Menschen

Jens Flach: Von zerkratzten Schallplatten, der englischen Kurzschrift und einer Altherrenband

 

Jens Flach trägt sein dunkles Haar kurz geschnitten, er lächelt zu den Betrachtenden hin (Portraitfoto)

Thorsten Büchner | „Marburg war für viele von uns damals das Ziel,” erinnert sich Jens Flach an seine Schulzeit an der Blinden- und Sehbehindertenschule Friedberg. Die Lehrkräfte bestärkten ihn, den Schritt nach Marburg zu machen, warnten ihn aber – aus heutiger Sicht mit etwas seltsamen Vorstellungen vom blista-Alltag – dass „dort wesentlich mehr erwartet würde und ich mich ganz schön strecken müsse.” Deswegen, so verrät der heutige blista-Lehrer, hatte er sich damals, im Sommer 1996 die „gesamten Sommerferien mit dem Büffeln der englischen Kurzschrift versaut” um dann, nichts geht über den Alltagscheck, in Marburg festzustellen, dass „die englische Kurzschrift an der blista zu dieser Zeit erst in Klasse 9 gelehrt wurde.”

Jens Flach kam also zur neunten Klasse an die „Carl-Strehl-Schule”, war neugierig auf das, was ihn hier erwarten sollte, ging gern in den Unterricht und genoss das Internatsleben, das „schnelle Selbstständig werden“.

Nach dem Abitur im Jahr 2001 begann er zunächst eine Verwaltungsausbildung, „bei der ich aber nach den ersten beiden Wochen schon merkte, dass das nichts für mich ist.” So konnte er sich noch ohne Zeitverlust an der Marburger Philipps-Universität einschreiben um Englisch und später auch Ethik auf Lehramt zu studieren. Im Rahmen seines Studiums absolvierte er mehrere Praktika an Marburger Schulen. „Dabei habe ich durchweg die Erfahrung gemacht, dass meine Sehbeeinträchtigung und später meine Blindheit bei den Schülerinnen und Schülern weniger Thema war als ich befürchtet hatte.”

Flach arbeitet auch heute als blista-Lehrer in einigen Stunden mit einer sehenden Arbeitsassistenz zusammen, die ihn etwa dabei unterstützt, handschriftliche Aufgaben zu korrigieren oder „mir Feedback darüber gibt, was ich akustisch im Klassenraum nicht wahrnehmen kann.” Dabei ist es Jens Flach besonders wichtig, dass seine Unterrichtsassistenz selbst über gute Englischkenntnisse verfügt. „Das ist schlicht und ergreifend ein Muss. Nur so kann meine Assistenz mal durch die Klasse gehen und schauen ob Wörter richtig geschrieben werden. Das wäre für mich nur mit viel Zeitverlust durchführbar.” Nach jeder Unterrichtsstunde bespricht sich Flach mit seiner Assistenz und sie tauschen die Eindrücke aus. „Besonders gerne arbeite ich mit Lehramtsstudierenden zusammen, denen ich so sozusagen als Gegenleistung, über deren vorgeschriebenen Praktika hinaus, ganz praktische Unterrichtseinblicke bieten kann.”

Jens Flach unterrichtet seit 2011 Englisch und Ethik an der blista. Besonders im Ethikunterricht kann es mitunter „mal passieren”, dass das Thema eigene Behinderung eine Rolle spielt. „Ich habe zwar noch keine ausdrückliche Rückmeldung bekommen, spüre aber in den Gesprächen immer wieder, dass wir Lehrkräfte mit Sehbehinderung oder Blindheit da einfach näher dran sind” ist sich Flach sicher.

Als „Fachsprecher Englisch” ist Flach auch für den Besuch der englischen Partnerschule in Worchester mitverantwortlich, an dem er 1997 schon selbst als blista-Schüler teilnahm. „Das bringt unseren Schülerinnen und Schülern ziemlich viel. Sie können die Fremdsprache in einer authentischen Situation anwenden und erleben auch die Unterschiede zwischen der blista und Worchester. Das ist eine echte Bereicherung.” Darüber hinaus nutzt Flach stets die Chance, englischsprachige Jugendbuchautorinnen und Autoren im Rahmen des Marburger Lesefests zu Lesungen in die Schülerbibliothek zu lotsen.

Menschen die Jens Flach kennen, gehen automatisch davon aus, dass er neben Englisch und Ethik auch Musik unterrichtet. „Das denkt irgendwie jeder”, gibt Flach zu. Er habe sich aber bewusst dagegen entschieden, weil er seine „beiden Leidenschaften”, das Unterrichten und das Musikmachen nicht miteinander vermischen und „lieber getrennt voneinander“ halten möchte.

„Ich war schon immer musikbegeistert. Meinem Vater habe ich bestimmt dutzende Schallplatten zerkratzt, weil es mit einer Sehbehinderung ja nicht so einfach war Schallplatten zielsicher aufzulegen”, erinnert er sich. Zu seiner Schulzeit hat er dann, zusammen mit zwei SWG-Mitbewohnern, die Musik wieder für sich entdeckt. „Das Tolle am Musikmachen ist für mich auch diesoziale Komponente. Das gemeinsame Erlebnis.” Aus diesem Grund – er hatte durch seine Musik schon ein ziemlich großes Netz an Bekannten und Freunden aufgebaut – blieb Flach auch nach dem Abitur in Marburg.

Mit seinen verschiedenen Bandprojekten war er in den letzten Jahren überall im Raum Marburg und darüber hinaus aktiv. „Warehouse” ist dabei seine bekannteste Band, mit der er auch schon beim blista-Sommerfest aufgetreten ist. „Heute treten wir höchstens noch so fünfzehn oder zwanzigmal pro Jahr auf”, da ihm und seinen Bandkollegen die Zeit fehlt. „Wir sind halt auch schon eine Altherrenband”, lacht er.

Derzeit arbeitet Jens Flach an seiner Masterarbeit im Weiterbildungsmaster Blinden- und Sehbehindertenpädagogik an der Uni Marburg. „Das war äußerst gewinnbringend und wichtig für mich. Vieles von dem, was ich aus eigener Betroffenheit oder der eigenen Lehrpraxis schon wusste, kann ich jetzt auch theoretisch fundiert einordnen und weiterentwickeln.” Thematisch beschäftigt sich Flach in seiner Abschlussarbeit damit, in wieweit die „Montessori-Pädagogik” schon günstige Voraussetzungen dafür mitbringt, dass auch Kinder mit Blindheit und Sehbehinderung daran teilhaben und davon profitieren können.“ Einige Ähnlichkeiten der Lernansätze zwischen Montessori und blindenpädagogischen Methoden fielen mir sofort auf, als wir damals unsere Kinder an der Montessori-Schule angemeldet haben. Deswegen wollte ich das mal genauer unter die Lupe nehmen.”

Neben seinem Unterricht, seinem Masterstudium und dem großen Hobby, der Musik, ist Jens Flach als stellvertretender Vorsitzender des „Bundesverband Glaukom-Selbsthilfe” aktiv. Dort berät er vor allem Eltern von Kindern, die von der angeborenen Form dieser Augenerkrankung betroffen sind und die landläufig als „grüner Star” bezeichnet wird. „Da geht es vor allem darum, erstmal medizinisch zu beraten, aber auch Chancen und Wege aufzuzeigen. Etwa Hilfsmittel vorzustellen und auf die wichtige Arbeit der Frühförderung hinzuweisen.”

[Foto: Torsten Steffens]