Zwischen Euphorie und Ernüchterung

Briefwechsel der FOS 11 mit Bundesumweltministerin Barbara Hendricks

Staats- und Regierungschefs aus über 190 Ländern kamen im Rahmen der Klimakonferenz Ende November 2015 in Paris zusammen, um eine neue internationale Klimaschutz-Vereinbarung in Nachfolge des Kyoto-Protokolls zu verabschieden. Rund 700 Kilometer östlich beäugte die blista-Fachoberstufe Sozialwesen die Geschehnisse in Frankreichs Hauptstadt durchaus kritisch – und schrieb schließlich einen Brief an Bundesumweltministerin Barbara Hendricks. Ein Stück gelebte Demokratie.

Die Erwartungen an die Klimakonferenz in Paris waren hoch. „Rekordverdächtig“ stuften die Medien die Zahl der Teilnehmer ein und betonten, es müsse endlich ein politisches Zeichen gesetzt werden. Auch die FOS 11 (Fachoberschule Sozialwesen) interessiert sich für Umweltprobleme. So einigten wir uns darauf, dass die Klasse den Verlauf und die Ergebnisse der so erwartungsvoll begonnenen Klimakonferenz unter die Lupe nehmen sollte, um an diesem Beispiel zu hinterfragen, wie die Regierenden mit dem drängendsten aller Umweltprobleme umgehen.

Warum die blistaner Obamas Euphorie nicht teilen

Als Frankreichs Außenminister Laurent Fabius schließlich am 12. Dezember vor die ­Kameras trat und die Ergebnisse bekannt gab, war die Euphorie auf politischer Ebene groß. „Eine historische Dimension“, jubelte Fabius und betonte, dass sich erstmals „arme und reiche Staaten gemeinsam darauf verständigt haben, gegen steigende Emissionen und damit die gefährliche Erderwärmung vorzugehen“. Frankreichs Präsident Francois Hollande äußerte sich noch geschichtsträchtiger: „In Paris hat es seit Jahrhunderten viele Revolutionen gegeben. Aber heute ist die schönste und friedlichste aller Revolutionen vollbracht worden, die Revolution für den Klimawandel!" Auch US-Präsident Barack Obama („Das ist der Wahnsinn“), Bundeskanzlerin Angela Merkel („Ein Zeichen der Hoffnung“), aber auch die Umweltvereinigungen Greenpeace („Paris gibt der Welt Hoffnung“) und WWF Deutschland („Meisterstück der Klimadiplomatie“) kommentierten die Ergebnisse wohlwollend.

Weniger begeistert zeigten sich hingegen die Schüler der FOS 11. Bei ihnen überwogen Ernüchterung und Enttäuschung. Viele Fragen stellten sich: Warum tritt die Vereinbarung erst in fünf Jahren in Kraft? Warum herrscht ein Prinzip der Freiwilligkeit, das keine Sanktionen vorsieht? Wieso wurde zunächst nur ein Drei-Grad-Ziel beschlossen? Weshalb wurde der Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe aufgeschoben? Viele Geschichten würden an dieser Stelle enden: Das politische Tagesgeschehen wird im Unterricht besprochen und diskutiert. Abhaken, weitermachen, nächstes Thema? Nicht so die FOS 11. Im Anschluss an ein Interview mit Dr. Barbara Hendricks, das in der ARD am 12. Dezember 2015 ausgestrahlt wurde und in dem sich die Bundesumweltministerin gleichfalls begeistert über die ­Ergebnisse des Klimagipfels gezeigt hatte, entstand die Idee, einen Brief nach Berlin zu schreiben. Gesagt – getan.

Verhalten wie ein Drogensüchtiger?

Am 5. Januar 2016 machten sich 56 Zeilen auf die Reise nach Berlin in das „Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit“. Gefüllt mit Fragen („Was versprechen Sie sich von einem Vertrag auf freiwilliger Basis ohne Sanktionen?“), Verbesserungsvorschlägen („Für jedes Land wird ein individueller, verbindlicher Entwicklungsplan erstellt für eine rasche, konsequente Dekarbonisierung bei der Energieversorgung und mit klaren Maßnahmen für das 1,5-Grad-Ziel.“) und anschaulichen Vergleichen: „Nach der Klimakonferenz von Paris erinnert uns das Verhalten der Politiker an einen Drogensüchtigen, der jeden Tag dieselben Drogen nimmt, damit es ihm besser geht. Er weiß längst, dass sein Körper nach und nach kaputt geht. Er sagt sich selbst, ich werde aufhören, mich einschränken und ein gesundes Leben führen, aber erst in fünf Jahren.“ Auch an dieser Stelle könnte die Geschichte aufhören. Denn wer würde schon eine Antwort auf diesen Brief erwarten?

„Ja, da bin ich mir sicher!“

Doch die Antwort kam. Abgesendet in Berlin am 17. Februar 2016, blista-Eingangsstempel zwei Tage später. Fein säuberlich beantwortete Hendricks jede Frage. Natürlich gebe es keine klaren Sanktionen wie Geldstrafen, jedoch müsse ein Land mit dem Verlust von Ansehen und Vertrauen auf internationaler Ebene rechnen, wenn es nicht das tut, was es angekündigt hat. Und bei der Frage, ob die Veranstaltung in Paris sinnvoll war, insistierte die Ministerin eindeutig: „Ja, da bin ich mir sicher. Die Weltgemeinschaft hat das klare Signal an Unternehmer und Investoren gesendet, dass sie sich in ihren Planungen auf immer stärkeren Klimaschutz einrichten müssen.“ Zum Ende ihres über zweiseitigen Schreibens bedankte sich Hendricks bei den blista-Schülerinnen und Schülern: „Ihre Unterstützung für wirksame Klimapolitik ist eine wichtige Grundlage für ehrgeiziges Handeln, sowohl national als auch international. Vielen Dank dafür!“

„Wir hätten mit keiner Antwort gerechnet!“

Ausschnitt des Antwortbriefes der Ministerin mit Briefkopf

Die Antworten der Ministerin stießen in der Klasse auf ein vielfältiges Echo. Lea Respondek und Oliver Hörauf sprachen das aus, was bestimmt viele dachten: „Wir hätten mit keiner Antwort von Frau Dr. Hendricks gerechnet!“. Antonia Netter und Julian Krickl äußerten: „Wir finden es gut, dass die Ministerin unseren Brief ernst genommen hat, obwohl wir ‚nur Schüler‘ sind.“ Mit Blick auf die Ankündigung von Hendricks, dass Deutschland demnächst den Klimaschutzplan 2050 verabschieden möchte, ergänzten sie: „Wir halten es außerdem für lobenswert, dass sie und ihre Berater so weit in die Zukunft denken. Es ist unsere Zukunft!“ Büsra Demirci musste bei dieser Ankündigung hingegen schmunzeln: „Klimaschutzplan 2050? Da lebt sie doch eh nicht mehr…“

Der Briefwechsel zwischen den Schülerinnen und Schülern der blista und der Bundesumweltministerin hat Mut gemacht. Vielleicht sollten wir alle häufiger Politiker ansprechen, kontaktieren und konfrontieren. Und uns auch selbst klar machen, wo wir gefragt sind, zur Lösung von Problemen beizutragen.

Text von Jürgen Mai
auf Basis des Materials aus der FOS 11