Weiterarbeit in Georgien

Dr. Matthias Weström*. Im August 2013 hatte ich zuletzt in den blista-news über die Projekte unseres „Vereins der Freunde und Förderer der Blindenschule in Tbilisi, Georgien“ (Vorsitzender: Günther Koos, ehem. Lehrer der CSS) berichtet. Damals ging es um die Einschätzung der Wirkung des gerade abgeschlossenen Reha-Projektes (Fortbildung in der Frühförderung und in Grundlagen in Orientierung & Mobilität und LPF) in Georgien. Zusammengefasst gelangte ich damals zu der Schlussfolgerung, dass der Rehabilitations­gedanke in Georgien angekommen sei und ‚Anstöße zu nachhaltigen Entwicklungen im Blindenwesen Georgiens‘ gegeben habe.

Hat es nachhaltige Entwicklungen gegeben?

Seminarteilnehmer mit ihrem Zertifikat

Diese Frage kann eindeutig bejaht werden. Der von uns ins Land getragene Unterricht in Orientierung und Mobilität findet regelmäßig statt. Gleiches gilt für den Unterricht in LPF. Auf Bitten der Georgier haben Waltraud Czieslik und Natalja Mirau (jetzt Rehalehrerin in Neuwied) im Jahre 2014 in ihren Ferien erneut vertiefende Kurse in LPF und O&M ­erteilt. Noch immer aber – das muss klar gesagt werden – hat der in diesen Bereichen ­erteilte Unterricht noch lange nicht den zeitlichen Umfang oder die inhaltliche Tiefe und Differenziertheit, wie wir es an der blista gewohnt sind, aber ein Anfang ist gemacht. Und auch die Schuldirektorin scheint mittlerweile stolz darauf zu sein, dass an ihrer Schule solche Besonderheiten wie dieser Reha-Unterricht stattfinden.

Damals, im Jahr 2012 hatten wir 8 Kursteilnehmern ein Zertifikat erteilt. Alle diese jungen Menschen arbeiten in dem Rehabilitationsbereich, vier von ihnen an der Blindenschule. Das bedeutet, dass für sechs von ihnen ein neues Arbeitsfeld erschlossen werden konnte (zwei waren schon als Lehrer an der Blindenschule beschäftigt). Auch dieser Aspekt ist von Bedeutung in einem Land hoher Arbeitslosigkeit junger Menschen, selbst unter denen mit Universitätsabschluss.

Inzwischen ist die Entwicklung noch weiter gegangen: unsere georgischen ‚Reha-Spezialisten‘ sind gefragt, Fortbildungskurse im Lande durchzuführen oder an der Entwicklung der Curricula für die zu reformierende Lehrerausbildung an den Universitäten mitzuarbeiten. Und man erkennt jetzt, dass die Personaldecke von Reha-Fachkräften im Lande wesentlich zu dünn ist, um alle diese Aufgaben abdecken zu können. Und, folgerichtig, wurde jetzt im März an mich im Ministerium in Tbilisi die Frage gerichtet, ob nicht unser Verein noch mal eine solche Fortbildung in Batumi, an der Schwarzmeer-Küste, ausrichten könnte.

Gruppenfoto vor einer Mauer, im Hintergrund die Stadt Tbilisi

Eine andere – nachhaltige – Entwicklung wird die zukünftige Arbeit unseres Vereins in Georgien wesentlich unterstützen: es hat sich eine Nichtregierungsorganisation (NGO) mit dem Namen ‚Mariani‘ gebildet, geleitet von zwei jungen Schwestern (eine davon blind), die eng mit uns zusammenarbeiten und die sich mittlerweile Ansehen und öffentliche Aufmerksamkeit erarbeitet haben. Wir glauben, dass Mariani die Keimzelle einer aktiven Selbsthilfegruppe sein könnte.

Damals, im August 2013, hatte ich noch ­einige andere Aspekte der Entwicklung im Bildungswesen für Blinde und Sehbehinderte in Georgien angesprochen (Reform der Lehrerausbildung u.a.m.), aber auf diesen Feldern sind wenig Fortschritte zu verzeichnen.

