blista-Seniorenberatung gewinnt den Hessischen Demografie-Preis 2018

Preisverleihung: (v.l.n.r.) Birgit Imelli, Staatsminister Wintermeyer, Bernd Wilhelm, Amélie Schneider, Christa Pfeifer, Ministerpräsident Bouffier, Claus Duncker, Jürgen Nagel, Linda Hirsch
© Staatskanzlei

Amélie Schneider* | Bereits seit 2012 möchte die blista mit ihrer Initiative „Rat und Hilfe bei Sehverlust – Wir besuchen Seniorinnen und Senioren mit dem SEHmobil in ihrem Zuhause“ älteren Menschen mit Seheinschränkungen Mut machen, ein weiterhin selbstbestimmtes Leben in ihrem gewohnten Umfeld zu führen. Dazu bieten wir kostenfreie Hausbesuche an. Mit dem SEHmobil, einem Kleinbus voller Hilfsmittel, fährt der Seniorenberater Bernd Wilhelm hinaus ins Marburger Umland; die Wohnorte der Klientinnen und Klienten erstrecken sich bis zu einem Umkreis von 60 km.

Dank des SEHmobils können die Ratsuchenden viele Alltagshelfer und Sehhilfen zuhause ausprobieren. Auch Freizeitgestaltung und Kontakte zu Selbsthilfegruppen sind Thema. Oft kennen die Personen die medizinischen Aspekte der eingetretenen Behinderung nicht richtig. Neben Erläuterungen enthalten die Gespräche einen hohen Anteil psychosozialer Beratung; die persönliche Zuwendung empfinden die Seniorinnen und Senioren als sehr positiv.

Die Seniorenberatung hat bereits über 472 Personen besucht. Zwei Drittel der Ratsuchenden leben im ländlichen Umfeld und kämpfen mit erheblichen Mobilitätsbarrieren und infrastrukturellen Mängeln. Eine Studie der Philipps-Universität Marburg ergab, dass sich die Beratung auf die Lebensqualität in den Bereichen Aktivität, Freizeit und Mobilität auswirkt. Die blista-Seniorenberatung leistet einen wirksamen Beitrag für den Erhalt der Autonomie von Seniorinnen und Senioren. Seit 2013 bereits wird das Engagement aus Spenden und freiwilligen Zuwendungen finanziert, da es aufgrund einer fehlenden belastbaren Gesetzesgrundlage nicht möglich ist, Kostenträger für eine regelhafte Förderung zu gewinnen.

Mit der Auslobung des Hessischen Demografie-Preises durch die Hessische Staatskanzlei im Februar 2018 erhofften wir uns eine Chance, der Seniorenberatung ein Preisgeld und öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Der Preis wurde zum Motto „Wo Ideen Freiraum haben! Leben auf dem Land“ in sieben Kategorien ausgeschrieben und fragte u. a. nach Ansätzen, die es älteren Menschen ermöglichen, lange und selbstbestimmt im vertrauten Umfeld zu leben.

Zwei Runden – zwei Hürden

Frau Pfeifer, Staatsminister Wintermeyer und der Regionalbeauftragte für Mittelhessen Scherf (v.l.n.r.). Wintermeyer und Scherf tragen am Kaffeetisch Simulationsbrillen.
© Staatskanzlei

Das Bewerbungsverfahren war in zwei Runden unterteilt. Zunächst wurden über 90 schriftliche Bewerbungen ausgewertet und sechs Projekte nominiert. Es hat uns unglaublich gefreut, dass wir diese Hürde nehmen konnten. Wir erhielten daraufhin Besuch von Staatsminister Wintermeyer, dem Chef der Hessischen Staatskanzlei. Man hatte uns gebeten, das Besuchsprogramm mit Leichtigkeit zu gestalten. In einer blista-Wohngruppe fand bald darauf ein großes Kaffeekränzchen statt.

Besuch des Staatsministers: Die große Runde der Besucher steht vor dem SEHmobil.
© Staatskanzlei

Staatsminister Wintermeyer, drei Seniorinnen aus Marburg und Stadtallendorf, der mittelhessische Regionalbeauftragte Herr Scherf, der Marburger Bürgermeister Stötzel, der Erste Kreisbeigeordnete Zachow, die blista-Vorsitzenden Claus Duncker und Jürgen  Nagel sowie Ute Arnold, eine Rehabilitationslehrerin für Blinde und Sehbehinderte, tauschten bei Kaffee und Kuchen* mit und ohne Simulationsbrillen Erfahrungen aus, führten sprechende Waagen und Markierungspunkte vor und begutachteten gemeinsam den reichhaltigen Inhalt des SEHmobils. Es war ein erlebnisreicher Nachmittag und wir gingen mit positiver Energie in die zweite Runde.

Die Jury erwartet uns!

