Buchtipp Autobiografie: Marcel Heim – Einmal in die Scheiße und wieder zurück
LHON ist eine seltene, erblich bedingte Augenerkrankung, die innerhalb von kürzester Zeit zu einer massiven Verschlechterung der Sehkraft bis hin zur Blindheit führen kann. Marcel Heim erwischt es mit Anfang 20 in seiner Ausbildung zum Koch. Dass LHON zur völligen Erblindung führen kann, ist ihm bewusst, sind doch viele seiner Verwandten - Oma, Onkel und Bruder - davon betroffen. LHON krempelt Marcels Leben gründlich um. Er muss seine Ausbildung abbrechen, eine blindentechnische Grundausbildung und eine Umschulung in Würzburg absolvieren und wird zudem aus seinem gewohnten Lebensumfeld katapultiert. Nach der Umschulung versucht er eifrig, aber wenig erfolgreich, einen Job zu finden, landet schließlich in Frankfurt, um dort im Museum „Dialog im Dunkeln“ zu arbeiten und macht sich schließlich mit einem Dunkelrestaurant selbstständig. Bis sein Plan endlich aufgeht, muss er noch so einige Hürden überwinden, von existenzgefährdenden Mietforderungen über Wasserschäden bis zum Corona-Lockdown. Währenddessen spielt Marcel Heim engagiert Blindenfußball und nimmt am Projekt „Neue Sporterfahrung“ teil, das versucht, sehenden Schulkindern Blindenfußball näherzubringen. Zwischendurch verliebt er sich immer wieder neu in „Damen“ seines Umfeldes, plant mit ihnen eine gemeinsame Zukunft, zieht mit ihnen zusammen, trennt sich von ihnen, nachdem er sich wieder einmal neu verliebt hat. Langeweile und Untätigkeit sind nicht so sein Ding. Marcel Heim sieht sich als Mensch, der versucht, immer in die Zukunft zu blicken und nicht zurückzuschauen, die Welt positiv zu sehen, aus seiner Erblindung kein großes Ding zu machen und aus seinem Leben trotzdem alles rauszuholen, was eben geht. Kopfüber ins Leben, in Beziehungen hinein, ohne groß über die Risiken nachzudenken, einfach machen, auch wenn es einen hohen persönlichen Einsatz erfordert.
Ein LHONendes Buch? Am Anfang war ich entsetzt. Da schreibt jemand, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, keine Korrekturen, kein Lektor, eben schreiben wie man so daherredet, schnörkellos und ohne Filter. Dadurch bleibt der Text ganz dicht an der Person, nicht literarisch verklärt und verdichtet, eben authentisch und offen. Eine ganz eigene Leseerfahrung. So „dahingerotzt“, dass es schon wieder Stil hat.
In einem weiteren Buch „RealBlind – Im ehrlichen Dialog mit der Dunkelheit“ beantwortet Marcel Heim Fragen zum Thema Blindheit: „Was vermisst du am meisten?“, „Was siehst du noch genau?“, „Wie kommst du damit zurecht im Alltag?“, „Wie wischst du dir deinen Po ab?“, „Was war anfangs das Schwierigste für dich?“ und, und, und … Auch für dieses Büchlein gilt: authentisch, aber der Stil ist gewöhnungsbedürftig. Spielt aber in diesem Fall von Fragen und Antworten eine untergeordnete Rolle.