Tüfteln für Barrierefreiheit

Otfrid Altfeld und Thilo Lutz schauen lächelnd in die Kamera, Thilo hält seine Auszeichnung in den Händen
© Nadine Weigel

Thorsten Büchner | Thilo Lutz, Absolvent der IT-Ausbildung der blista, ist einer der Jahrgangsbesten 2018 der Industrie- und Handelskammer Kassel-Marburg. Thilo hat die Umschulung zum Fachinformatiker Anwendungsentwicklung nicht nur mit großem Erfolg hinter sich gebracht, er zählt auch zu den Besten des Abschlussjahrgangs 2018. Dabei hatte das alles mal ganz anders begonnen …

Thilo ist seit seiner Geburt sehbehindert, mit sechs Jahren bereits wurde sein Interesse an Computern geweckt: als seine Eltern Ende der 1980er Jahre den ersten Rechner anschafften, war er sofort von dem neuen Gerät fasziniert. Ab 16 folgte dann die unvermeidliche Schrauberei: „So wie andere am Mofa herumwerkelten, habe ich eben am Rechner herumgetüftelt.“ Nach dem Abitur entschied er sich aber nicht für die IT, sondern für ein Studium der Mathematik und Volkswirtschaft. Als Thilo im Jahr 2016 schließlich fast vollständig erblindete, war ihm klar, dass eine Neuorientierung fällig war. Dabei erwiesen sich seine Erfahrungen und sein Wissen um die Vorteile der Informationstechnologie für Menschen, die nichts oder fast nichts sehen, als ziemlich hilfreich: „Es war mir klar, dass sich eigentlich nur ein Computerarbeitsplatz nach meinen Bedürfnissen barrierefrei so gestalten lässt, dass ich produktiv arbeiten kann, ohne wegen meiner Sehbehinderung dauernd ausgebremst zu werden.“ Was also lag näher, als das alte Hobby zum Beruf zu machen und eine Umschulung zum Fachinformatiker Anwendungsentwicklung zu beginnen. Und weil eine Erblindung nicht nur den Berufswunsch, sondern auch gleich das ganze Leben umkrempelt, fiel Thilo die Entscheidung für einen Umzug von Südhessen nach Marburg recht leicht. An der blista absolvierte er die Umschulung zum Anwendungsentwickler. „Die blista hat einen guten Ruf in der Ausbildung von IT-Berufen und war für mich gut erreichbar. Außerdem gefiel mir, dass die blista es möglich macht, in Wohngemeinschaften zu leben. Das erleichtert den Start in einer neuen Stadt doch sehr.“

In seinem Projekt für die Abschlussprüfung vor der IHK-Prüfungskommission entwickelte Thilo den Prototyp einer barrierefreien Software, die von Menschen mit und ohne Sehbeeinträchtigungen gleichermaßen gut bedient werden kann. „Das war das erste Mal, dass sich ein Abschlussprojekt in solcher konzeptionellen Tiefe mit dem Thema Barrierefreiheit beschäftigt hat“, sagt der Ausbildungsleiter der blista, Otfrid Altfeld. „Die Zeit war mehr als reif für ein solches Projekt, denn eine barrierefreie IT sorgt im Zeitalter digitaler Arbeit dafür, dass Leute, die nicht oder sehr schlecht sehen, überhaupt arbeiten können. Wenn die IT-Anwendungen nicht barrierefrei entwickelt wurden, dann können Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung eben nicht damit arbeiten. So einfach ist das. Barrierefreiheit muss von Anfang an mitgedacht werden.“ Mit der Thilo Lutz und seiner Entwicklung entgegengebrachten Wertschätzung verknüpft Altfeld die Hoffnung, dass „es dadurch vielleicht gelingt, das Thema Barrierefreiheit fest im Rahmenlehrplan der Ausbildung zu verankern. Nicht zuletzt aber gibt die Ehrung von Thilo auch uns bei der blista einen Hinweis darauf, dass wir offenbar einige Dinge richtig machen.“

Thilo Lutz arbeitet seit Oktober bei der blista als Programmierer und Berater an seinem Thema weiter: Er überprüft IT-Systeme auf Barrierefreiheit, entwickelt die nötigen Anpassungen, um sie auch für Menschen mit Blindheit oder Sehbehinderung nutzbar zu machen und arbeitet daran, Produktionsabläufe und Prozesse zu verbessern.

Infos zu den IT-Ausbildungen an der blista

Die duale Ausbildung der blista bildet seit über 30 Jahren Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung im IT-Bereich aus und wird von vielen Kostenträgern, wie etwa der Arbeitsagentur oder der Rentenversicherung, finanziert. Die Berufe Informatikkaufleute und  Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung werden als zweijährige Umschulungen und dreijährige Ausbildungen angeboten. Seit dem Ausbildungsjahr 2017/18 kann der Beruf des Fachinformatikers für ­Systemintegration in einer dreijährigen Ausbildung erlernt werden. Mehr Informationen finden Sie unter: www.blista.de/it-ausbildungen-und-umschulungen.