Winnis Welt

winnis-wunderbare-welt

Heute: Der Erzieher – Held des Alltags

Eine Gruppe, bestehend aus vier kleinen Puppen, sitzt an zwei Kaffeehaustischen
Eine Gruppe, bestehend aus vier kleinen Puppen, sitzt an zwei Kaffeehaustischen © Daniela Junge

Die bösen Zungen

Winfried Thiessen*. Was ist eigentlich ein Erzieher? Nun, da stellen wir uns mal einen großen Hohlkörper vor. Dieser Hohlkörper besitzt drei Öffnungen. Die obere Öffnung, das ist die Luke, da kommt der Kaffee rein. Die beiden unteren Öffnungen, das sind die beiden Ausgänge. Aus dem einen Ausgang, da kommt der Kaffee am Ende wieder raus. Das mit dem zweiten Ausgang, das wollen wir hier nicht explizieren*, damit befassen wir uns das nächste Mal.

Vom Fröschlein und dem Storch

„Gehst du, wenn wir in der Schule sind, zur Arbeit?“ Touché! Das hatte gesessen! Ironischer Unterton in der Stimme? Völlige Fehlanzeige! Das junge Fröschlein meinte seine Frage tatsächlich ernst. Eben hatte Herr W noch ganz entspannt an seinem Stammplatz am Küchentisch gesessen und in seiner Zeitung geblättert. Jetzt blickte er angestrengt in die Ferne, schlürfte eine Nuance intensiver als für gewöhnlich an seinem Cappuccino und blieb eine Antwort schuldig. Ob er gleich zur Arbeit gehe? Was glaubte dieser kleine Strolch, was er hier den ganzen lieben langen Tag so machte? Etwa Kaffee trinken? Und überhaupt, so ein junges Fröschlein, dem Kaulquappenstadium gerade eben entwachsen, das kann doch im trüben Wohngruppenalltag gar nicht rezipieren**, was der Erzieherstorch alles so zu tun hat, für was der so da und gut ist.

Herr W griff zu Papier und Stift. So einem naiven Fröschlein muss doch mal ordentlich expliziert* werden, was ein Erzieherstorch alles so an Aufgaben, Funktionen und Verantwortung in einem Wohngruppentümpel hat und trägt!

Des Storchens Liste für alle Fröschlein dieser Welt

„Was, du hast dein Taschengeld schon durchgebracht? Es ist doch erst Mitte des Monats! Meine verstorbene Großmutter pflegte immer zu mir zu sagen: Mein Junge, spare in der Zeit, dann hast du in der Not.“

Der Erzieher – Ratgeber und Sprüche­klopfer

„Ob ich dir mal eben 10 Euro bis zum Ende des Monats leihen könnte? Sorry, aber deine Kreditlinie ist bereits total ausgeschöpft.“

Der Erzieher – Der Mann vom Kreditinstitut direkt in Ihrer Nähe

„Wie kann man nur so etwas machen? Das war doch wirklich selten dämlich! Und du meinst, dass ich das jetzt nachvollziehen können müsste, warum du gerade so und nicht anders handeln musstest?!“

Der Erzieher – Meister in der hohen Kunst des Verstehens

„Sofort hierher zurück! So, da hast du einen Lappen! Wenn du schon im Stehen pinkeln musst, dann nicht mit so einer unterirdischen Trefferquote!“

Der Erzieher – Der Hygienebeauftragte

„Alle mal herkommen, sofort! Leute, das Sofa, der Boden, der Tisch … alles voller Chips! Also, wer hat gestern Abend hier vor dem Fernseher gesessen?“

Der Erzieher – Der Ermittlungsbeamte, äh schön wär’s – der Ermittlungsangestellte

„Natürlich, es war wieder keiner gewesen! Schieb‘ mir bitte mal wenigstens das Sofa zur Seite, damit ich mit dem Staubsauger besser dran komme!“

Der Erzieher – Der Tatortreiniger

„Wie lange du heute Abend auf die Geburtstagsfeier darfst? Wo wird denn gefeiert? In einer Wohngruppe, oder geht ihr an die Lahn? Drei Flaschen Wein und eine Sekt­flasche – ganz schön ordentlich! Bringen die anderen auch so viel mit?“

Der Erzieher – Der Risikoanalyst

„Dass ich dich hier treffe, ist ja ein Ding! Wie lange haben wir uns nicht mehr gesehen? – So lange? – Was? Du hast meinen Rat beherzigt und … man, das hab‘ ich damals doch nur aus Jux und Tollerei vorgeschlagen. – So, war genau das Richtige für dich? Weißt du noch, du warst damals ganz schön angepisst von meiner Idee …“

Der Erzieher – Meister der Intuition

„Habe ich nicht tausendmal gesagt, du sollst nicht an der Brotschneidemaschine herumspielen! Du bist ganz schön blass um die Nase. Jetzt fall mir bloß nicht um, ist nur ein kleiner Schnitt. Ich hol mal ein großes Pflaster.“

Der Erzieher – Der Rettungsassistent

„Vier Leute wollen heute bei dir übernachten? Das ist doch nicht dein Ernst? Nein, auf keinen Fall! Zu viele und zu kurzfristig, mein Gutster.“

