blick:punkte: … das wusste ich noch nicht!

Die Ausstellung blick:punkte im Marburger Landgrafenschloss läuft nun schon seit einigen Wochen. Zeit für ein erstes Zwischenresümee.

Thorsten Büchner führt Minister Boris Rhein und Marburgs Oberbürgermeister Thomas Spies durch die Ausstellung
Thorsten Büchner (blista) führte Minister Boris Rhein und Marburgers Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies bei der Eröffnung durch die Ausstellung

„Es ist super, dass alles zum Anfassen ist und wir viel ausprobieren konnten“, kommentierte ein Schüler eines Marburger Gymnasiums nach einem Besuch der Ausstellung im Landgrafenschloss. Neben vielen Schulklassen, ehemaligen Blistanern, interessierten Besuchergruppen unterschiedlichster Herkunft und spontanen Tagestouristen, nutzten auch zahlreiche Teilnehmer des Louis Braille Festivals Anfang Juli die Chance, ihren Aufenthalt in Marburg mit einem Gang durch blick:punkte zu verbinden.

Viele zeigten sich beeindruckt, dass die Erläuterungen zu den Exponaten und Hintergrundtexte nicht nur in Schwarzschrift, sondern auch in Punktschrift und als Hörversion zur Verfügung ­stehen. Aufgrund der barrierefreien Gestaltung lockt die Ausstellung auch Fachkräfte und Experten nach Marburg. So äußerte der ­Hessische Arbeitskreis Museumspädagogik: „Viele von uns haben noch einmal einen neuen Zugang zur kunstpädagogischen Arbeit mit blinden und sehbehinderten Menschen bekommen.“

Das vielleicht bislang größte Lob kommt von Dr. Otto Hauck. „Ich kenne die blista schon so viele Jahrzehnte – habe aber noch einiges Neues durch die ­Ausstellung erfahren“, sagte der langjährige 1. Vorsitzende des DVBS und stellv. Verwaltungsratsvorsitzende der blista nach seinem Besuch.

Neu in der Ausstellung: „With a little help …“ und „Knack den Code …“

Das Konzept der Ausstellung, die sich ­„inklusiv, interaktiv und hörbar lebendig“ präsentieren möchte, scheint also aufzu­gehen. Die Besucher erwarten sieben ­Themeninseln. Drei davon beschäftigen sich mit der Geschichte der blista, von der Gründung im Jahr 1916 durch Alfred Bielschowsky und Carl Strehl über die Entwicklungen ­während der Zeit des Nationalsozialismus bis hin zu den „wilden“ 70ern, als Schüler- und Elternproteste den Weg für das heute etablierte dezentrale Internatskonzept bahnten, der Langstock seinen Siegeszug ­antrat und sich die Carl-Strehl-Schule erstmals für sehbehinderte Schülerinnen und Schüler öffnete. Hinzu kommen die vier ­Themen „Arbeitsmarkt“, „Punktschrift“, „Blindheit und Sehbehinderung“ sowie die mit einer geballten Dosis Alltag gespickte Rubrik „Was Sie einen Blinden schon immer einmal fragen wollten“. Dort ist seit kurzem der Film „With a little help?…“ zu sehen. Er zeigt am Beispiel der fiktiven Figur „Udo“, was beim Date eines blinden Menschen von der Ankunft am Bahnhof über die Taxifahrt und den Weg zum Restaurant bis hin zum Geschehen am gedeckten Tisch alles schief gehen kann – und wie es besser laufen könnte. Auch die Themeninsel zur Punktschrift freut sich über einen Neuzugang: Dort ist nun die neue Publikation „Knack den Code…“ zu sehen, die es auf spielerische Art mit Hilfe von Rätseln und kurzweiligen Aufgaben ermöglicht, die manchmal wie eine Geheimschrift wirkende Blindenschrift zu lernen.

Im Rahmen des Orange Day unterstützte das Team der GSK Vaccines GmbH den Aufbau der Ausstellung
Im Rahmen des Orange Day unterstützte das Team der GSK Vaccines GmbH den Aufbau der Ausstellung.

