Harry Potter und Sherlock Holmes sind umgezogen

Der große Bagger vor dem DBH-Gebäude beginnt mit dem Abriss der Aussenfassade.

Altes DBH-Gebäude macht Platz für Schulneubau

von Katja Hill, blista-Liegenschaftsmanagement

Ende 2019 wurde das Gebäude „Am Schlag 2a" im Inneren entkernt. Pünktlich zu Beginn der Osterferien war es dann so weit: Der Bagger rollte an und bohrte um Punkt 10 Uhr seinen rund drei Tonnen schweren Meißel in die Außenwand der alten "Deutschen Blinden-Hörbücherei" (DBH).

Dieses Gebäude war über Jahrzehnte eng mit der Geschichte der Literaturversorgung von blinden Menschen verknüpft. Carl Strehl hatte schon kurz nach Kriegsende die Idee, nach amerikanischem Vorbild eine Hörbücherei für blinde Menschen in Marburg zu errichten. Sein Ziel: Die Versorgung mit Sach- und Fachliteratur, aber auch mit "schöngeistiger“ Literatur, wie es damals hieß. So wurde 1954 in Marburg an der blista die erste deutschsprachige Blindenhörbücherei gegründet. Wegen der immer umfangreicheren Hörbuchproduktion beschloss man recht schnell, ein genau auf die Bedarfe einer Hörbücherei angepasstes Gebäude zu errichten mit viel Platz für die zu lagernden Tonbänder. Eine ziemlich innovative Idee.

Das Gebäude wurde 1965 errichtet und war in zwei Gebäudeteile untergliedert. Der viergeschossige linke Gebäudeteil (inkl. Keller) diente als Regallager von Tonbändern und Büchern. Er war so konstruiert, dass die geschossübergreifenden, durchgängigen senkrechten Regalstützen Bestandteil des Tragwerkes waren. Dies machte das Gebäude in seiner Konstruktion einzigartig. Im rechten, insgesamt dreigeschossigen Gebäudeteil (inkl. Keller), waren der Verwaltungstrakt und die Sprecherkabinen untergebracht, wo täglich sämtliche Tonaufnahmen – unter anderem jede Woche das Nachrichtenmagazin „DER SPIEGEL“ – aufgesprochen und verarbeitet wurden.

Die neuen Räume der DBH sind jetzt im Untergeschoss des Gebäudes "Am Schlag 8" wiederzufinden. Hier wurden drei kleine und eine große Sprecherkabine errichtet und mit neuester barrierefreier Technik ausgestattet.

10 Tage später: Der große Bagger vor den Ruinen des DBH-Gebäudes

Innerhalb von fünf Wochen  arbeitete sich der Bagger Stück für Stück durch die teils sehr massiven Bauteile und brachte das Gebäude zum Erliegen. Mehr als kniehohe Stahlträger erschienen in den Greifern des Baggers wie Spielzeug, herunterfallende schwere Betonbrocken brachten die Scheiben des angrenzenden Oberstufengebäudes zum Erschüttern. Die Abbrucharbeiten erweckten das Interesse und Staunen vieler Neugieriger.

Wo früher Tonbänder, Kassetten und zuletzt weit mehr als 50.000 DAISY-Hörbücher auf ihre Reise zu den Hörerinnen und Hörern  warteten, erobern sich in  Zukunft Schülerinnen und Schüler der Montessori-Schule ein neues Gebäude. Die alte DBH macht Platz für einen an gleicher Stelle vorgesehenen großzügigen, viergeschossigen Neubau (plus Keller), der für ca. 140 Schülerinnen und Schüler der Klassen 7 bis 10 der Montessori-Shule geplant ist. Es soll ein Raumkonzept verwirklicht werden, welches eine flexible Unterrichtsgestaltung in einer offenen Lernlandschaft ermöglicht und gleichzeitig Rückzugsbereiche bietet, welche individuelle Freiarbeit zulassen. Man spricht hierbei von einem sogenannten Cluster-Grundriss. Weitere wichtige Planungsgrundsätze sind helle, aber gleichzeitig blendfreie Räume, eine kontrastreiche und barrierefreie Gestaltung. Mit der Planung soll in naher Zukunft begonnen werden.

Dann werden sich dort Kinder und Jugendliche  tummeln, die gemeinsam lernen und lachen, wo zuvor Harry Potter, Sherlock Holmes und die Buddenbrooks zuhause waren.