Buchtipp

Vorbemerkung der Redaktion: Normalerweise stellt Winni Thiessen an dieser Stelle Bücher vor, die von blinden oder sehbehinderten Autor*innen verfasst wurden oder die das Thema Blindheit und Sehbehinderung literarisch aufgreifen. Weil das Buch von Eva Biringer allerdings so interessant und relevant ist und ein wichtiges und oft tabuisiertes Thema aufgreift, machen Winni und die Redaktion eine Ausnahme und weichen bewusst vom Charakter dieser Rubrik ab.

Das Buch "Un-abhängig".

Un-abhängig von Eva Biringer

Schon im zarten Alter von 13 Jahren tritt der Alkohol in das Leben von Eva Biringer – kein Novum in unserer Gesellschaft. Anfangs trinkt sie nur an Wochenenden, auf privaten Feiern oder Dorffesten, aber dann geht sie immer gleich in die Vollen, halbe Sachen sind nicht ihr Ding.  Verkostet wird dabei alles, an was man so als Teenager herankommt.

Sie macht ihr Abitur, geht nach Berlin, fängt an zu studieren und baut sich ein Leben auf, in dem der Alkohol nie versiegen wird. Dabei nutzt sie ihr Schreib- und Recherchetalent, ihre Gründlichkeit und ihren Perfektionismus und fängt an als freie Mitarbeiterin für Zeitungen und Journale über die trendigsten Entwicklungen im Gourmetbereich zu berichten. Fortan stehen ihr die Weinkeller und Schnapsbrennereien offen – sie wird zur Fachfrau für Alkoholika und immer öfter geraten dabei die dazu kredenzten Gerichte zur Nebensache. Durch die Welt jetten, sich auf Kosten des Hauses zu berauschen und damit auch noch Geld verdienen – ein Traumjob für sie, der aber immer öfter zum Albtraum werden soll. Die Abstürze mehren sich und werden heftiger, die vergangene Nacht muss nicht selten anhand von Whats-app-Nachrichten und durch Nachfragen bei Bekannten rekonstruiert werden. Immer wieder holt sie sich therapeutische Unterstützung und schafft es doch geschickt, um das Thema Alkohol herum zu manövrieren. Auch ihr Körper fängt an sich zu melden: Schlafstörungen, Depressionen, das morgendliche Verkatert sein gehören fortan zu ihrem Alltag – doch Eva macht weiter, zu robust ist ihre Physis und immer wieder findet sie die „richtigen“ Bekanntschaften oder einen weiteren Traummann, ihren Retter, direkt am Tresen. Dann ihr Entschluss: an ihrem 30. Geburtstag soll das Rauschtrinken endlich ein Ende nehmen.

Das Buch ist Autobiografie und gleichzeitig ein Lexikon zum Thema Alkohol(missbrauch) aus Frauenperspektive – alles was man darüber wissen sollte, scheint sie gelesen zu haben. Eva Biringer hat einen locker flockigen Schreibstil. Auch trockene Themen geraten bei ihr im Abgang blumig und fruchtig und hinterlassen keinen faden Nachgeschmack.

Selten fühlte ich mich von einem Buch so umfassend informiert und dabei stets perfekt unterhalten. Es ist ein Erlebnis, sie auf ihrer Reise durch die Sucht, die sie als ihre Entwicklungsphase bezeichnet, und auf ihrer Suche nach den Motiven und Triebfedern ihres Trinkverhaltens zu begleiten. Bei ihr findet sich keine Anklage, keine Besserwisserei und keine Patentrezepte – nur Information und beschreibende Reflexion – eine intellektuelle und intelligente Herangehensweise an das Thema Suchtverhalten. Von einer Frau, die im Trinken keine Krankheit sehen will, sondern erlernte, die Persönlichkeit stabilisierende, Verhaltensmuster, die es zu durchbrechen gilt.

Ein absolutes Lesevergnügen und besser als die meisten Fortbildungen, die uns Pädagog*innen zum Thema angeboten werden. Stößchen!