Besuch Tenberken
Sabriye Tenberken in Marburg
Ihr neuestes Buch „Die Traumwerkstatt von Kerala“ (siehe auch Buchtipp von Winni Thiessen) war gerade erst wenige Tage im Buchhandel und zeitgleich bei der blista als Punktschrift- und Hörbuch erhältlich, da machte Sabriye Tenberken zusammen mit Paul Kronenberg auf ihrer Lesereise in Marburg Station. In ihrem lebendigen, multimedialen Vortrag gingen Tenberken und Kronenberg auch auf die Bedeutung Marburgs und der blista für Sabriyes weiteren Lebensweg ein. Viele der Besucher der abendlichen Veranstaltung ließen sich Bücher der ehemaligen blista-Schülerin signieren und warfen einen Blick auf das Punktschriftbuch, das die blista am Büchertisch ausgelegt hatte.
Am nächsten Morgen, bevor die Lesereise Sabriye und Paul weiter nach Goslar führte, kamen beide an die blista, um den blista-Schülern von ihren Projekten zu erzählen und mit ihnen über Entwicklungsarbeit und das Erreichen von selbst gesteckten Zielen zu diskutieren.
Viele ehemalige Lehrer Sabriyes, Schulleiter Jochen Lembke und Direktor Claus Duncker waren gekommen, um ihrem Bericht zu lauschen. Im Anschluss an die eineinhalbstündige Veranstaltung lud Claus Duncker Sabriye Tenberken und Paul Kronenberg zu einem kurzen Rundgang über den blista-Campus ein. Als die kleine Gruppe den Matheunterricht von Uli Kalina betrat, war die Wiedersehensfreude groß und Kalina überreichte Sabriye spontan ein 3D-Druckmodell, das er gerade zur Veranschaulichung im Unterricht verwendete. „Ich bin beeindruckt, wie viel sich hier seit meinem letzten Besuch verändert hat“, stellte Sabriye fest. „Nicht nur die neuen tollen Gebäude, sondern auch die Aufnahme der Montessori-Schule finde ich klasse!“.
Zum blista-Jubiläum im kommenden Jahr haben beide ihre Teilnahme bereits zugesagt und freuen sich erneut auf einen Besuch in Marburg.
Ein ausführliches Interview mit Sabriye Tenberken und Paul Kronenberg finden Sie in der aktuellen Ausgabe des „Kopfhörers“, der Info-CD der DBH. Unter folgendem Link können Sie den „Kopfhörer“ herunterladen:
http://www.blista.de/aktuelles/kopfhoerer/ index.php
Im Folgenden schildert Antonia Netter, Schülerin der Jahrgangsstufe 11, ihre Eindrücke aus der Veranstaltung mit Sabriye und Paul:
„Braille Without Borders“
Stell dir mal vor, du bist blind. Wirst als etwas Dreckiges, als ein niederes Wesen von deiner Familie angesehen, wirst ans Bett oder an den Stuhl gefesselt – alles nur, weil du blind bist und weil in deinem Land Blindheit als die höchste Strafe Gottes angesehen wird, schlimmer als alles andere. Genau das müssen die Blinden in Tibet täglich erleben. Sie werden versteckt oder sogar rausgeworfen aus der eigenen Familie. Solchen Menschen muss doch geholfen werden, denkst du dir.
Genau das hat sich eine Frau namens Sabriye Tenberken zur Aufgabe gemacht. Sie reiste erst alleine durch Tibet und gründete dort eine Schule für Blinde und die Organisation "Braille Without Borders" und entwickelte eine eigene Brailleschrift für die Schüler in Tibet. Sabriye Tenberken schrieb mehrere Bücher über ihre Reisen und bekam schon einige Auszeichnungen für ihre Arbeit. Das muss eine starke Frau sein, denkst du dir bestimmt. Wahrscheinlich gehst du davon aus, dass sie voll sehend ist und fragst dich, wie sie dann eine Brailleschrift entwickeln kann. Da muss ich widersprechen. Die heute 45-jährige Sabriye Tenberken ist voll blind und war selbst blista-Schülerin. Meine 11. Klasse und unsere Parallelklassen hatten das Glück, sie kennen zu lernen.
Von diesem außergewöhnlichen Erlebnis möchte ich euch jetzt gerne berichten.
Als wir den Bielschowsky-Raum nach der ersten großen Pause betraten, saßen alle anderen 11. Klassen, Sabriye Tenberken und ihr Partner Paul Kronenberg bereits auf ihren Plätzen. Erst stellte sie sich und ihren holländischen Partner vor, der ausgesprochen gut Deutsch sprach. Anschließend erzählte sie uns in Kurzfassung ihre Lebensgeschichte. Sie erzählte uns, dass ihr Englischlehrer die Klasse damals gebeten hatte, dass die Schüler ihre größten Wünsche aufschreiben sollten. Es ging nicht darum, wie realistisch die Wünsche waren, sondern um das, was sie gerne erreichen würden. Sabriye nahm dies sehr ernst. Schon in der 10. Klasse wollte sie eine schwere Sprache lernen, wobei sie sehr von den Lehrern unterstützt wurde. Bei der Erzählung wiederholte sie oft, dass sie nie ein Studium zu Ende gebracht hat und sehr unbegabt in Sprachen war. Trotzdem hat sie es ja immerhin geschafft, Tibetisch zu lernen.
Auch berichtete Sabriye Tenberken sehr lebhaft von ihren Reisen. Wir durften jede Menge Fragen stellen, die sie auch sehr souverän beantwortete. Ich war schon allein deswegen von ihr beeindruckt, weil sie keineswegs überheblich wirkte, obwohl sie allen Grund dazu gehabt hätte. (Anscheinend ist ihr nicht bewusst, wie besonders das alles ist, was sie bisher geleistet hat.)
Bei dem Gespräch gab sie uns ganz deutlich zwei Botschaften mit:
- Egal was du erreichen willst, du kannst es schaffen – manchmal eben mit kleinen Kompromissen. Ein Beispiel von ihr war ein kleiner tibetischer Junge, der blind war, und mit acht Jahren sagte: „Ich will Taxifahrer werden“, was natürlich unmöglich war. Zehn Jahre später erfuhr Sabriye, dass der kleine Junge inzwischen Chef einer Taxifirma und ziemlich zufrieden ist.
- Auch als Blinde bist du nicht nur auf Hilfe angewiesen, sondern kannst auch Hilfe anbieten. Als Sabriye noch alleine reiste, benötigte sie als Blinde gelegentlich Hilfe. Da sie die Sprache des Landes sprach, konnte sie im Gegenzug besonders den Touristen eine große Hilfe sein.
Im Großen und Ganzen fand ich es einen sehr gelungenen Vortrag, mit einer sehr interessanten und fruchtbaren Diskussion. Mich auf jeden Fall hat Sabriye Tenberken sehr in meinen Zielen und Wünschen bestärkt.