Essen, Anziehen, Schuhe binden -
Wie kann ich mein blindes Kind dabei unterstützen?
Elternseminar der Bundesvereinigung Eltern blinder und sehbehinderter Kinder e.V.
Nina Schick und Stefanie Schulz, Teilnehmerinnen | Wir waren insgesamt 15 Teilnehmer*innen. Herr Dr. Werner Hecker (Ressortleiter der Rehabilitationsabteilung der blista) und Katja Jung (Rehafachkraft an der blista) leiteten das Seminar. Nachdem wir uns alle kurz vorgestellt hatten, folgte eine Einführung in das Thema („Was ist eigentlich LPF?"). Kurz gesagt umfasst der Bereich Lebenspraktische Fähigkeiten (LPF) alle motorischen Handlungen, die man im Alltag erledigen muss (Alltagsbewältigung). Das Ziel des Erlernens Lebenspraktischer Fähigkeiten ist der Gewinn einer möglichst großen Selbstständigkeit und der Erwerb von Kompetenzen, um im Alltag alleine zurechtzukommen. Die Themen (z. B. Körperpflege, Essen/Trinken, Umgang mit Geld, soziale Kompetenzen, Spiele etc.) orientieren sich immer an den Bedürfnissen des jeweiligen Kindes. Üblicherweise erhalten Kinder über das Sehen wichtige Informationen für/über die Ausführung von Handlungen und lernen somit durch Nachahmung. Blinden Kindern müssen diese Informationen anders zugänglich gemacht werden, sie lernen schwierige Dinge nicht nebenher (z. B. durch Nachahmung).
Nach dem theoretischen Teil durften wir in einer Simulationseinheit (Frühstück unter der Augenbinde) selbst ausprobieren, wie es ist, auf Informationen durch das Sehen verzichten zu müssen. Wir wurden unter der Augenbinde in einen Raum geführt, in welchem zwei reichlich gedeckte Frühstückstische auf uns warteten. Während des ca. einstündigen Frühstücks sprachen wir fast ausschließlich darüber, wo welches Lebensmittel ist und wer gern etwas gereicht haben möchte. In dieser Situation konnten wir eindrücklich erfahren, wie viele wichtige Informationen für die Ausführung von Handlungen über das Sehen vermittelt werden. In der späteren Auswertung äußerten viele von uns, dass die Bewältigung der Situation anstrengend war. Und wir erfuhren am eigenen Leib, mit welchen Schwierigkeiten unsere Kinder konfrontiert sind.
Unter Anleitung von Herrn Dr. Hecker haben wir die Schwierigkeiten und mögliche Lösungen herausgearbeitet. Anschließend hat uns Frau Jung viele praktische Tipps in Bezug auf das Thema Essen/Trinken gezeigt und erläutert.
In dem anschließenden Referat „Lernen Schritt für Schritt: Wie helfe ich meinem Kind, es selbst zu tun?“ haben wir etwas die übergreifenden Prinzipien der Förderung blinder Kinder in LPF (z. B. Verbalisierung, Anleitung und Führung von hinten etc.) erfahren.
Will man eine Fähigkeit fördern, sollte diese zum Entwicklungsstand des Kindes passen und das Kind sollte über die notwendigen Lernvoraussetzungen (z. B. motorische, geistige) verfügen. Um sich bewusst zu machen, welche einzelnen Teilschritte die Handlung umfasst und wie die Handlung genau funktioniert, ist eine Handlungsanalyse notwendig. Um die Technik der Handlungsanalyse zu erlernen, wurden wir in der anschließenden Kleingruppenarbeit „Ich muss selbst ausprobieren, was ich meinem Kind beibringen möchte!“ in vier Gruppen aufgeteilt. Wir hatten die Aufgabe, zu jeweils einer Fertigkeit (mit Löffel essen, Jacke anziehen, Knoten in Schnürsenkel machen, Knopf schließen) eine Handlungsanalyse zu schreiben. Dabei haben wir festgestellt, dass diese Aufgabe sehr komplex ist. Zum einen führen immer mehrere Lösungsmöglichkeiten zum Ziel und zum anderen ist es häufig sehr schwer, eine Handlung so zu beschreiben, dass sie eindeutig und auch ohne Sehvermögen gut nachvollziehbar ist. Hier haben wir auch gelernt: Bevor man, eine komplexe Fähigkeit fördern will, sollte man den Handlungsablauf bereits selbst unter der Augenbinde erprobt haben, um sich die Teilschritte der Handlung und den genauen Handlungsablauf bewusst zu machen. Zudem löst man unter der Augenbinde manche Aufgaben anders als mit sehender Kontrolle. Abgeschlossen haben wir diesen ersten sehr informativen und arbeitsreichen Tag mit einem gemeinsamen Abendessen, erfrischenden Getränken und tollen Gesprächen.
Am nächsten Tag kamen wir morgens wieder alle zusammen und haben unsere Kleingruppenarbeit vorgestellt und ausführlich über die Ergebnisse diskutiert. Anschließend fand ein interessanter Workshop statt, bei dem wir allerhand Tipps und Tricks für den lebenspraktischen Bereich bekamen und viele tolle Hilfsmittel ausprobieren durften.
Wir schnitten z. B. einen Obstsalat unter der Augenbinde. Gar nicht so einfach! Wie identifiziere ich faule Stellen am Obst? Welches Schneidebrett ist voll? Wie organisiere ich meinen Arbeitsplatz?
Des Weiteren versuchten wir Geldmünzen und Scheine zu identifizieren. Ich wusste bisher gar nicht, dass unsere Euro Münzen unterschiedliche Riffelungen am Rand haben. Es gibt einige Hilfsmittel um sein Geld gut sortiert zur Hand zu haben.
Für Münzen gibt es Sortierboxen aus Plastik, für Scheine gibt es z. B. Schablonen, mit denen man die Größe des Scheins messen kann. Es gibt auch Apps, die Geldscheine erkennen, wenn die Kamera des Smartphones auf eine Banknote gerichtet wird.
Wir probierten auch verschiedene Hilfsmittel für die Küche aus, z. B. eine sprechende Küchenwage oder eine Einschenkhilfe.
Zudem bekamen wir Tipps, welche Gesellschaftsspiele für blinde Kinder 'Sinn machen', durften ein paar adaptierte Spiele ausprobieren und genauer unter die Lupe nehmen.
Nach einer kurzen Pause fanden wir uns wieder ein, um gemeinsam mit Dr. Michael Richter rechtliche Fragen zur Beantragung einer Kostenübernahme für die LPF-Schulungen zu klären. In vielen Köpfen ist noch fest verankert, dass lediglich 40 Stunden LPF-/Mobi-Training von den Krankenkassen übernommen werden. Das ist jedoch NICHT richtig. Laut Dr. Richter muss jede Person so viele LPF-/Mobi-Training-Stunden genehmigt bekommen wie sie benötigt.
Abschließend lässt sich sagen: Das Seminar war suuuper! Wir sind mit vielen neuen Ideen nach Hause gegangen, wie wir den Alltag unserer Kinder erleichtern können.