Der Erzieher – Die Spaßbremse mit serienmäßig eingebauter Bremskraftverstärkung

„Wenn du Putenbrust in der Pfanne brätst, dann muss du auch die Fettspritzer auf dem Boden, dem Herd und der Ablage wegmachen. – So, du meinst, da ist nichts? O.k., ich sehe, du hast also ein Wahrnehmungsproblem!?“

Der Erzieher – Der Psychologe

„Ich spüle gern! Durch spülen lerne ich meine Stärken und Schwächen kennen! Ich spüle gern! – So, jetzt du …! Sage es! Ganz laut: Ich, ich spüüle gern! Na los, sag schon!“

Der Erzieher – Der Motivationstrainer

„Wenn du schon mal stehst, dann kannst du auch gleich noch Ketchup mitbringen.“ „Mir bitte noch die Mayo.“

Der Erzieher – Der Kellner

„Also, du meinst im Recht zu sein? – Ah, und du denkst das auch? – Und, dass einer von euch den Klügeren mimt und einfach mal nachgibt!? – Verstehe, keine Chance!“

Der Erzieher – Der Konfliktmanager

„Hast du auch daran gedacht, bei deiner Praktikumsstelle anzurufen? Ich sollte dich doch daran erinnern!“

Der Erzieher – Die externe Festplatte

„Halt! Zu mir! Wir (Pluralis Majestatis) hatten doch 24 Uhr ausgemacht und nicht eins. Dein Handy? Ich habe mehrmals versucht, dich zu erreichen! – Ah, du hattest es nicht dabei? Was für ein dummer Zufall. Du weißt ja, was das für das nächste Wochenende für dich heißt?!“

Der Erzieher: Legislative, Exekutive, Judikative … wie geil ist das denn!

„Du müsstest unbedingt mal dein Zimmer wieder aufräumen. Ich kann dir gerne dabei helfen. Einfach die sauberen Sachen in den Schrank räumen, die Dreckwäsche in die dafür vorgesehene Wäschetonne werfen, das schimmelige Geschirr in die Spülmaschine, die Chips-Tüten in den Papierkorb, die …“

Der Erzieher – Der Mann vom Ordnungsamt

„Ihr sitzt da, sauft, grölt rum, gebt dumme Sprüche von euch – denkt ihr, den Mädels imponiert so etwas? Warum macht ihr das überhaupt?“

Der Erzieher – Der Verhaltensforscher

„Hallo, es ist 7.20 Uhr! Du hast doch zur ersten Stunde!?“

Der Erzieher – Der Weckdienst

„Du kannst nicht einfach liegen bleiben, keiner hat dich gezwungen, bis nachts um eins zu chatten. Du willst doch dein Abi schaffen, oder?“

Der Erzieher – Das externe Über-Ich

„Mein Sohn, wenn du statt eines Esslöffels einen Teelöffel benutzen würdest und zudem die Frequentierung des Nutellaglases reduzieren könntest, dann hätten diese Maßnahmen mit Sicherheit deutliche Auswirkungen auf die tägliche Kalorienzufuhr.

– Und wage es nicht, den abgelutschten Löffel noch mal in das Glas zu stecken!“

Der Erzieher – Der Ernährungsberater

„Als ich in deinem Alter war, da habe ich noch gar nicht gewusst, wie Alkohol schmeckt. Geraucht habe ich auch noch nicht, und schon gar nicht bin ich fast jeden Abend feiern gegangen! Aber am Wochenende, da habe ich es auch öfters richtig Krachen lassen, war ja auch mal jung. In der Schule war ich ganz gut, obwohl ich relativ wenig dafür getan habe. Aber die Hausaufgaben hatte ich immer, und ich bin nur einmal in 13 Jahren zu spät gekommen, da war ein Unwetter gewesen. Damals war ich richtig sportlich: Fußball, Basketball, Leichtathletik und die Mädels standen Schlange bei mir.“

Der Erzieher – Vorbild und Idol

Eine kleine Puppe, die Justitia darstellen soll, steht vor dem Zifferblatt einer Uhr
Puppe Justitia vor dem Zifferblatt einer Uhr © blista 2015

Schluss! Herr W. legte Papier und Stift zur Seite. Noch Stunden hätte er weiter schreiben können, aber er musste sich nun wirklich sputen; noch schnell mit der Zunge die Milchschaumreste aus der Tasse geschleckt und er sprang auf. Die Arbeit wartete schon auf ihn – zu Hause wollten Fenster geputzt, Teppiche gesaugt, Einkäufe erledigt und Müll entsorgt werden.

Der Erzieher – Helden des Alltags haben niemals Pause

 

 

Eine kleine Indianer-Puppe steht mit ausgestreckten Arm und Gewehr vor dem Schriftzug „HELD“
Eine kleine Indianer-Puppe steht mit ausgestreckten Arm und Gewehr vor dem Schriftzug „HELD“ © Daniela Junge

* Explizieren – erklären, erläutern, darlegen

** Rezipieren – sinnlich erfassen, aufnehmen, sich zu eigen machen

* Pädagogischer Mitarbeiter im Internat
Fotos: Daniela Junge