2 x (vom Anfang bis zum Ende + unterschiedliche Rollen) = 27 Jahre
Christiane Möller, stellv. Geschäftsführerin des DBSV | Ich gebe zu, dass diese mathematische Gleichung insofern nicht den wissenschaftlichen Ansprüchen genügt, als eine Übertragbarkeit auf andere Sachverhalte ausgeschlossen ist. Die Gleichung drückt aber aus, was mich an Claus Duncker erinnert und mit ihm verbindet.
Um mit Mengenlehre und dem Ergebnis der Gleichung anzufangen: Ich kenne Claus Duncker schon deutlich mehr als die Hälfte meines Lebens, nämlich genau 27 Jahre. 1995 kam ich als Schülerin an die blista und „Herr Duncker“ war Klassen- und Mathelehrer unserer 9c.
Ich hatte damals eine misslungene Regelschulzeit hinter mir. Gleich am ersten Tag zeigte er mir im Medienzentrum die unterschiedlich dick linierten Koordinatensysteme. Er konnte nicht fassen, wie ich bei meinem geringen Sehvermögen mühsam in ganz normalen Matheheften schrieb. Über die Jahre führten wir die Diskussionen um Arbeitstechniken hartnäckig fort und das war gut so. Damals konnte ich natürlich nicht zugeben, dass er recht hatte und ein Umstieg auf Blindenschrift auch im Mathematikunterricht besser gewesen wäre. So korrigierte er im Abitur meine völlig krakelige Prüfungsarbeit. Mit einem Schmunzeln erinnere ich mich hingegen an einen Klassenausflug, bei dem ich bestimmt 100-mal erklärte, wie man die aus meiner Heimat mitgebrachten Thüringer Bratwürste richtig brät (man darf sie nicht anstechen) und Herr Duncker fragte irgendwann genervt, ob er die Würste auch noch streicheln müsse. Unserer Klasse zeigte er in der Jahrgangsstufe 11 seine Lieblingsinsel Irland, mit Wanderungen im Moor, die zu schlammigen Hosen bis zu seinen Knien führten und mit einer Geburtstagsfeier am Strand, die für einen Schüler mit etwas zu viel Sonneneinfluss endete. Als Lehrer war Claus Duncker aber auch über den regulären Unterricht hinaus höchst engagiert. So gab ich im Rahmen eines von ihm initiierten Mädchen-Computerkurses das erste Mal etwas in die Google-Suchmaschine ein, damals echt aufregend.
Zu meinem Abi im Jahr 2000 habe ich dann gesagt: „Vom Anfang bis zum Ende Duncker.“ Damit wäre ein Teil der Formel erklärt. Zu Ende war es dann aber nicht. Nur konnte ich zu dieser Zeit nicht ahnen, dass mich mein Weg einige Jahre später zurück zur blista führen würde. Eigentlich interessierte ich mich im Studium für Völkerrecht und wollte zunächst raus aus der Blindenszene. Nach einem Praktikum bei Michael Richter entdeckte ich aber, dass es dringend notwendig und darüber hinaus noch befriedigend ist, meine Rechtskenntnisse in die Selbsthilfearbeit einzubringen. So unterstützte ich ab diesem Zeitpunkt zunächst ehrenamtlich bei der Rechtsberatung blinder und sehbehinderter Menschen und machte diese Arbeit nach meinem Referendariat zum Beruf. 2009 nahm mich die Mitgliederversammlung der blista auf und später wurde ich in den Verwaltungsrat gewählt. Da war er: der zweite Anfang mit Claus Duncker. Diesmal war ich keine Schülerin mehr und er Vorsitzender der blista. Für mich war es anfangs ein komisches Gefühl, unter ganz neuen Vorzeichen auf meinen alten Lehrer zu treffen. Claus hatte seine Lehrerrolle aber komplett abgelegt. Auf Augenhöhe besprachen wir so manches Rechtsproblem, insbesondere im Rahmen der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes. Es war und ist schön, auf diese Weise etwas an die blista zurückgeben zu können.
Lieber Claus,
deine Zeit mit der blista ist zu Ende und so erklärt sich auch der zweite Teil der Gleichung.
Bei diversen Veranstaltungen hast Du mich als Rednerin so vorgestellt: „Ich glaube, mein Unterricht hat offenbar nicht geschadet“. Nein, das hat er definitiv nicht, sondern ganz im Gegenteil: Ob ich in deinem Unterricht wirklich alle mathematischen Probleme durchdrungen habe, mag ich bezweifeln. Viel wichtiger ist aber, dass du immer Verlässlichkeit, Ehrlichkeit, Offenheit, Respekt, Wertschätzung und Einsatzbereitschaft gelebt und vorgelebt hast. Das hat mich als Schülerin und darüber hinaus viel mehr geprägt!
Fotos: Rückblende 23. März 2007
Der künftige Schulleiter Joachim Lembke und der designierte Direktor Claus Duncker "drücken die Schulbank", während die ausscheidenden Dr. Matthias Weström (Schulleiter) und Jürgen Hertlein (Direktor) im Hintergrund stehen. Die Veranstaltung wurde moderiert von Ricarda Ramünke und Thorsten Büchner.