Im August sollten wir die Seniorenberatung vor der Jury in Wiesbaden vorstellen. Frau Pfeifer und Frau Hirsch, die Herrn Wilhelm und mich unterstützten, machten sich sogleich an die ersten Ideen. Frau Pfeifer, Jahrgang 1930, schlug vor, die Vielfalt an Hilfsmitteln anhand eines Tagesablaufes zu demonstrieren. Frau Hirsch, Jahrgang 1956, ergänzte um eine Szene, in der sich die beiden Seniorinnen im Café über den Besuch von Herrn Wilhelm unterhielten. Dieser sollte zum Abschluss noch die professionelle Perspektive auf sein Arbeitsfeld zum Besten geben. Nun trafen wir uns zur Generalprobe und zum Mittagessen, telefonierten ab und an, um Details zu vertiefen und wuchsen in gemeinsamer Vorfreude zu einem kleinen Team zusammen.

Im August fuhren wir dann im SEHmobil nach Wiesbaden … standen eine Stunde im Stadtstau, es schüttete wie aus Eimern, das vermeintlich nahe Parkhaus war einen längeren Fußmarsch von der Staatskanzlei entfernt, unterdessen durften wir noch eine Verhaftung auf offener Straße erleben … und wir schafften es erschöpft aber noch rechtzeitig zur Präsentation. Der Stress der Anreise war verflogen, als wir den Saal betraten und der fast 20-köpfigen Jury gegenüberstanden. Wir begannen mit unserem kleinen Schauspiel und wichen im Laufe der Präsentation charmant immer mehr vom Skript ab. Frau Hirsch und Frau Pfeifer erwiesen sich als mitreißende Improvisationstalente und so konnten wir die Jury im Anschluss an unsere 15 Minuten Präsentationszeit sogar noch für einige Fragen gewinnen. Ein gutes Zeichen?!  

Linda Hirsch, Bernd Wilhelm und Christa Pfeifer vor der Hessischen Staatskanzlei in Wiesbaden (v.l.n.r.)

Zufrieden stiegen wir wieder ins SEHmobil und verbrachten eine redselige Heimreise; die beiden Seniorinnen ließen uns an vielen Erfahrungen aus ihren Leben teilhaben … haben Sie gewusst, dass man im rollenden Hotel durch Japan reisen kann? Schon beinahe zuhause angekommen klingelte das Handy: Wir waren unter den ersten drei Preisträgern! Frau Schüfer, Referentin in der Staatskanzlei, die uns während des Bewerbungsprozesses hilfreich zur Seite stand, berichtete, dass die Jurymitglieder von den ehrlichen Schilderungen der Seniorinnen darüber, was ein Sehverlust im Alter bedeute, beeindruckt waren; die Jurorinnen und Juroren wünschten sich allesamt einen „Herrn Wilhelm“ für ihre Gemeinden. Die Freude war riesig. Welchen Platz genau wir erzielt hatten, sollten wir jedoch erst bei der Preisverleihung erfahren.

Die Preisverleihung

Am Tag vor der Preisverleihung kündigte sich unerwartet der Hessische Rundfunk an, um am gleichen Tag noch einen Fernsehbeitrag für die Hessenschau zu drehen. Frau Pfeifer fand sich schon wenige Stunden später in ihrer Wohnung vor der Kamera wieder, Herr Wilhelm fuhr mit Filmteam und SEHmobil durch Marburg und Herr Nagel gab ein Interview … ein weiteres Zeichen?!

Gemeinsam mit Herrn Duncker und Herrn Nagel besuchten wir am 6. September die Preisverleihung in der Hessischen Staatskanzlei. Der Preis wurde vom Ministerpräsidenten Bouffier übergeben, was eine große mediale Aufmerksamkeit mit sich brachte. Frau Hirsch war besonders aufgeregt, da sie sich bereits seit Wochen darauf freute, Herrn Bouffier persönlich zu treffen. Nach kurzweiligen Wortbeiträgen und der Rede des Ministerpräsidenten sollten die Umschläge geöffnet werden. Der dritte Platz ging an die Sportjugend im Werra-Meißner-Kreis und ihren „Sportpass“. Die evangelische Kirche Kurhessen-Waldeck erhielt die zweite Auszeichnung für das Online-Angebot „Unser Dorf: Wir bleiben hier“.

Der symbolische Scheck über den Preis­gewinn von 10.000 €

Nachdem die beiden tollen Projekte verdient gewürdigt wurden, war es klar: Die blista hat den ersten Platz erreicht! Es folgten freudestrahlende Gesichter auf den obligatorischen Fotos und für Herrn Wilhelm und die blista-Vorsitzenden einige Presseinterviews und Gespräche mit politischen Vertretern. Frau Pfeifer und Frau Hirsch verarbeiteten ihre Freude bei einem leckeren Imbiss, bevor sich Herr Nagel und Herr Duncker mit dem Scheck über 10.000 € auf die Heimreise und unser kleines Team sich in die Innenstadt Wiesbadens begab, um bei einem Eisbecher den Erfolg noch etwas zu feiern. Das hatten sich vor allem Frau Hirsch und Frau Pfeifer verdient. Ohne ihren tatkräftigen und herzlichen Einsatz wäre dieser Gewinn wohl nicht möglich gewesen.

[* blista-Stabsstelle UN-Behindertenrechtskonvention]
* Herzlichen Dank an Frau Duncker für das leckere Gebäck