die blista und machte 2019 am beruflichen Gymnasium, Fachrichtung Wirtschaft, das Abitur. Zurzeit studiert er an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Betriebswirtschaftslehre. Seit 2018 hat er sich im E-Commerce selbstständig gemacht. Das Interview mit Pascal Geweniger führte Redaktionsmitglied Isabella Brawata.
blista-News: Herr Geweniger, bevor wir über Ihre Laufbahn sprechen, was versteht man eigentlich unter E-Commerce?
Pascal Geweniger: Unter E-Commerce versteht man, kurz gesagt, alles, was online stattfindet, sowohl im Hard- als auch im Softwarebereich. Das kann vom Bauen von Webseiten über Onlinemarketing bis hin zum Verkauf von Produkten und Dienstleistungen gehen.
blista-News: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ins E-Commerce einzusteigen?
Pascal Geweniger: Ich wollte mir nach der Schule ein bisschen "Taschengeld" nebenbei dazuverdienen. Aufgrund der Blindheit kamen die meisten üblichen Studentenjobs für mich nicht in Frage. Ein ehemaliger blista-Lehrer gab mir den Tipp, Produkte auf eBay zu verkaufen. So kam mir die Idee, über Amazon Produkte ein- und weiterzuverkaufen. Also habe ich losgelegt, ein Gewerbe angemeldet und mir einen guten Steuerberater gesucht. Komplizierter war das Product-Sourcing. Da gibt es vieles zu beachten und bei meinem ersten Produkt ist da leider auch was schiefgelaufen. Ich hatte zu Sommerbeginn Wasserpistolen aus China bestellt und wollte sie auf Amazon verkaufen, habe alle notwendigen Formulare ausgefüllt, doch ich bekam keine Erlaubnis von Amazon. Weder in Facebook-Gruppen noch beim Amazon-Support selbst konnte man mir den Grund für die Nicht-Bewilligung nennen. Ich hatte keine Chance und blieb schließlich auf einer Menge Wasserpistolen sitzen, die ich mit einigem Verlust über eBay und andere Quellen loswurde.
Also investierte ich eine ordentliche Summe und machte einen Kurs, in dessen Verlauf meine Fragen und Probleme geklärt werden konnten. Ich sagte mir nämlich: Abertausende Leute verkaufen auf Amazon, dann muss ich das doch wohl auch hinkriegen. Es gab damals nämlich noch keine Ausbildung und ich musste mir alles selbst erarbeiten. Also habe ich begonnen, kleine Produktmengen, für die nicht so viele Auflagen erfüllt werden müssen, zu launchen und war stolz wie Oskar, als der Verkauf dann endlich geklappt hat.
blista-News: Wie haben Sie sich weiterentwickelt?
Pascal Geweniger: Mittlerweile habe ich eine eigene Firma und vertreibe unter meiner Privat-Label-Marke "Boden-ständig" auf Amazon Bodenbeläge. In diesem Bereich unterliegen alle Prozesse meiner Kontrolle.
Ich mache den Herstellern Vorgaben für meine Produkte und lasse alles schützen, damit niemand meine Ideen klauen kann. Dann vertreibe ich noch über einen Online-Shop und über Kaufland Spielekonsolen.
blista-News: Welche Fähigkeiten sollte man mitbringen, wenn man im E-Commercebereich erfolgreich sein möchte?
Pascal Geweniger: Man braucht ein Grundverständnis der Betriebswirtschaft, mathematisches und kaufmännisches Verständnis, man muss Ahnung von Marketing und Design haben und wissen, wie man Produkte auf den unterschiedlichsten Plattformen wie Google, Facebook oder Youtube bewerben muss.
blista-News: Wie barrierefrei sind denn die Web-Anwendungen, mit denen Sie arbeiten?
Pascal Geweniger: Grundsätzlich sind Webseiten wie beispielsweise Amazon Seller Central relativ barrierefrei. Das Problem stellt eher die Übersichtlichkeit dar. Im Bereich Lagerlogistik hat man riesige Tabellen, aus denen für jeden einzelnen Posten ersichtlich ist, welches Produkt wo verfügbar ist, was zwischen welchen Lagern transferiert wird, welche Produkte zum Kunden oder Retour gehen und welche defekt sind. Mir als blinden Menschen fehlt da der Überblick. Ich arbeite sehr gut mit meinem Geschäftspartner zusammen, der alles im Auge behält.
blista-News: Im E-Commercebereich spielt es eine große Rolle, Produkte möglichst optisch attraktiv zu präsentieren. Wie lösen Sie dieses Problem?
Pascal Geweniger: Ja, das stimmt. Das Design spielt eine enorm wichtige Rolle. Auch in diesem Bereich vertraue ich voll und ganz auf meinen Geschäftspartner.
blista-News: Was können Sie anderen blinden und sehbehinderten Menschen raten, die in den Online-Handel einsteigen möchten?
Pascal Geweniger: Wenn man sich als blinde oder stark sehbehinderte Person im E-Commerce selbständig machen möchte, muss man bedenken, dass es Bereiche gibt, für die man eine helfende Hand und ein sehendes Auge braucht. Man muss sich eine Person suchen, auf deren Fähigkeiten man sich vollkommen verlassen kann, denn die Qualität von Fotos oder Videos kann über Wohl und Wehe eines Online-Shops entscheiden. Meine Stärken liegen im Finanzbereich. Ich kenne mich gut im Steuerrecht und mit Finanzierungsmöglichkeiten aus. Auch im Bereich Lagerlogistik, also effiziente Transportwege erschließen, bin ich tätig. Und ich manage eigentlich alles, was anfällt. Kümmere mich um Probleme und Anliegen der Mitarbeiterschaft, teste neue Software, habe alle Abläufe im Blick.
Unabhängig davon, ob man sehend ist oder nicht, sollte man sich fragen, was man gern tut, ob man lieber Webseiten programmiert oder gute Werbeslogans erfindet. Wichtig ist, Spaß am E-Commerce zu haben, denn man muss sich in der Regel vor allem um Problemlösungen bemühen, wenn die Mitarbeiter*innen nicht mehr weiterwissen.
Man hat es also oft mit nervigen Angelegenheiten zu tun und braucht ein dickes Fell. Das hält man nur durch, wenn man Freude an der Tätigkeit hat und Befrieigung empfindet, wenn es gelingt, ein Problem zu lösen. Man darf auch nicht erwarten, dass man von heute auf morgen Millionär wird. Man kann zwar in diesem Bereich durchaus ganz gut verdienen, aber dahinter steckt viel harte Arbeit. Außerdem sollte man nicht dem Irrtum erliegen, dass man mit einem kleinen Budget viel bewirken kann. An der falschen Ecke zu sparen ist häufig nicht zielführend. Es lohnt sich beispielsweise, für gute Fotos viel Geld auszugeben. Wenn man über ein geringes Startkapital verfügt, sollte man sich zunächst an ein Produkt wagen, von dem nicht sonderlich viel verkauft wird. Da ist zwar der Gewinn geringer, dafür aber die Konkurrenz kleiner.
Man sollte sich nicht von ersten negativen Erfahrungen abschrecken lassen, sondern dranbleiben und sich mit anderen vernetzen und austauschen, denn geteiltes Leid ist halbes Leid!