Anstöße zu weiteren Entwicklungen

Bisher waren wir sehr vorsichtig bei äußeren Einwirkungen auf den inneren Betrieb der Schule (welcher gleichwohl nach meiner Einschätzung in hohem Maße reformbedürftig ist). Wir konzentrierten uns auf in der Schule Fehlendes. Und deshalb finanzierte der Verein in 2013 die Einrichtung eines Braille-Lehrerarbeitsplatzes in der Schule und organisierte die Fortbildung der blinden Lehrer zur Nutzung dieses Arbeitsplatzes. Darüber ­hinaus engagierten wir für sechs Monate einen Künstler, der mit den Schülern einmal im Monat am Nachmittag arbeitete, in der unausgesprochenen Hoffnung, dass sich so kreative Elemente dauerhaft in dem Schulbetrieb etablieren könnten. – Leider hat sich diese Hoffnung (noch) nicht erfüllt: nach sechs Monaten schien niemand Interesse an seiner Weiterarbeit in der Schule zu haben.

In den Gesprächen im Ministerium in Tbilisi wurde schon längere Zeit von diesem Problem gesprochen, ohne dass wir Zeit fanden oder gar Geld zur Verfügung hatten, der ­georgischen Seite konkrete Hilfsangebote zu unterbreiten. Gemeint ist der Wunsch, für die vielen mehrfach behinderten blinden Kinder im Vorschulalter in Georgien geeignete Hilfe zu erhalten.

Die zwei Ausbilderinnen, die Dolmetscherin und der Autor

Es gelang dem Verein, für dieses Projekt Spenden einzuwerben und namhafte Experten für die Mitarbeit zu gewinnen. Zusammen mit den Frühförderinnen Marina Strothmann und Simone Prantl aus München wurde das Konzept einer Fortbildung in der „Frühförderung mehrfach behinderter blinder und sehbehinderter Kinder“ entworfen und im Frühjahr 2015 im Ministerium in Tbilisi zusammen mit allen daran in Georgien Interessierten diskutiert. Wieder wurde vorgeschlagen, eine dreiphasige Fortbildung in Georgien durchzuführen: nach einem Seminar mit mehr theoretischen Inhalten sollten die Teilnehmer konkret für einige Monate als Frühförderer im Land arbeiten, einen schriftlichen Bericht über ihre Arbeit vorlegen und dann abschließend ein Prüfungskolloquium absolvieren. Der Vorschlag wurde gebilligt.

Auf die Ausschreibung im Internet meldeten sich über 90 Personen aus allen Teilen des Landes für die höchstens 14 Plätze in der (kostenlosen) Fortbildung – ein Zeichen für den großen Problemdruck in diesem Feld. Exzellent war die Kooperation mit der georgischen NGO „Mariani“, durch die ein reibungsloser Verlauf der Fortbildung ins­gesamt sichergestellt werden konnte.

Schließlich begann im September 2015 die Fortbildung in der Frühförderung mehrfach behinderter blinder Kinder mit 16 Teilnehmern. Im Herbst wandten die Teilnehmer Gelerntes konkret an und arbeiteten als Frühförderer. Ihre Berichte trafen – wie vereinbart– Ende Januar bei uns ein, und die Prüfungskolloquien fanden kürzlich im März 2016 statt. Am 24. März erhielten 14 Teilnehmer (13 Frauen im Alter von 20 bis über fünfzig Jahren und ein junger Mann) das Zertifikat der erfolgreichen Teilnahme.

Ausblick

Uns allen im Verein ist deutlich, dass mit dem Frühförder-Projekt unser Engagement für die Menschen in Georgien und die Blinden und Sehbehinderten in diesem Land ­sicher nicht beendet sein wird. Wichtig ist uns aber, dass den Menschen dort hinreichend Zeit eingeräumt wird, um die ‚importierten Impulse‘ zu verarbeiten, umzusetzen und Erfahrungen in der Praxis zu sammeln. Sollten später, nach einiger Zeit, Fragen oder Probleme auftauchen – und einige sind schon sichtbar – werden wir wieder bereit sein, nach passenden Antworten zu suchen.

* Ehemaliger Schulleiter der Carl-Strehl-Schule
Fotos: Dr. Matthias Weström