Barrierefreie Konzeption

Alle sieben Themen sind so konzipiert, dass die Besucher neben den Exponaten, die fast alle angefasst und ausprobiert werden können, in zusätzlichen Hintergrundtexten stöbern können. Diese sind jeweils in Schwarzschrift, Punktschrift und als Hörversion verfügbar. Der Aufbau in Form einer Schnecke mit einem durchgehenden Handlauf unterstützt zudem die Orientierung, genauso wie der taktile Plan und die pro Themeninsel ­verfügbare Einleitung, die die Position der Ausstellungsstücke erläutert. Die barrierefreie Konzeption und Zugänglichkeit der Ausstellung ist bislang deutschlandweit einmalig und fußt auf dem vielfältigen Know-how der blista als bundesweites Kompetenzzentrum und dem breiten Erfahrungsschatz der beteiligten Partnerinnen und Partner im Kulturamt der Stadt Marburg. Diese haben sich intensiv um das Thema Inklusion im ­Museum und barrieresenkende Maßnahmen gekümmert, beispielsweise durch die Neu­positionierung der Bushaltestelle oder die Installation von Aufmerksamkeitsfeldern und einem Tastmodell. Darüber hinaus wird nun freies WLAN am Schloss angeboten, mit dem u. a. die eigens zur Ausstellung produzierten Audioguides heruntergeladen und angehört werden können. Die Ausstellung wird unterstützt durch die Philipps-Universität Marburg und gefördert durch die Aktion Mensch, die Stiftung Deutsche Blindenstudienanstalt und die Dr. Georg Blindenstiftung. Parallel zur Ausstellung ist zudem die Broschüre „Blindenstadt Marburg“ erschienen. Diese lädt zu einer Tour durch Marburg ein und stellt 14 Stationen mit spannenden historischen wie aktuellen Details vor.

Wie es weitergeht

Die nachträgliche Aufnahme des Films „With a little help…“ und des Rätselhefts „Knack den Code…“ verdeutlicht, dass blick:punkte kein starres Konzept ist, sondern offen für ­Ergänzungen. Schon bei der Ausstellungs­eröffnung Ende Mai im Rahmen des Inter­nationalen Museumstages mit prominenten Gästen wie Boris Rhein (Hessischer Minister für Wissenschaft und Kunst) oder Katharina Krause (Präsidentin der Philipps-Universität Marburg) erhielten die Projektverantwort­lichen zahlreiche Hinweise. Von „Irgendwo muss es noch ein Vorläufermodell des ersten Scanners geben, ungefähr so groß wie eine heutige Spülmaschine“ (Jürgen Hertlein, ehemaliger Direktor der blista) bis hin zu „Ich habe da noch spannende Zeitungsartikel bei mir zu Hause...“ schwirrten die Hinweise durch das Landgrafenschloss. Diese könnten sich in Zukunft in der Ausstellung wieder­finden, denn der Weg von „blick:punkte“ ist noch nicht zu Ende. So liegen beim Hessischen Museumsverband ­Anfragen für einen Auftritt in anderen Städten genauso vor wie die Idee, dass die ­Themeninseln nach Beendigung der Ausstellung auf dem Campus der blista eine dauerhafte Heimat finden und Besuchergruppen gezeigt werden können.

Das ist jedoch Zukunftsmusik. Gegenwärtig ist blick:punkte noch bis zum 4. Dezember 2016 im Marburger Landgrafenschloss im Rahmen der regulären Öffnungszeiten des Schlosses (Di-So 10–18 Uhr, im November/ Dezember 10–16 Uhr) zu sehen, ein zusätz­licher Eintritt wird nicht erhoben. Anfragen für Gruppenführungen nimmt die blista gerne über die Mailadresse ­besuch@blista.de entgegen.

Am 7. November wird der Historiker Dr. Wolfgang Form einen Vortrag über die Deutsche Blinden­studienanstalt während der NS-Zeit halten. Auch hierzu ist die Themeninsel in blick:punkte eine erste Annäherung, die Aufarbeitung der NS-Zeit wird im Rahmen eines Folgeforschungsprojekts momentan vertieft. Der Vortrag im Historischen Rathaussaal (Markt 1) beginnt um 19 Uhr, der Eintritt ist frei.