Audiodeskription im HLT

Schmusepopo, Männer in Frauenkleidern und jede Menge schräge Komik

Isabella Brawata. Im Januar gab es am Hessischen Landestheater eine Premiere ganz besonderer Art. Zum ersten Mal wurde im Theater Am Schwanhof ein Stück mit Live-Audiodeskription aufgeführt, „Der eingebildet Kranke“ von Molière.

Die Initiative von Monika Saßmanns­hausen, in Marburg Theaterstücke mit Live-Audiodeskription aufzuführen, bei der dem blinden und sehbehinderten Publikum all die Dinge beschrieben werden, die im Stück zwar zu sehen, aber nicht zu hören sind, ­bestand schon lange. Besonders Monika Saßmannshausen, die sich über viele Jahre in der Theater-AG der Carl-Strehl-Schule engagierte und an der blista Expertin für Audiodeskription ist sowie Thorsten Büchner setzten sich für diese Form des Kulturgenusses ein und kümmerten sich darum, dass für die Aufführungen die Anlage mit 20 Kopfhörern von der blista zur Verfügung gestellt wird. Mit dem Chefintendanten Matthias Pfaltz sowie dem Chefdramaturgen Franz Burkhard wurde der Plan mit Feuereifer in die Tat umgesetzt. Ich konnte mir dieses Ereignis nicht entgehen lassen und besuchte das Stück „Der eingebildet Kranke“ im Theater Am Schwanhof.

Die Handlung ist schnell erzählt. Ein Mann, Monsieur Argan, der von sich glaubt, sterbenskrank zu sein, möchte erreichen, dass seine Tochter Angelique einen Arzt oder Apotheker heiratet, damit er nicht mehr so viel für Arztbehandlungen und Medikamente ausgeben muss. Seine Tochter will aber nicht. Da ersinnt das Dienstmädchen Toinette eine List, um ihren Dienstherrn ­wieder zur Vernunft zu bringen.
 

Besucherinnen und Besucher betasten im Vorfeld der Aufführung Kostüme und Requisiten

Eine halbe Stunde vor Premiere führte uns Burkhard in das Stück ein. Er beschrieb uns die Bühne, die wir auch betreten durften, und zeigte uns einige Requisiten. Ganz besonders ist mir das Kleid der jüngeren Tochter in Erinnerung geblieben, die übrigens von einem fast zwei Meter großen Mann gespielt wurde. Es war weit ausladend, rosa-orange mit Puffärmeln und Rüschen und so kurz, dass man ständig ihren Schlüpfer sehen konnte sowie das Elektromobil des eingebildeten Kranken, mit dem er auf der Bühne umherflitzte, wenn er nicht gerade mal wieder vergessen hatte, dass er eigentlich krank und schwach ist.

Die Einführung war großartig, denn man merkte Herrn Burkhard an, dass er das Stück und dessen Protagonisten mag und selbst Freude an den kleinen Gags und Albernheiten hatte. Begeistert war Burkhard auch von der Idee der Audiodeskription. Sofort war er bereit, die Live-Audiodeskription persönlich einzusprechen. Das Faszinierende dabei ist, dass sich Burkhard keinerlei Notizen macht, sondern völlig frei erzählt, was auf der Bühne geschieht. Da er Theaterdramaturg ist, hat er ein ausgezeichnetes Gespür dafür, im richtigen Moment das Wesentliche zu vermitteln.

Die Inszenierung war für mich eine Überraschung. Ich hatte mir, da das Stück bereits 1673 uraufgeführt wurde, ein gediegenes Lustspiel vorgestellt, aber weit gefehlt! Das Ganze erinnerte eher an einen schwarzhumorigen Zeichentrickfilm oder eine derb-witzige Clownsnummer im Zirkus. Es sprühte vor Energie, Slapstick, Situationskomik und satirischen Anspielungen. Es gab den bösen Notar, der mit der neuen Frau des eingebildeten Kranken ein Verhältnis hatte und gleichzeitig versuchte, sie übers Ohr zu hauen, um sich das Erbe der ­Familie unter den Nagel zu reißen. Es gab die skrupellosen Ärzte, die ihre ­rabiaten Behandlungsmethoden an Argan ausübten und natürlich alles, was ihre Berufskollegen taten, als Unsinn abtaten. Eindrücklich ist mir der riesige Hintern von Argans neuer Frau Béline in Erinnerung geblieben, den sie gekonnt einsetzte, um ihren Mann zu besänftigen, indem sie einschmeichelnd „Schmusepopo“ rief und sofort bettete Argan seinen Kopf auf dem riesigen Hinterteil seiner Frau und schlummerte friedlich ein. Ohne die hervorragende Live-Audiodeskription von Burkhard wären mir viele Scherze und Andeutungen, über die sich das sehende Publikum amüsiert, entgangen. Ich werde nun öfter ins Theater gehen!

 

Hessisches Landestheater Marburg bietet Live-Audiodeskription

Seit Anfang des Jahres bietet das „Hessische Landestheater Marburg“ in Kooperation mit der blista ausgewählte Theaterstücke mit Live-Audiodeskription an. Zahlreiche blinde und sehbehinderte Theaterbesucher haben dieses Angebot zur kulturellen Teilhabe bereits genutzt. Die aktuellen Aufführungstermine mit Live-Audiodeskription werden auf der Webseite der blista (www.blista.de) und auf den Internetseiten des „Hessischen Landestheater Marburg“ (www.theater-marburg.com) veröffentlicht.