„Inklusion im reinsten Sinn“

Das Foto zeigt elf Personen vor dem Eingang zum Kunstmuseum Marburg, sie halten die neuen taktilen Modelle und Karten in den Händen. Es handelt sich um die Akteur*innen des Projektes, Vertreter*innen des Kunstmuseums, des BSBH, der blista, des Förderverei

Kunstmuseum Marburg erhält taktile Modelle für Architekturführungen für Menschen mit und ohne Seheinschränkung

Imke Troltenier | In einem gemeinsamen Projekt haben der Blinden- und Sehbehindertenbund in Hessen e.V. (BSBH), die Deutsche Blindenstudienanstalt e.V. (blista) und das Kunstmuseum Marburg eine neue Architekturführung für das Kunstmuseum Marburg entwickelt. Menschen mit und ohne Seheinschränkung erhalten so die Möglichkeit, das Kunstgebäude als Gesamtkunstwerk zu begreifen. Die Führung soll den Teilnehmenden kunsthistorische Entwicklungen und die Verbindungen zwischen Architektur, Kunst und Gesellschaft näherbringen. Taktile Stockwerkpläne, tastbare Reliefs und handliche Architekturmodelle bieten blinden und sehbehinderten Besucher*innen Zugänge zu den vielfältigen Informationen. Für die Umsetzung leisteten die 3D-Gestaltungs-Expert*innen Heekyung Reimann und Knut Büttner dabei wichtige Beiträge. Finanziell gefördert wurde das Projekt durch die „etwas andere Förderaktion“ #1BarriereWeniger von Aktion Mensch.
 
Dr. Christoph Otterbeck, der Leiter des Museums für Kunst und Kulturgeschichte der Philipps-Universität begrüßte die Projektpartner*innen am 21. Juni 2022 herzlich. Er freue sich über das stetige Wachsen der inklusiven Angebote genauso wie über das große Interesse an dem besonderen Gebäude. „Dank der tollen Zusammenarbeit unserer vielen Partner*innen tragen wir heute Innovationen in die Welt“, freute sich Michael Doogs vom BSBH. Auch blista-Direktor Claus Duncker hob hervor, dass in Marburg, der Hauptstadt der Blinden, ein gemeinsamer Beitrag für Barrierefreiheit und kulturelle Teilhabe ja immer auch für sehende Besucher*innen bereichernd sei: „Wenn alle profitieren bedeutet es Inklusion im reinsten Sinn“, so Claus Duncker.

Ulrike Schönhagen mit Carsten und Heekyung Reimann
Ulrike Schönhagen mit Carsten und Heekyung Reimann

Ulrike Schönhagen bestätigte: „Für mich als ehemalige Kunstlehrerin der blista ist es ein gelungener Augenblick. Wir waren vorab mit blista-Schüler*innen hier und haben auch mit interessierten Besucher*innen getestet. In die neue Führung sind viele Anregungen eingeflossen und auch die Möglichkeiten taktilen Erfassens wurden erweitert, da haben die beiden 3D-Gestaltungs-Expert*innen Tolles geleistet. Wir stehen jetzt in guten Startlöchern. Die Führung könnte ein Baustein sein, der regelmäßig stattfindet.“ Für den Verein der Museumsfreunde Marburg öffnet Dr. Bernhard Conrads einen Ausblick auf ein dreijähriges Folgeprojekt: Viele Kräfte sorgen gemeinsam und vorbildlich für eine tolle Entwicklung zu mehr und besserer kultureller Teilhabe in Marburg.

Das Gebäude des Kunstmuseums mit seiner als Vierflügelanlage konzipierten Architektur aus den 1920er Jahren versinnbildlicht den interdisziplinären Gedanken des Hauses. Mehrere kunstnahe Institute sind unter einem Dach ansässig und gruppieren sich um einen Innenhof mit einem historischen Brunnen im Zentrum. In verschiedenen Bauelementen gibt es zeittypische Art déco-Ornamente zu entdecken. Viele dreidimensionale Dekore befinden sich auf gut erreichbarer Höhe, sodass sie direkt mit den Händen erkundet werden können.

Für den Überblick über das Gesamtgebäude hat die blista Modelle erstellt. Der erste Prototyp entstand in Zusammenarbeit mit dem Verein der Museumsfreunde Marburg, gefördert durch den Jürgen-Markus-Preis. Der Fortentwicklung liegt der Ansatz zugrunde, dass unsere Sinneswahrnehmung anderen Regeln folgt als das schlichte Erstellen von dreidimensionalen Miniaturen. Manche Strukturen müssen vereinfacht werden, damit sie noch tastbar sind, andere gilt es zu betonen. „Wir haben uns das Wissen in unterrichtlichen Zusammenhängen erschlossen und arbeiten dazu auch mit internationalen Expert*innen zusammen.“, erzählte Knut Büttner. Besonders gefreut habe er sich über die Vernetzung mit der in Marburg sicherlich einmaligen Expertin Heekyung Reimann. Lachend erzählt diese, dass ihr das Mitmachen viel Spaß gemacht und sie dabei auch die eine oder andere Nacht gekostet habe.

Um das historische Konzept hinter der Architektur zu verstehen, nämlich verschiedene Disziplinen der Kunst und Wissenschaft in einem Gebäude zu vereinen, dient ein taktiler Stockwerkplan als farbig gestaltete Schwellkopie. Auch ein Halbrelief der Stadt Frankenberg, das sich im Original neben den architektonischen Wahrzeichen weiterer hessischer Städte, die sich an der Spendenkampagne zur Errichtung des Gebäudes in den 1920er Jahren beteiligt hatten, über dem Eingangsportal in mehreren Metern Höhe befindet, kann als Modell ertastet werden und schlägt eine Brücke zur Entstehung des Gebäudes.

Die Architekturführung wird von Ulrike Schönhagen, langjährige Kunstlehrerin an der Carl-Strehl-Schule der blista und Samira Idrisu, Museumspädagogin im Kunstmuseum Marburg, durchgeführt. Kontakt: Tel.: 06421 28 22631, E-Mail: museum@verwaltung.uni-marburg.de