Bewegungsförderung – Durch Bewegung das Selbst stärken

Eine Frau und ein Mann in Sportkleidung spielen auf einer Wiese auf dem blistaCampus und schwingen lange Stäbe mit bunten Bändern an den Enden.

Vivian Michael ist Motologin und berichtet über ihre Arbeit an der blista, aufgezeichnet von Isabella Brawata.

„Ich studierte in Marburg Motologie. Die Motologie beschäftigt sich mit dem Zusammenhang von Körper und Psyche, auch Psychomotorik genannt. Menschen in ihrer physischen, kognitiven, sensorischen und emotionalen Entwicklung zu fördern, ist mir eine Lebensaufgabe. Die Worte Leidenschaft und Sinnhaftigkeit beschreiben wohl am besten, was mir meine Arbeit bedeutet.“

Gemeinsam mit ihrer Kollegin Sophie Gaul-Rafflenbeul arbeitet Vivian Michael psychomotorisch mit neuerblindeten Menschen in der blindentechnischen Grundrehabilitation (BtG) sowie mit Schüler*innen der Carl-Strehl- Schule. Dabei lassen sich beide auch von anderen Bewegungskonzepten inspirieren – etwa Abenteuer- und Erlebnispädagogik, Sportarten für Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung oder Yoga. Ziel ist es, den Teilnehmenden eine positive Verbindung zu ihrem Körper zu ermöglichen, Freude an Bewegung zu wecken und Körper- und Sinneserfahrungen bewusst zu machen. „Das Schönste ist, wenn ein Angebot so gut ankommt, dass es in den Alltag integriert wird“, sagt Vivian Michael. Bewegungsspiele, Wahrnehmungsaufgaben und Achtsamkeitsübungen bieten spielerische Zugänge zu Körperbewusstsein und Selbstwahrnehmung.

Vier Personen knien auf Gymnastikmatten in einem Sportraum und führen eine Übung im Vierfüßlerstand aus.

Unter der Prämisse, dass Körper und Geist untrennbar sind, bringt jede Person ihre eigenen Themen in die Bewegungsförderung ein. Seelischer Stress zeigt sich oft körperlich, etwa durch Verspannungen. Bewegung – ob Lockerungsübungen, Yoga oder Tanz – kann Körper und Seele gleichermaßen guttun. So kann körperliche Aktivität auch auf die Psyche wirken. „Wenn ich traurig bin, kann ein Bewegungsspiel meine Laune heben. Wenn ich mich auspowere, fallen Wut und Anspannung ab. Und wenn ich mich traue, auf einer Bank zu balancieren, stärkt das nicht nur Gleichgewicht und Koordination, sondern auch mein Selbstbewusstsein“, erklärt Vivian Michael.

Ein Beispiel aus der Praxis: Eine Gruppe steht im Kreis, eine Person erhält einen Pezziball, ruft den Namen einer Mitspieler*in und lässt den Ball dreimal aufprallen, bevor diese ihn fängt. Neuerblindete Menschen erfahren so, wie sie ihre verbliebenen Sinne nutzen können, um Entfernungen einzuschätzen. Personen, die noch ein Sehvermögen haben, können ausprobieren, inwieweit sie visuelle und auditive Informationen kombinieren. „Insbesondere Schüler*innen, die früher inklusiv beschult wurden, verbinden mit Ballspielen oft unangenehme Erfahrungen. Auch die Angst, vom Ball getroffen zu werden, muss bei einigen erst überwunden werden“, berichtet Vivian Michael.

Viel Bewegung auf dem blistaCampus – eine Gruppe spielt ein Spiel mit einem Ball.

Ein weiteres Spiel ist das „akustische Tor“: Zwei Personen erzeugen ein Geräuschfeld, durch das eine dritte hindurchläuft. Für viele blinde Menschen ist das Durchqueren einer freien Fläche ohne Leitlinien eine Herausforderung – doch mit der Zeit wachsen Mut und Sicherheit. Menschen mit Blindheit oder Sehbehinderung sind im Alltag häufiger auf die Mithilfe Anderer angewiesen. „Um sich hier wieder selbstbestimmter zu erleben, setze ich auch auf Kooperationsaufgaben, die Bewegung und Körper einbeziehen“, sagt Vivian Michael. Dabei lernen Schüler*innen und Rehabilitand* innen andere anzuleiten, Ideen einzubringen und ihren Fähigkeiten sowie der Gruppe zu vertrauen. So stellt sich beispielsweise die Gruppe auf eine Bank und soll sich, ohne die Bank zu verlassen, nach Geburtsjahr sortieren – eine Übung, die Koordination, Kommunikation und Gleichgewicht fördert und zugleich Spaß macht.

Jüngere Schüler*innen können sich in der Bewegungsförderung austoben, etwas erklimmen, unter etwas hindurchkriechen, etwas gemeinsam aufbauen und mit Spiel und Spaß an der Bewegung ihren Körper und ihre Fähigkeiten erfahren. Wichtig ist dabei ein sicherer Rahmen: Jede*r entscheidet selbst, was er oder sie ausprobieren möchte. Vertrauen – sowohl zur Anleiterin als auch in die Gruppe – ist Grundlage für Mut und Entwicklung. „Leitsätze wie ‚Du bist nicht allein. Ich bin bei dir. Du schaffst das!‘ helfen oft, Ängste zu überwinden und neue Erfahrungen zu wagen“, sagt Vivian Michael. Bewegungsförderung findet nicht nur in der Halle, sondern auch draußen statt. In der Natur können unterschiedliche Untergründe erlebt und Sinne vielfältig geschult werden.

Kurzum, die Psychomotorik als Basis der Bewegungsangebote ist ein ganzheitliches Konzept, das Körper, Geist und Emotionen in Einklang bringt. Indem körperliche Aktivität mit innerer Wahrnehmung verbunden wird, stärkt es das Wohlbefinden. „Meine Kollegin Sophie Gaul-Rafflenbeul und ich möchten Schüler*innen und Auszubildende ermuntern, sich bei uns zu melden, wenn Interesse an unserem Angebot besteht. Unsere Angebote stehen allen offen – auch Lehrkräfte, Internatsmitarbeitende und Eltern können sich gerne mit Fragen an uns wenden.“

Zu erreichen ist das Büro der Bewegungsförderung unter (06421) 606-247.